"Man glaubt an diesen Standort"

Rainer Lindner im Gespräch mit Gabi Wuttke · 15.12.2011
Im nächsten Jahr werde es leichter werden, Geschäfte in Russland zu machen, meint Rainer Lindner, der Geschäftsführer des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft. Man hoffe, dass sich weitere Verbesserungen für die 6000 deutschen Unternehmen in Russland ergeben.
Gabi Wuttke: Weg mit Handelsschranken, liberalisierte Märkte - dafür steht die WTO, der größte Handelsfreiclub der Welt. Mit Russland ist 18 Jahre lang verhandelt worden, heute wird der Ministerrat der Welthandelsorganisation den Beitritt Russlands absegnen. Um die Wirtschaft im 154. Mitgliedsland in spe ist es nicht gut bestellt, deshalb soll der WTO-Beitritt in Russland unter anderem auch Arbeitsplätze schaffen.

Als Mittler zwischen Wirtschaft und Politik in Deutschland und Osteuropa versteht sich der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft. Sein Geschäftsführer Rainer Lindner begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen!

Rainer Lindner: Guten Morgen!

Wuttke: Wird es im nächsten Jahr leichter werden, Geschäfte in Russland zu machen?

Lindner: Ich glaube schon, weil Russland wird sich mit diesem Beitritt zur WTO doch neuen Standards und Regeln unterwerfen müssen, es wird transparenter mit Ausschreibungen für Geschäfte, auch für Investoren, umgehen müssen, es wird einen Teil - und das ist ein Vorteil für die Russen selbst - einen Teil seiner Zollsituation verbessern, auch für Importzölle bessere Konditionen aushandeln können. Ich glaube, wir stehen da vor einer günstigen Entwicklung für deutsche internationale Exporteure nach Russland, aber durchaus auch für den russischen Verbraucher, weil mehr Wettbewerb, der dann ausgelöst wird, ist letztlich gut für den Verbraucher.

Wuttke: Um das mal plakativ zu machen, Herr Lindner: Was man ja hört, ist, um erfolgreiche Geschäfte mit Russen zu machen, braucht man vor allem das Fingerspitzengefühl, die richtigen Handynummern zu kennen.

Lindner: Die wird man weiterhin kennen müssen. Man kommt in Russland, glaube ich, nicht zum Erfolg, ohne sicherlich auch die unternehmerischen Kontakte weiterzuentwickeln. Aber wenn wir uns solche Themen anschauen, dass Subventionen abgebaut werden müssen, das kommt auf die russische Regierung zu, dass man auch den Schutz geistigen Eigentums noch mal neu definieren muss, dass man sich stärker auch bei den Themen der Ausschreibung, der Auftragsvergabe internationalen Standards unterwirft. Und das hat durchaus Auswirkungen auf einzelne Branchen wie die Automobilwirtschaft, den Bankensektor, die Agrarwirtschaft - also hier haben wir doch durchaus gute Chancen, entsprechend mit den Russen künftig auf einer neuen Ebene zusammenzuarbeiten.

Wuttke: Stichwort Subventionen, was hat es denn für konkrete Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft, dass die russische Führung marode Staatsbetriebe am Leben hält, für die es mit dem WTO-Beitritt dann ja wirklich schwierig werden dürfte? Oder andersherum gefragt, darf sich die deutsche Wirtschaft ganz konkret freuen, die russische Industrie zu modernisieren?

Lindner: Das ist ihr lang gehegtes Ziel, stärker an dem Modernisierungsprozess beteiligt zu werden. Wenn ein Staatsunternehmen in Russland jetzt dadurch stärker auch unter Druck gerät, weil zum Beispiel ausländische Produkte günstiger eingeführt werden auf den russischen Markt, dann gerät natürlich ein solches Land stärker unter Druck, sich zu modernisieren, und diese alten Betriebe durchaus auch diesem Prozess der Modernisierung zu unterwerfen. Aber ich glaube, es wird eine positive Bilanz von Medwedew bleiben, Russland in diese WTO geführt zu haben und damit seine Volkswirtschaft geöffnet zu haben.

Wuttke: Was kennzeichnet denn aus Ihrer Sicht die russische Wirtschaft der letzten Jahre? Stabilität oder Stagnation?

Lindner: Ja, ich glaube, wenn wir auf die - nur mal eine Zahl, um das anzubinden - auf die Handelsbilanz schauen: Wir haben in diesem Jahr, 2011, mit 70 Milliarden Euro bilateralem Handelsvolumen einen neuen Rekordwert erzielt im deutsch-russischen Handel. Das ist ohne eine gewisse Stabilität, ohne eine gewisse Trendsicherheit auch für die deutschen Unternehmer nicht machbar. Man glaubt an diesen Standort. Man hat jetzt inzwischen, ich glaube, über 6000 deutsche Unternehmen in Russland tätig. Das ist, glaube ich, eine gute Ausgangsposition, wenn es jetzt darum geht, noch besser auch die Möglichkeit zu haben, innovative Produkte nach Russland zu exportieren zu günstigeren Konditionen, aber auch vielleicht nach einem WTO-Beitritt stärker noch in Richtung Freihandel zu denken. Das ist ja auch eine Erwartung, die wir an den EU-Russland-Gipfel haben, der fast zeitgleich jetzt stattfindet und wo wir auch hoffen, dass sich jetzt daraus entsprechende mögliche Verbesserungen für die deutsche Wirtschaft ergeben.

Wuttke: Sie haben gerade Präsident Medwedew gelobt. Nun wird ja demnächst der Präsident wieder Putin heißen. Was heißt das wiederum für Sie?

Lindner: Putin hat ja in seinen ersten beiden Amtszeiten doch das eine oder andere auch für die deutsche Wirtschaft sehr Wichtige angeschoben: Wenn wir an Pilotprojekte denken wie die Nord-Stream-Pipeline, wenn wir an Projekte denken, dass zum Beispiel ein Unternehmen wie VW sich in dieser Form wirklich exzellent in Russland entwickelt, auch andere Automobilhersteller, ...

Wuttke: Aber andernorts heißt es eben, Putin steht inzwischen genau für Stagnation unter dem Gesichtspunkt einer gewissen Stabilität.

Lindner: Ja, wenn es zu stark nach Stagnation klingen würde, hätte man andere Standorte wie China oder auch Südostasien eher in den Blick genommen. Russland scheint nicht zuletzt aufgrund seiner Rohstoffreichtümer, aber auch seiner sonstigen Möglichkeiten bei der Lohnveredelung und anderen Themen doch gute Möglichkeiten zu bieten. Und ich glaube, wenn jetzt, angesichts auch der Entwicklung, die wir in Moskau und in den großen Städten Russlands insgesamt beobachten, wenn wir jetzt noch stärker auch eine Beteiligung sozusagen der Bürgergesellschaft erleben, dann ist sicherlich Russland auf einem guten Weg.

Wuttke: Beteiligung der bürgerlichen Gesellschaft ist ein hübsches Wort. Man weiß nicht, was aus diesem Hauch eines russischen Frühlings werden kann. Insofern also die Frage: Wenn die Russen jetzt zu mehr als Zehntausenden in den kommenden Monaten auf die Straße gehen, und zwar gegen Wladimir Putin, wie stellt sich die deutsche Wirtschaft darauf ein?

Lindner: Ja, unsere große Forderung ist natürlich, dass diese Proteste gewaltfrei verlaufen, dass es hier nicht zu einer Eskalation kommt. Die bisherigen Tage zeigen, dass auch die Polizei hier mit Augenmaß reagiert hat, sogar von den Demonstranten dafür gelobt worden ist. Putin will sich heute ja auch äußern, in einem großen Fernsehinterview auf Fragen eingehen. Ich glaube, das ist die richtige Strategie, in dieser Phase doch der Zuspitzung aufeinander zuzugehen und nicht etwa Gewalt im Spiel zu haben, ...

Wuttke: Aber ist nicht das genau Herrn Medwedew zuzurechnen und ihn dafür zu loben, dass das soweit womöglich nicht kommt?

Lindner: Ich glaube, in der Frage müssen sich die beiden sehr eng abstimmen. Niemand hat Interesse - weder hier bei uns, noch in Russland selbst - an einem chaotischen Zustand, der für beide Seiten sicherlich eher schwierig würde.

Wuttke: Ein russischer Regierungschef, das heißt, die zweite Reihe, das wird Dimitri Medwedew werden. Das heißt, Sie werden es wieder mit Wladimir Putin zu tun bekommen, den Sie schon kennen. Und heißt das jetzt aus Ihrer Sicht, da wissen Sie, mit wem Sie es zu tun haben und was geht und was nicht? Und müssen auch auf ihn setzen?

Lindner: Ich glaube - und das ist auch in Russland inzwischen eine verbreitete These - dass der neue russische Präsident, wenn er denn Wladimir Putin heißt, ein anderer sein wird und muss, als er noch vor einigen Jahren in Russland tätig gewesen ist. Man wird sicherlich ein großes Augenmerk legen, wie das künftige Kabinett aussieht, ob es dort auch nach wie vor Personen gibt, die für eine gewisse Liberalisierung, für Privatisierung stehen, und dann wird man darauf schauen müssen, ob sich in Russland dann doch so etwas wie Parlamentarismus ausbildet, nämlich eine stärkere Beteiligung auch dessen, was Opposition heißt, und man wird fragen müssen, wie die junge Generation, die sich ja zu 30 Prozent nach den Zahlen womöglich mit Gedanken trägt, das Land zu verlassen, wie man die im Land hält. Weil das sind die wichtigen Köpfe, auf die Russland weder demografisch noch wirtschaftlich wird verzichten können.

Wuttke: Sagt Rainer Lindner, der Geschäftsführer des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft am Tag, an dem der Ministerrat der WTO den Beitritt Russlands als 154. Mitgliedsland absegnet. Herr Lindner, ich danke Ihnen sehr. Schönen Tag!

Lindner: Ich bedanke mich!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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