Malte Herwig: "Der große Kalanag"

Der Zauberkünstler der angeblichen "Stunde Null"

08:58 Minuten
Helmut Schreiber bei einem Zaubertrick mit vier Billardkugeln zwischen den Fingern seiner linken Hand
Der Zauberkünstler Kalanag alias Helmut Schreiber (1903–1963) war ein bekannter Entertainer in der Bundesrepublik der 1950er-Jahre. © SWR/Stiftung Zauberkunst
Malte Herwig im Gespräch mit Massimo Maio · 01.04.2021
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Auch Hitler ließ sich vom "großen Kalanag" gerne bezaubern. Wie der Illusionist in der NS-Zeit Karriere machte und nach 1945 das Publikum unbehelligt täuschte, erzählt Malte Herwig: Die Vergangenheit wegzuzaubern, sei ein verbreiteter Wunsch gewesen.
Der Zauberer und Illusionskünstler Kalanag, mit bürgerlichem Namen Helmut Schreiber, machte Karriere unter den Nationalsozialisten: Zunächst auf der Bühne, dann als Filmproduzent bei der Tobis und der Bavaria. Dort produzierte er im Auftrag von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels leichte Komödien, aber auch offen antisemitische Filme. Ab den 1950er-Jahren war Schreiber einer der schillerndsten Entertainer der Bundesrepublik. Mit seinen extravaganten Shows machte er sogar international von sich reden.
Als Kalanag ließ er aber nicht nur Kaninchen, sondern auch seine Nazi-Vergangenheit verschwinden. Dass hinter den mit Exotik und Erotik lockenden Auftritten ein Karrierist aus dem sogenannten "Dritten Reich" steckt, wussten nur die wenigsten.
In der ARD-Mediathek ist derzeit die Doku "Verzaubert und verdrängt" zu sehen, die Schreibers verblüffenden Lebenslauf mit viel Archivmaterial anschaulich macht. Darin ausführlich zu Wort kommt auch der Journalist und Bestsellerautor Malte Herwig. Der leuchtet in seinem neuen Buch "Der große Kalanag" Schreibers ganze Persönlichkeit aus – vor 1933, während der nationalsozialistischen Diktatur und nach 1945.

Er "verzauberte" Hitler und die Deutschen

Ein Zitat von Adolf Hitler ist dieser 480-seitigen Biografie vorangestellt: "Große Lügner sind auch große Zauberer." Warum diese Parallele?
"Hitler hat mit dieser Geschichte zu tun, er hat sich nämlich auch vom großen Kalanag bezaubern lassen", sagt Herwig. Dieser Zauberkünstler sei ein Verführer gewesen – und Politiker seien auch oft Verführer, jedenfalls Demagogen wie Adolf Hitler.
Helmut Schreiber und seine Frau Anneliese mit Adolf Hitler auf dem Obersalzberg in Berchtesgaden
Helmut Schreiber und seine Frau Anneliese mit Adolf Hitler auf dem Obersalzberg in Berchtesgaden© SWR/Stiftung Zauberkunst
Kalanags Rolle im "Dritten Reich" sei gewesen, die NS-Oberen zu "bezaubern", er sei auf privaten Feiern auf dem Obersalzberg aufgetreten. Das habe er gern gemacht: "Er hat sich dadurch viele Vorteile verschafft und damit auch geprahlt." Hauptberuflich sei Kalanag aber Filmproduktionsleiter gewesen und von 1942 bis Kriegsende Direktor der Produktionsfirma Bavaria in München.

Suggestion und Ablenkung

Herwig fand bei seiner Recherche noch viele ehemalige Assistentinnen des Zauberers und erfuhr von ihnen, dass Kalanag ein Karrierist gewesen sei, ein ehrgeiziger und egozentrischer Mensch, der autoritär sein konnte.
Mit diesen Eigenschaften sei er unter den Nationalsozialisten sehr schnell hochgekommen. "Er war ein Manipulator, sowohl beruflich als auch privat", berichtet Herwig. "Diese Fähigkeiten, die er als Zauberkünstler hatte, der Suggestion, der Illusion, der Täuschung, der Ablenkung, hat er auch in anderen Bereichen eingesetzt."
Kalanag sei sicher kein überzeugter Nazi gewesen, meint sein Biograf: "Er hat einfach mitgemacht und Vorteile für sich und die Zauberei gesucht."
Als Präsident des Magischen Zirkels, einer Vereinigung von Zauberkünstlern, hatte Kalanag ab 1936 einen gewissen Einfluss, um seine Profession als Kunst herauszustellen. Unter anderem wurde der "Magische Zirkel" in die Reichskulturkammer aufgenommen. Wie in der ARD-Doku "Verzaubert und verdrängt" zu sehen ist, "entfernte" Schreiber in seiner leitenden Funktion die zahlreichen jüdischen Mitglieder der Berufsvereinigung.

Opulente Show inmitten der Trümmer

Den großen Erfolg von Kalanag nach dem Zweiten Weltkrieg erklärt Herwig so: "Viele Menschen wollten nicht wahrhaben, was in der Vergangenheit gewesen war. Sie wollten auch nicht an ihre eigene Vergangenheit denken, denn die meisten Deutschen waren kompromittiert."
Kalanag habe 1947 in Hamburg durch eine opulente Show von der Trümmerlandschaft in der Stadt und im ganzen Land abgelenkt: "Zum Betrügen und zum Täuschen gehören immer zwei – einer, der täuscht, und eine Gesellschaft, die bereit ist, sich täuschen zu lassen."

Auch die "Stunde Null" ist eine Illusion

Für Herwig ist Kalanag der Zauberer der so genannten Stunde Null 1945, die angesichts der personellen Kontinuität in vielen Berufsgruppen und in der Politik eine Illusion gewesen sei, ein rhetorischer Trick. Die Deutschen seien nicht ausgetauscht worden gegen welche, die mit den Nazis nichts zu tun gehabt hätten.
Die Vergangenheit wegzuzaubern sei ein verbreiteter Wunsch gewesen, aber "so können wir nicht aus der Geschichte lernen", meint Herwig.
(cre)

Malte Herwig: "Der große Kalanag. Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt eroberte"
Penguin Verlag, München 2021
480 Seiten, 24 Euro

"Verzaubert und Verdrängt - die Karriere des Magiers Kalanag"
Regie: Oliver Schwehm
SWR 2021, ca. 45 Minuten
hier in der ARD-Mediathek (bis zum 22.03.2022)

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