Malen mit Worten

01.03.2013
Botho Strauß schreibt anders. Ihn interessieren flüchtige Momente, Splitter von Lebensläufen oder auch Träume. Darüber schreibt er kleine Skizzen von wenigen Zeilen oder auch längere Entwürfe von bis zu zehn Seiten, aus denen ein anderer Autor vielleicht schon einen Roman gemacht hätte.
Bücher von Botho Strauß muss man durchwandeln wie eine Gemäldegalerie: die Hände auf den Rücken gelegt, kontemplativ und leise, mit schweifender Konzentration. An manchen Bildern geht man achtlos vorbei, um plötzlich von einer Darstellung fasziniert und lange festgehalten zu werden.

Strauß malt mit Worten. Die Bilder, die er entwirft, sind Versuche, ohne Narration zu erzählen. Er will Geschichten entwerfen, die aber nicht dem Zwang einer Handlung folgen müssen. Zusammenhänge ergeben sich also allenfalls durch motivische Bezüge zwischen all den versammelten Einzelheiten. Zu entdecken sind kleine Skizzen von wenigen Zeilen, aber auch längere Entwürfe von bis zu zehn Seiten, aus denen ein anderer Autor vielleicht schon einen Roman gemacht hätte. Doch dafür interessiert Strauß sich nicht.

Zu entdecken sind flüchtige Momente, Splitter von Lebensläufen, sehr häufig Szenerien mit Mann und Frau, Landschaftsskizzen, aber auch Träume und Innenräume. Die Bilder verweisen gezielt zurück auf den Betrachter, indem sie immer wieder den Blick selbst in den Blick zu nehmen versuchen: Wie eine Frau einen Mann von der Seite ansieht und was sie damit zu erkennen gibt. Oder, in einem anderen Bild, wie ein Mann einer ehemaligen Geliebten auf die "Hinterbacken" schaut und von einem dritten dabei beobachtet wird: "Ich sah den Mann sie sehen." Solche Momente reichen Strauß völlig aus, um aus der genauen Analyse des Augenblicks und der zugehörigen Gedanken und Gefühle die ganze Geschichte erahnbar zu machen. Erzählen muss er sie nicht mehr; es ist ja sowieso immer dieselbe, alte Geschichte.
Eine der längeren Passagen handelt nicht zufällig von einem Streitgespräch über Malerei. Er, der Mann, möchte seiner Frau einen Maler nahe bringen, der sich auf flächige Kompositionen in Weißgrau spezialisiert hat. Ihn faszinieren die Nuancen und Zwischentöne, die da entstehen, sie hält das für epigonal und zweitklassig. In seinem Ärger über ihre Ablehnung wird vieles von dem deutlich, worum es Strauß geht: Um die Zurückweisung alles Modischen, Zeitgebundenen, Handhabbaren. Um die Verachtung debattenhafter Gesellschaftlichkeit. Er bevorzugt stattdessen eine Sprache der Fremdheit und der Sparsamkeit, oder, wie er es formuliert, "Sprache als klar artikulierte Unverständlichkeit."

Die Frage ist, ob man einem Erzähler, der das Erzählen hinter sich lässt, oder einem Dichter, der das Unverständlichsein rühmt, folgen kann und will. Das erste Bild des Buches zeigt eine blinde Frau in einem hellen Kinosaal, der von zwei Männern in atemlosem Flüstern ein Filmkunstwerk heraufbeschworen wird, auch wenn auf der leeren Leinwand nichts zu sehen ist. Im letzten Bild entwirft sich der Erzähler als ewig unreifen Knaben, der verlorene Gegenstände vom Boden aufsammelt und sich eine verführerische Wirklichkeit dazu ausdenkt: "Der, was er fand, erfand." Dazwischen entfaltet Strauß seine "Fabeln von der Begegnung", die aber, als Begegnungen zwischen den Geschlechtern, immer zugleich auch von Verwirrung, Fremdheit, Auseinandergehen handeln. Ihm in diese Nahaufnahmen hinein zu folgen heißt, sich einzulassen auf die Distanzen, die sich dem klaren Blick erschließen.

Besprochen von Jörg Magenau

Botho Strauß: Die Fabeln von der Begegnung
Hanser Verlag, München 2013
244 Seiten, 19,90 Euro
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