"Man muss eine clevere Strategie haben"

Christoph Tannert im Gespräch mit Dieter Kassel · 07.10.2010
Zum Höhenflug der Berliner Kunstszene leisten auch die Ost-Galeristen ihren Beitrag. Trotz mancher "Dummheit" der Anfangsjahre sind einige wie Friedrich Loock und Inga Kondeyne wichtige Figuren geworden, meint Christoph Tannert, Leiter des Künstlerhauses Bethanien und "Ostler".
Dieter Kassel: In Berlin beginnt heute das art forum, das wird wieder einmal sehr deutlich machen, dass Berlin inzwischen eine echte Kunststadt ist. Das hat viel damit zu tun, dass es in der Stadt unzählige Galerien inzwischen gibt, die meisten im Stadtteil Mitte, viele in Stadtteilen wie Friedrichshain oder Prenzlauer Berg, die alle früher mal in Ostberlin lagen. Aber – so sagen viele Kritiker – diese Galerien, die werden von allen möglichen Leuten betrieben, nur von Ostberlinern garantiert nicht oder nur sehr selten.

20 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands und auch Berlins habe ich gestern die Eröffnung des art forum berlin zum Anlass genommen, um mit Christoph Tannert über dieses Thema zu sprechen. Er selbst wurde 1955 in Leipzig geboren, kam 1976 ins damalige Ostberlin, tauchte tief in die Kunstszene ein, wurde dann aber kurz nach der Wiedervereinigung Leiter des Berliner Künstlerhauses Bethanien, was er noch immer ist. Ich habe Christoph Tannert gefragt, was er denn von diesem Vorwurf, dieser Behauptung hält – es gebe zwar ganz viele Galerien im Osten, aber eigentlich kaum noch Ostgaleristen dort.

Christoph Tannert: Also ich sehe die Situation nicht ganz so pessimistisch. Man muss ja sehen, die DDR ist so groß wie NRW, und in dieser Anzahl von Einwohnern, hochgerechnet auf die Galerien, die es in der DDR gab und die es dann geschafft haben, auch im Westen einen Fuß in die Türe zu kriegen, ist das, was heute existiert, eigentlich prozentual gesehen eine sehr, sehr gute Quote.

Wir sehen ja auch, dass einige der DDR-Kunsthandelsgalerien, also des DDR-staatlichen Kunsthandels, auch heute noch existieren und dass auch subkulturelle Gründungen, wie die von Loock zum Beispiel, auch weiter existiert. Also so immer ein bisschen rumzugreinen, dass da nicht genügend Ostler am Zuge sind, das würde ich hier in diesem Zusammenhang nicht tun wollen. Außerdem müssen wir auch sehen, ist ja Berlin zu einer Drehscheibe auch gerade für osteuropäische Galerien geworden, und da haben wir so weit die Nase vorn, dass die Situation sehr viel besser aussieht als in London, in Köln, in Düsseldorf – das ist einfach phänomenal.

Kassel: Aber wenn Sie schon den Galeristen Loock erwähnt haben, der ja gerne genannt wird, frage ich mich immer, ob diese Namensnennung nicht auch so ein Feigenblättchen ist. Der hat – für alle, die es nicht wissen – 1988 im natürlich damaligen Ostberlin eine – natürlich illegale – private Galerie in seinem Wohnzimmer mehr oder weniger eröffnet. Und der hat dann die Maueröffnung gut überlebt und hat sich wahrscheinlich auch gefreut, dass er das nun plötzlich auch legal machen darf, was er vorher schon gemacht hatte. Aber gibt es denn jetzt, 20 Jahre nach der Wende, in Ostberlin eine Galerienszene, die wirklich was mit Ostberlin – geografisch ist das ja immer noch der Osten – zu tun hat, von den Menschen her, von den Galeristen, von den Künstlern auch?

Tannert: Ja, auf jeden Fall. Also gerade in diesem Monat feiert die Galerie von Inga Kondeyne 30-jähriges Bestehen – eine Kunsthandelsgalerie der DDR, die dann später durch Inga Kondeyne privat weitergeführt wurde, die mehrfach in Mitte umgezogen ist und die jetzt mit einem stabilen Programm wesentlich orientiert auf die Gegenwartsströmungen der Zeichnung eigentlich hervorragend dasteht. Und wenn Sie jetzt schon fragen so nach einer bestimmten Ostigkeit, ja, auch einer malerischen Haltung, die typisch für den Ostberliner Sensualismus ist, dann muss man sagen, Galerie Leo Coppi, die stehen genauso gut da, wie sie in die Wende reingegangen sind. Oder eine Galerie wie die von Küttner und Ebert mit den expressiven Sprachen, wo Bernhard Heisig immer noch vertreten ist, das sind dann auch so typische Ostgalerien, die sind nicht untergegangen oder die konnte man nicht unterkriegen.

Hinzu kommt, dass nun in diesem Jahr ganz rotzig frech plötzlich der ehemalige Prenzlauer Berg sich wieder Wärmestuben schafft, wo man ein Bierchen trinken und beieinandersitzen kann. Also die gerade vor einem Monat erfolgte Gründung der sogenannten Staatsgalerie in der Greifswalder Straße, das ist ja kein Witz, sondern das ist eine tatsächliche Gründung, die will sich kommerziell auch tragen, und das scheint zu gehen. Auf der anderen Seite hat Bert Papenfuß, einer der führenden Lyriker Ostberlins, mittlerweile ja auch deutschlandweit durchgesetzt, eine Kneipe in der Metzer Straße eröffnet, Rumbalotte Continua. Bei der Eröffnung vor ein paar Tagen, da hat der Laden gebrummt, das war nicht auszuhalten. Also es ist nicht so, dass irgendjemand mit seiner Vergangenheit oder Zukunftsperspektive, wie man das auch immer nennen will, zu kurz käme.

Kassel: Dann gucken wir doch mal zurück auf die Berliner Kunstszene damals, die logischerweise genauso getrennt war wie die ganze Stadt. Die Westgalerienszene war im Wesentlichen in Charlottenburg, so in Gegenden um den Savignyplatz und um den Ludwigkirchplatz aktiv – gab immer ein paar andere, aber da haben sie sich so ein bisschen gebündelt. Als die Mauer dann fiel oder erst mal noch, bevor sie komplett fiel, als sie aufging, wie sind sich denn diese beiden Kunstszenen, diese in Westberlin, die es gab und geben durfte, und diese, die in Ostberlin jenseits der Staatskunst ja eine in jedem Sinne des Wortes Undergroundkunst war, wie sind die sich damals begegnet?

Tannert: Na ja, die sind sich in ihrer Unvollkommenheit begegnet, und in diesem kulturellen Aufeinanderprallen hat es natürlich auch viele Funken gegeben, die nicht übergesprungen sind und wo man sich dann auch distanziert, gewundert, fremd gefühlt hat. Bis heute ist es ja so, dass die Kunstszenen sich eigentlich nicht vermischen. Das kann schön sein, das kann auch von Nachteil sein. Also am Savignyplatz in der Mommsenstraße, oder so, herrscht ein völlig anderes Klima als beispielsweise in Mitte oder im Prenzlauer Berg oder in anderen Teilen der Stadt.

Man muss aber eben auch sehen, dass Berlin riesig groß ist, und in jedem Bezirk gibt es mindestens eine kommunale Galerie. Im Prenzlauer Berg gibt es mehr als eine, und das ist doch phänomenal. Und die Ostberliner kommunalen Gründungen der DDR haben ja ihre Fortführung gefunden, sodass ein wesentlicher Teil der Ostberliner Kunstproduktion von mindestens zwei Generationen auch nach wie vor Präsentationsmöglichkeiten hat, selbst wenn diese Präsentationen nicht zu 100 Prozent umsetzbar werden auf dem kapitalistischen Markt. Und hinzu kommen unendlich viele Neuerungen, aktuelle Entwicklungen, die sich irgendwo Bahn brechen, also bis hin zum Tacheles, was ja auch irgendwie nicht totzukriegen ist.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Christoph Tannert, Geschäftsführer des Künstlerhauses Bethanien in Berlin, über die, na ja, wiedervereinigte oder in mancherlei Hinsicht – Sie haben gesagt, Sie finden das überhaupt nicht schlimm –, aber in mancherlei Hinsicht vielleicht keineswegs wiedervereinigte Berliner Kunstszene. Da ist jetzt was ganz Wichtiges in Spiel gekommen, relativ spät in diesem unseren Gespräch, nämlich das Geld.

Als die Mauer aufging 1990, da war gerade die etablierte Galerienszene in diesen Gegenden von Charlottenburg überwiegend ja eine, die längst mit Kunst – ob die nun Untergrund war oder nicht – auch Geld verdienen wollte. Da war klar, eine Galerie ist ja ein Geschäft: Man kommt rein, guckt sich die Bilder an, idealerweise kauft man. Wie viel Probleme hatte denn damals und vielleicht auch heute noch die Ostgalerienszene, mit diesen Gedanken doch Teil des Kapitalismus zu sein, mit der Kunst?

Tannert: Ich glaube, intellektuell gab es da überhaupt keine Probleme. Dass sich etwas tragen musste, war von vornherein klar, und wer im Osten eine kommerzielle Galerie aufmachen wollte, musste Geld in die Hand nehmen und risikobereit sein. Das haben ja Verschiedene versucht. Ich habe damals mit Kollegen zusammen auch eine der früheren privaten Galerien gegründet, die Galerie Vier in der Torstraße. Wir sind dann nach zwei Jahren gescheitert, weil wir ...

Kassel: Woran genau?

Tannert: Weil wir das, was wir hofften, an den Mann bringen zu können, nicht verkaufen konnten. Also hervorragende Werke des Penck-Übervaters Strawalde oder auch Werke eines der Autoperforationsartisten Via Lewandowsky, andere Künstler, die aus der DDR-Subkultur kamen, aber auch Künstler aus Westberlin. Wir haben einfach gemerkt, der Markt ist so riesig, und wenn man nicht auch mit einer internationalen Verbindung, gestützt durch Partner, auch in anderen Ländern dort antritt, dann steht man auf so weiter Flur und ist auch so angreifbar und das Angebot ist so riesig, dass das schon ganz schön schwierig ist. Und da brauste einem der kalte Wind um die Nase und da muss man sich schon überlegen, ob man den nächsten Monat dann die Miete zahlen kann. Wir haben dann die Sache dahin gehend glänzend gelöst, dass wir fanden, dass wir doch in Museen und Institutionen besser untergebracht sind.

Kassel: Also jetzt komm ich mal mit so einem bösen Westler-Vorurteil, das klingelt mir schon die ganze Zeit in den Ohren. Aber ist das nicht auch der Unterschied – Sie haben es gesagt: Der kalte Wind, dieses, doch, Geschäftsgalerie, der wehte Ihnen irgendwann so sehr um die Ohren, dass Sie zusammen mit Ihren Mitstreitern, Freunden zum Teil, gesagt haben, nein, da mache ich was anderes, wo es nicht ums pure Verkaufen geht. Ist das vielleicht der Grund, warum in den Galerien in Berlin-Mitte zum Beispiel doch ganz viele Leute aus dem Westen – das muss ja nicht Westberlin sein, das kann ja auch Westdeutschland, das kann Ausland sein –, doch dass die dann da sitzen, weil die vielleicht den kalten Wind besser vertragen?

Tannert: Nein, das würde ich so nicht unterschreiben wollen. Irgendwie kaltherzig, amoralisch, das hat ja mit dem Markt wirklich gar nichts zu tun. Man muss eine clevere Strategie haben, und man muss wissen, worauf man sich einlässt, und bevor man überhaupt was ausstellt, muss man wissen, wer denn möglicherweise die Käufer sein könnten. Wir sind ja damals 1990 angetreten, ohne zu wissen, wo denn unser Käuferstamm sich überhaupt befindet. Das kann man nicht machen, das ist Dummheit. Man muss soweit gestimmt sein, dass man auch in die Kiste fasst, wo möglicherweise die jungen Aufsteiger existieren. Und sich irgendwie gutherzig nur um irgendjemanden zu bemühen und ihm ein Podium zu bereiten, das wird auf dem Markt schlecht möglich sein. Weiterhin kommt dazu, man muss so international orientiert sein und man muss auch bereit sein, Geld in die Hand zu nehmen, um auf Messen zu gehen. Einfach in Berlin in einer schönen Nische in der Sophienstraße irgendwo lauschig zu hocken und zu warten, dass da jemand kommt, das geht für eine kommerzielle Galerie nicht.

Kassel: Was ist eigentlich aus den Leuten geworden, die diese Morgenluft auch gewittert haben in Ostberlin nach 1990, vielleicht Galerien eröffnet haben, Ähnliches getan haben und die dann gescheitert sind?

Tannert: Berlin ist ein ganz besonderes Pflaster. In Berlin haben wir zum Glück eine Situation, in der vieles, was aus dem Osten gekommen ist, auch im Westen in der neuen Situation überleben konnte. Viele Kollegen, Kunsthistoriker aus dem Osten sind auch heute noch präsent – Dr. Eugen Blume, Ulrich Domröse –, viele Kollegen, mit denen ich auch an der Humboldt-Universität in den 70er-Jahren studiert habe, die sind heute namhafte Kollegen. Aber schauen Sie mal nach Westdeutschland, da werden Sie keinen Ostler finden. Und das charakterisiert eigentlich den Bruch und die Schwierigkeit des Zusammenwachsens, dass wir auch nach 20 Jahren eigentlich eine über die alte Zonengrenze hinweg weisende Partnerschaft auch im Geiste leider nicht haben.

Kassel: Und eins haben doch wahrscheinlich im Jahre 21 nach der sogenannten Wende Ost- und Westberlin gemeinsam: Die Käufer gerade der teuren Kunst, die kommen doch wahrscheinlich überwiegend weder aus Ost- noch Westberlin, die Stadt ist ja komplett arm, aber sexy, die kommen sonst wo her, oder?

Tannert: Ja, Berlin ist leider in einer Situation, wo immer mehr Künstler her wollen, schon aus dem Grunde, weil ihre Freunde hier sind, wo man wunderbar seine Kinder unterbringen kann im Prenzlauer Berg und im Friedrichshain, wo man genügend Wasser und Grün hat, aber eben keine Sammler. Die meisten Künstler, die nach Berlin ziehen, haben ihre Galerien sonst wo in den Weltregionen, dort verkaufen sie ihre Werke, und die Sammler hocken im Rheinland oder im Ausland, aber kommen zu den großen Messen her. Und Berlin ist immer eine Messe wert.

Kassel: Und der Beginn der größten Messe dieser Art, in Berlin zumindestens, art forum berlin, den haben wir zum Anlass genommen, um mit Christoph Tannert, Geschäftsführer des Künstlerzentrums Bethanien in Berlin darüber zu reden, wie denn Ost- und Westgalerien und Kunstszene sich in den letzten 20 Jahren entwickelt haben. Das war eine relativ positive Meldung, insofern Doppeldank fürs Gespräch, Herr Tannert!
Mehr zum Thema