Mali-Kennerin: Militärisches Eingreifen kann nicht einzige Option sein

Anette Lohmann im Gespräch mit Marietta Schwarz · 31.10.2012
Seit einem Militärputsch ist der Norden Malis in der Hand von Rebellen und radikalen Islamisten. Das öffentliche Leben sei dort fast vollständig zum Erliegen gekommen, berichtet Anette Lohmann, Leiterin des Friedrich-Ebert-Büros in Mali. Sie plädiert für einen regionalen Ansatz zur Lösung der Probleme.
Marietta Schwarz: Seit einem Militärputsch im Frühjahr ist der Norden Malis in der Hand von Rebellen und radikalen Islamisten. Bilder von der Zerstörung des Weltkulturerbes in Timbuktu gingen um die Welt, ebenso wie Nachrichten über drakonische Strafen durch die Scharia. Der Westen befürchtet die Entstehung einer neuen Terroristenhochburg, die die gesamte Region gefährdet. Die EU berät deshalb mit der Afrikanischen Union, UN und der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas zurzeit in der Hauptstadt Bamako über einen Militäreinsatz. Dort, in Bamako, gibt es auch ein Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung, und deren Leiterin Anette Lohmann ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Lohmann!

Anette Lohmann: Guten Morgen!

Schwarz: Frau Lohmann, halten auch Sie eine militärische Intervention für die einzige Lösung?

Lohmann: Nein, es gibt durchaus noch andere Möglichkeiten. Die UN-Resolution 2071 sieht ja auch ausdrücklich neben einer militärischen Intervention einen politischen Prozess vor. Hier wird also ganz eindeutig ein zweigleisiges Vorgehen angestrebt. Klar ist, dass gegen die terroristischen Gruppierungen eine militärische Intervention vermutlich erforderlich sein wird, aber es gibt durchaus ernstzunehmende Hinweise, dass es seitens der beiden Tuareg-Gruppen Verhandlungsbereitschaft gibt, auf die man auch eingehen sollte.

Schwarz: Die beiden Tuareg-Gruppen sind zwei von insgesamt vier Rebellengruppen. Vielleicht können Sie kurz erläutern, wie die Standpunkte der anderen sind. Wo haben die Gemeinsamkeiten und wo unterscheiden die sich?

Lohmann: Es gibt vier Gruppen, zwei davon sind Tuareg. Die eine Tuareg-Gruppe hat ursprünglich einen eigenen Staat im Norden Malis gefordert, das ist mittlerweile auf Selbstbestimmung zurückgefahren worden. Die andere Tuareg-Gruppe ist eine islamistische Tuareg-Gruppe, die die Einführung von Scharia fordert und dies auch ja zum Teil schon umsetzt, und dann gibt es eben die beiden Ableger von dem terroristischen Netzwerk El Kaida, das ist einmal El Kaida im islamischen Maghreb, und davon dann noch mal ein weiterer Ableger. Die haben sicherlich Berührungspunkte, wenn es um die islamistischen Forderungen geht, aber man sollte die Unterschiede nicht überbewerten. Letztlich ist der Konflikt im Norden Malis ein Konflikt über Kontrolle, über die Kontrolle eines Gebietes, das sehr lukrativ ist. Da geht es um organisierte Kriminalität, da geht es um Drogenschmuggel, möglicherweise geht es auch um natürliche Ressourcen. Und insofern sollte man die offiziellen Gründe, die hier angegeben werden, auch nicht überbewerten, da es tatsächlich auch andere Interessen geben kann.

Schwarz: Der Norden des Landes nimmt ja immerhin zwei Drittel der Fläche ein von Mali. Hunderttausende Flüchtlinge versuchen, den Norden zu verlassen. Was wissen Sie denn, Frau Lohmann, über die aktuelle Lage dort?

Lohmann: In der Tat, man geht im Moment davon aus, dass etwa über 400.000 Menschen auf der Flucht sind oder intern vertrieben sind, sich also in anderen Landesteilen Malis aufhalten. Hinzu kommt, dass es eine Nahrungsmittelkrise gibt aufgrund der Dürre im letzten Jahr. Die Nahrungsmittel vor allem im Norden sind sehr teuer geworden, gleichzeitig ist es schwierig, an Bargeld zu kommen, da die Banken geschlossen haben, die öffentlichen Strukturen funktionieren nicht oder nur unzureichend, Schulen haben zum Beispiel geschlossen. Und das sind die konkreten Dinge, die den Menschen im Alltag Probleme bereiten, aber sie machen sich natürlich auch Sorgen. Sie machen sich natürlich Sorgen darüber, was mit ihnen passiert, sollte es zu einer militärischen Intervention kommen.

Schwarz: Bevor wir über die reden, noch mal eine ganz andere Frage: Mali galt ja bis vor Kurzem noch als Erfolgsmodell, ein Land, das alles richtig zu machen schien, Demokratie, moderater Islam – der Norden ist aber doch schon seit Jahren ein rechtsfreier Raum. Haben da die Geberländer, der Westen, die Augen verschlossen?

Lohmann: Die Probleme, die Mali im Norden hat, und die Konflikte, die jetzt eskaliert sind, sind in der Tat nicht neu, das ist richtig, aber das waren schon immer Konflikte, die auch über die Möglichkeiten Malis weit hinausgegangen sind, und das war auch immer schon klar, dass es sich hier um ein regionales Problem handelt, wenn nicht gar um ein internationales Problem, was jetzt eben eskaliert. Aber insofern kann man Mali da nicht alleine für verantwortlich machen, denn Mali ist nicht in der Lage, diese Probleme alleine zu lösen.

Schwarz: Sondern, wer kann die Probleme lösen?

Lohmann: Nun ja, also es muss zum einen natürlich einen gemeinsamen regionalen Ansatz geben, also das zeigt ja jetzt auch das Vorgehen in dem aktuellen Konflikt, dass nur gemeinsam mit anderen regionalen Akteurinnen und Akteuren der internationalen Gemeinschaft wird es möglich sein, jetzt entschlossen vorzugehen.

Schwarz: Und Frankreich hat eine sehr spezielle Rolle in diesem Konflikt, auch als ehemalige Kolonialmacht, hat sich ja auch für eine Intervention stark gemacht. Welche Interessen verfolgt also Frankreich?

Lohmann: Frankreich verfolgt ganz eindeutig Sicherheitsinteressen, denn schon vor einiger Zeit hat El Kaida im islamischen Maghreb Frankreich zum Ziel erklärt, es hat ihm den Krieg erklärt, und Frankreich ist natürlich durch seine große Präsenz seiner Bürger hier in der Region, durch seine Wirtschaftsinteressen da durchaus bedroht.

Schwarz: Welche Risiken, Frau Lohmann, birgt denn eine Intervention, von wem sie auch durchgeführt wird?

Lohmann: Zunächst einmal gibt es noch jede Menge unbeantwortete Fragen, die an so eine Intervention zu richten sind, und es ist noch überhaupt nicht geklärt, wann und unter welchen Umständen es zu einer Intervention kommen kann. Das Risiko ist natürlich die Eskalation eines Konfliktes um eine mögliche regionale Ausbreitung, also das, was man eigentlich vermeiden möchte, könnte im Umkehrschluss durchaus eintreten.

Schwarz: Das ganze hört sich nach einem längerfristigen Prozess an, nicht nach einer Sache, die in den nächsten Monaten geklärt sein wird.

Lohmann: Absolut, das ist völlig richtig. Natürlich gibt es eine kurz- bis mittelfristige Komponente, wo man darüber sprechen muss, wie man den Norden zurückerobern kann, da gibt es wie gesagt einen politischen Prozess, eine möglicherweise militärische Intervention, aber es wird nicht damit getan sein, einfach nur in An- und Ausführungszeichen "den Norden zurückzuerobern", sondern ganz grundsätzliche Fragen müssen beantwortet werden, wie sich die Zukunft für die Menschen in politischer, wirtschaftlicher, sozialer Hinsicht im Norden denn gestalten soll, und dies ist erforderlich, nicht nur um den Norden Malis zu stabilisieren, sondern letztlich auch Gesamt-Mali zu stabilisieren und damit auch die Region zu stabilisieren.

Schwarz: Anette Lohmann, Leiterin des Friedrich-Ebert-Büros in Mali, über eine mögliche Militärintervention im Norden des Landes. Frau Lohmann, vielen Dank für das Gespräch!

Lohmann: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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Marietta Schwarz: Seit einem Militärputsch im Frühjahr ist der Norden Malis in der Hand von Rebellen und radikalen Islamisten. Bilder von der Zerstörung des Weltkulturerbes in Timbuktu gingen um die Welt, ebenso wie Nachrichten über drakonische Strafen durch die Scharia. Der Westen befürchtet die Entstehung einer neuen Terroristenhochburg, die die gesamte Region gefährdet. Die EU berät deshalb mit der Afrikanischen Union, UN und der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas zurzeit in der Hauptstadt Bamako über einen Militäreinsatz. Dort, in Bamako, gibt es auch ein Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung, und deren Leiterin Anette Lohmann ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Lohmann!

Anette Lohmann: Guten Morgen!

Schwarz: Frau Lohmann, halten auch Sie eine militärische Intervention für die einzige Lösung?

Lohmann: Nein, es gibt durchaus noch andere Möglichkeiten. Die UN-Resolution 2071 sieht ja auch ausdrücklich neben einer militärischen Intervention einen politischen Prozess vor. Hier wird also ganz eindeutig ein zweigleisiges Vorgehen angestrebt. Klar ist, dass gegen die terroristischen Gruppierungen eine militärische Intervention vermutlich erforderlich sein wird, aber es gibt durchaus ernstzunehmende Hinweise, dass es seitens der beiden Tuareg-Gruppen Verhandlungsbereitschaft gibt, auf die man auch eingehen sollte.

Schwarz: Die beiden Tuareg-Gruppen sind zwei von insgesamt vier Rebellengruppen. Vielleicht können Sie kurz erläutern, wie die Standpunkte der anderen sind. Wo haben die Gemeinsamkeiten und wo unterscheiden die sich?

Lohmann: Es gibt vier Gruppen, zwei davon sind Tuareg. Die eine Tuareg-Gruppe hat ursprünglich einen eigenen Staat im Norden Malis gefordert, das ist mittlerweile auf Selbstbestimmung zurückgefahren worden. Die andere Tuareg-Gruppe ist eine islamistische Tuareg-Gruppe, die die Einführung von Scharia fordert und dies auch ja zum Teil schon umsetzt, und dann gibt es eben die beiden Ableger von dem terroristischen Netzwerk El Kaida, das ist einmal El Kaida im islamischen Maghreb, und davon dann noch mal ein weiterer Ableger. Die haben sicherlich Berührungspunkte, wenn es um die islamistischen Forderungen geht, aber man sollte die Unterschiede nicht überbewerten. Letztlich ist der Konflikt im Norden Malis ein Konflikt über Kontrolle, über die Kontrolle eines Gebietes, das sehr lukrativ ist. Da geht es um organisierte Kriminalität, da geht es um Drogenschmuggel, möglicherweise geht es auch um natürliche Ressourcen. Und insofern sollte man die offiziellen Gründe, die hier angegeben werden, auch nicht überbewerten, da es tatsächlich auch andere Interessen geben kann.

Schwarz: Der Norden des Landes nimmt ja immerhin zwei Drittel der Fläche ein von Mali. Hunderttausende Flüchtlinge versuchen, den Norden zu verlassen. Was wissen Sie denn, Frau Lohmann, über die aktuelle Lage dort?

Lohmann: In der Tat, man geht im Moment davon aus, dass etwa über 400.000 Menschen auf der Flucht sind oder intern vertrieben sind, sich also in anderen Landesteilen Malis aufhalten. Hinzu kommt, dass es eine Nahrungsmittelkrise gibt aufgrund der Dürre im letzten Jahr. Die Nahrungsmittel vor allem im Norden sind sehr teuer geworden, gleichzeitig ist es schwierig, an Bargeld zu kommen, da die Banken geschlossen haben, die öffentlichen Strukturen funktionieren nicht oder nur unzureichend, Schulen haben zum Beispiel geschlossen. Und das sind die konkreten Dinge, die den Menschen im Alltag Probleme bereiten, aber sie machen sich natürlich auch Sorgen. Sie machen sich natürlich Sorgen darüber, was mit ihnen passiert, sollte es zu einer militärischen Intervention kommen.

Schwarz: Bevor wir über die reden, noch mal eine ganz andere Frage: Mali galt ja bis vor Kurzem noch als Erfolgsmodell, ein Land, das alles richtig zu machen schien, Demokratie, moderater Islam – der Norden ist aber doch schon seit Jahren ein rechtsfreier Raum. Haben da die Geberländer, der Westen, die Augen verschlossen?

Lohmann: Die Probleme, die Mali im Norden hat, und die Konflikte, die jetzt eskaliert sind, sind in der Tat nicht neu, das ist richtig, aber das waren schon immer Konflikte, die auch über die Möglichkeiten Malis weit hinausgegangen sind, und das war auch immer schon klar, dass es sich hier um ein regionales Problem handelt, wenn nicht gar um ein internationales Problem, was jetzt eben eskaliert. Aber insofern kann man Mali da nicht alleine für verantwortlich machen, denn Mali ist nicht in der Lage, diese Probleme alleine zu lösen.

Schwarz: Sondern, wer kann die Probleme lösen?

Lohmann: Nun ja, also es muss zum einen natürlich einen gemeinsamen regionalen Ansatz geben, also das zeigt ja jetzt auch das Vorgehen in dem aktuellen Konflikt, dass nur gemeinsam mit anderen regionalen Akteurinnen und Akteuren der internationalen Gemeinschaft wird es möglich sein, jetzt entschlossen vorzugehen.

Schwarz: Und Frankreich hat eine sehr spezielle Rolle in diesem Konflikt, auch als ehemalige Kolonialmacht, hat sich ja auch für eine Intervention stark gemacht. Welche Interessen verfolgt also Frankreich?

Lohmann: Frankreich verfolgt ganz eindeutig Sicherheitsinteressen, denn schon vor einiger Zeit hat El Kaida im islamischen Maghreb Frankreich zum Ziel erklärt, es hat ihm den Krieg erklärt, und Frankreich ist natürlich durch seine große Präsenz seiner Bürger hier in der Region, durch seine Wirtschaftsinteressen da durchaus bedroht.

Schwarz: Welche Risiken, Frau Lohmann, birgt denn eine Intervention, von wem sie auch durchgeführt wird?

Lohmann: Zunächst einmal gibt es noch jede Menge unbeantwortete Fragen, die an so eine Intervention zu richten sind, und es ist noch überhaupt nicht geklärt, wann und unter welchen Umständen es zu einer Intervention kommen kann. Das Risiko ist natürlich die Eskalation eines Konfliktes um eine mögliche regionale Ausbreitung, also das, was man eigentlich vermeiden möchte, könnte im Umkehrschluss durchaus eintreten.

Schwarz: Das ganze hört sich nach einem längerfristigen Prozess an, nicht nach einer Sache, die in den nächsten Monaten geklärt sein wird.

Lohmann: Absolut, das ist völlig richtig. Natürlich gibt es eine kurz- bis mittelfristige Komponente, wo man darüber sprechen muss, wie man den Norden zurückerobern kann, da gibt es wie gesagt einen politischen Prozess, eine möglicherweise militärische Intervention, aber es wird nicht damit getan sein, einfach nur in An- und Ausführungszeichen "den Norden zurückzuerobern", sondern ganz grundsätzliche Fragen müssen beantwortet werden, wie sich die Zukunft für die Menschen in politischer, wirtschaftlicher, sozialer Hinsicht im Norden denn gestalten soll, und dies ist erforderlich, nicht nur um den Norden Malis zu stabilisieren, sondern letztlich auch Gesamt-Mali zu stabilisieren und damit auch die Region zu stabilisieren.

Schwarz: Anette Lohmann, Leiterin des Friedrich-Ebert-Büros in Mali, über eine mögliche Militärintervention im Norden des Landes. Frau Lohmann, vielen Dank für das Gespräch!

Lohmann: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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