Malaika-Kinderheim in Kenia

Sinn und Glück in der Gemeinschaft finden

29:46 Minuten
Kleine afrikanische Kinder haben sich in einer Reihe aufgestellt und bilden eine Kette, mittels derer Ziegelsteine für den Bau der Mädchentoiletten transportiert werden.
Auch die Kleinen fassen im Kinderheim Malaika mit an. © Deutschlandradio / Uli Ziegler
Von Ulrich Ziegler · 19.01.2020
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Das Ehepaar Asuna und Willy Schneider – sie aus Kenia, er aus dem Schwarzwald – hat 120 Kinder. Seit über 25 Jahren betreiben die beiden mit Unterstützung von deutschen Spendern das Malaika-Kinderheim – ein Auftrag von Asunas Mutter.
Die kleine Silvia, gerade mal sieben Jahre alt, singt aus vollem Herzen. Jeremia, ihre ältere Schwester, trommelt auf einer Konga. Ein Empfangskomitee von 40 Kindern und Jugendlichen – alle nennen sich Geschwister – wartet vor dem Flughafengebäude von Kisumu, direkt am Victoriasee, auf ein Pfarrersehepaar aus dem Schwarzwald. Ihre Eltern. "Mama Asuna" und "Papa Willy" – wie sie hier von allen genannt werden – sind nach 16-stündiger Reise im Westen Kenias angekommen. Hier lebt ihre riesige Familie. Es ist ihr Lebenswerk. Endlich hat das Gepäckförderband die Koffer ausgespuckt. Willy und Asuna Schneider kommen aus dem Flughafengebäude und breiten ihre Arme aus. Die Kinder rennen auf sie zu. Alle umarmen sich.

Jedes Kind ein Einzelschicksal

Etwas übermüdet steigen die Schneiders in den gelben Schulbus, der sie die letzten 60 Kilometer zu ihrem Kinderheim fahren wird. Zunächst auf einer gut ausgebauten Asphaltstraße. Später über eine holprige Lehmstraße. Immer Richtung Norden nach Kakamega.
In bunten Kleidern stehen die Heimkinder vor der Schule des Kinderdorfs.
Empfangskomitee für Asuna und Willy Schneider: die Kinder aus dem Malaika-Kinderheim© Deutschlandradio / Uli Ziegler
Die Fahrt wird zur Party. Eine Stunde lang trommeln und singen Silvia, Jeremia und all die anderen im Bus, bis sie das Malaika-Kinderheim erreicht haben. Ein Kinderdorf mit Schlafräumen, mit einer Grundschule, mit Küche, Aula, Fischteich, Gemüsegarten und Obstplantage. Das weitläufige Gelände ist seit über 25 Jahren ein sicherer Hafen für über 100 ehemalige Straßenkinder, für Waisen und Halbwaisen. Für Jungen und Mädchen, deren Mütter noch Kinder oder Jugendliche waren, als sie selbst schwanger wurden.
Jedes Kind ein Einzelschicksal. Jedes Kind mit seiner eigenen Geschichte. So wie Viktor. Dass Viktor heute ein sportlicher, gesunder junger Mann ist, ist nicht selbstverständlich. Es hätte auch anders kommen können, erzählt Asuna und drückt ihn fest an sich:
"Mein Bruder war krank, und ich habe ihn ins Krankenhaus gebracht. Und dann war da ein Kind, das die Mutter im Krankenhaus hat liegen lassen. Und dann, als die Krankenschwestern mich sahen, sagte eine: ‚Ach, diese Frau hat ein Kinderheim, sie wird dieses Kind nehmen'. Und dann habe ich Ja gesagt. Das Kind war zweieinhalb und jetzt ist er 25 Jahre alt. Er ist noch im Kinderheim, hat keine Familie, und wir können ihn nicht einfach wieder auf die Straße setzen."
Die Kenianierin Asuna, ihr Mann Willy und eine Nichte Asunas stehen untergehakt da.
Asuna und Willy Schneider mit einer Nichte.© Deutschlandradio / Uli Ziegler
Asuna ist heute 72 Jahre alt. Eine selbstbewusste Frau. Die schwarzen Haare streng zurückgekämmt. Als Viktor ins Heim kam, war sie Ende vierzig und lebte bereits mit Willy, ihrem Mann, als Pfarrersfrau im Schwarzwald. Damals waren nur halb so viele Kinder in dem Heim, auf viel kleinerem Gelände. Asuna hat dann im Grunde nur das fortgesetzt, was ihre Mutter begonnen hatte, die ihr ganzes Leben in dem kenianischen Dorf verbrachte. Später will Asuna ausführlich von ihrer Mutter erzählen. Jetzt, nach der Ankunft, zieht es sie erstmal an den Ort ihrer Kindheit, mit dem sie so vieles verbindet. Runter zum Fluss.

Wasserholen am Fluss ist Frauensache

"Viele Jahre war ich nicht hier. Wasser holen, das ist eine Arbeit für Mädchen und Frauen. Hey, ich weiß nicht, ob wir überhaupt am Fluss ankommen. Wir versuchen es."
Der Weg hinunter zum Bach ist glatt und steinig. Ein kleiner Wald schützt vor der heißen, afrikanischen Sonne. Einige neugierige Kinder begleiten Mama Asuna. Vorsichtig setzt die ältere Dame Fuß vor Fuß auf den Pfad, den sie früher mit anderen Mädchen hinuntergerannt ist:

"Wo wir jetzt gehen, da haben wir früher Wasser geholt, zwanzig Liter auf dem Kopf, bis zu drei Kilometer. Aber jetzt haben wir genug Wasser im Kinderheim. Wir haben einen Tiefbrunnen gegraben, 60 Meter."
Unten an dem kleinen Bach angekommen, freut sich Asuna, dass die Wasserentnahmestelle endlich mit Beton eingefasst wurde. Kritisch prüft sie, ob die Arbeiter alles ordentlich verputzt haben – und ist zufrieden. Für die Frauen ist es jetzt einfacher Wasser zu schöpfen, sagt sie und erinnert sich an ihre eigene Jugend:
"Da hab ich immer früher, wo ich klein war, Wasser geholt. Hier ist Zuhause von kleinem Kind bis jetzt. Meine Mutter war mit den ganzen Kindern hier, meinen Schwestern, meinen Brüdern, und da musste ich viel meiner Mutter helfen. Das hab ich dann getan, habe viel genäht, viel verkauft, habe auch Maisschnaps gekocht und verkauft, dass meine Brüder und Schwestern zur Schule gehen konnten."
Den Rückweg säumen dichte Hecken, hinter denen sich kleine Lehmhäuser mit roten Wellblechdächern verstecken. Eine ältere Dame erntet in ihrem Gemüsegarten einige Kohlblätter. Es ist Asunas ehemalige Nachbarin. Die beiden Frauen erkennen sich, lächeln sich an und plaudern auf Suaheli.
"Sie hat Probleme und sie hat Bäume, und sie fragt, ob ich diese Bäume kaufen kann. Ja, wir brauchen Holz, weil wir mit Holz kochen."
Asuna nickt. Morgen wird jemand vorbeischauen, um die Details zu klären, verspricht sie und verabschiedet sich.
Eine Gruppe afrikanischer Jungen hat Gartengeräte geschultert.
Jungen bei der Gartenarbeit: Bald sollen neue Bäume gepflanzt werden.© Deutschlandradio / Uli Ziegler
Im Kinderheim geht inzwischen jeder seiner Arbeit nach. Die Älteren haben Küchendienst, schrubben Töpfe und Teller. Weiter hinten auf dem Gelände harken und jäten die Jüngeren den Boden des Gemüsegartens. Denn bald sollen neue Bäume gepflanzt und Bohnen ausgesät werden. Die Kleinen schaukeln auf dem Spielplatz, und auf Willy Schneider warten bereits die Bauarbeiter. Endlich, so erzählt er, werden für die Mädchen neben den Schlafräumen Außentoiletten gebaut, damit sie nicht mehr nachts über das halbe Gelände laufen müssen.
Willy Schneider hat seine Schiebermütze auf seine Halbglatze gesetzt, um sich vor der Mittagssonne zu schützen. Bestens gelaunt steht der ein Meter achtzig große, bodenständige Badener auf der Baustelle, scherzt und fachsimpelt mit den Arbeitern auf Englisch und Suaheli – er spricht die Sprache der Einheimischen.
Als junger Pfarrer hat der bald 73-Jährige viele Jahre in Afrika gelebt und gearbeitet. Und mit der Bezeichnung "Pfarrer im Ruhestand" konnte er noch nie etwas anfangen.
Er nennt sich "Pfarrer in Rufweite" und lacht. Aufgehört zu arbeiten hat er nie. Die Gruben für die Mädchentoiletten sind bereits ausgehoben, die Mauern aus Ziegelsteinen auf zwei Meter hochgezogen. Willy ist mit dem Baufortschritt zufrieden. Asuna ist etwas skeptischer.
Für dieses größere Projekt hatte Willy einen Förderantrag beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gestellt und die Mittel bewilligt bekommen. Das Antragswesen ist kompliziert, aber er hat sich da reingefuchst. Den anderen Teil haben Spender aus Deutschland finanziert.

Als Spendensammler ist Willy unschlagbar

Als Spendensammler ist Willy Schneider aus dem Schwarzwald unschlagbar. Gut vernetzt gelingt es ihm, jedes Jahr über 200.000 Euro für das Kinderheim einzusammeln. Willy Schneider schmunzelt. Jetzt möchte er die örtliche Polizeistation besuchen. Asuna, mit der er seit 40 Jahren verheiratet ist, kommt selbstverständlich mit. Im schwarzen Hosenanzug, elegant wie eine Geschäftsfrau, hakt sie sich bei ihm unter.
Eine sumpfige Wiese am Seeufer.
Auf der kenianischen Seite des Victoriasees: Den fast 70.000 Quadratkilometer großen See teilen sich die Staaten Tansania, Uganda und Kenia.© Deutschlandradio / Uli Ziegler
Entlang der belebten, staubigen Hauptstraße stehen auf den kleinen Grundstücken viele Rundhütten. Aber es gibt aber auch größere, gemauerte Gebäude, die alle ähnlich aussehen. Nur ein Gebäude fällt aus dem Rahmen, weil der Sockel in den Farben Schwarz, Rot und Gold gestrichen ist. Es ist die örtliche Polizeistation.
Die Eingangstüre zum Hauptgebäude ist für alle weit geöffnet.
Zwei Polizeibeamte sitzen hinter ihren Schreibtischen, tragen weder Uniform, noch haben sie eine Waffe bei sich und freuen sich über den Besuch aus Deutschland. Einer der beiden Polizisten erzählt:
"Bevor es diese Polizeistation gab, eine Spende von Mama Asuna und Papa Willy, gab es hier viel Unsicherheit. Denn die Regierung hatte kein Grundstück hier, auf dem sie eine Polizeistation hätten errichten können, damit die Leute hier in Sicherheit ihrer Arbeit nachgehen können."
Das Geld für das Grundstück und das Gebäude kam aus Deutschland. Genauer gesagt von Willy Schneider persönlich, erzählt Asuna und greift nach der Hand ihres Mannes:
"Es ist eine Spende von meinem Mann Willy Schneider. Er nahm einen Kredit auf das Haus seiner Mutter im Schwarzwald auf, damit wir das Gebäude hier bauen konnten. Manchmal bin ich wirklich richtig stolz auf die Polizeistation, denn alle Projekte, die wir hier ins Leben gerufen haben, können irgendwann wieder verschwinden, aber diese Polizeistation nicht."
An eine Wand ist eine Deutschlandfahne gemalt, darüber die Aufschrift "The construction of this home was made possible by donations from German friends".
Mit deutschen Spendengeldern finanziert: die örtliche Polizeistation.© Deutschlandradio / Uli Ziegler
Den Schneiders war schnell klar, dass der Ort eine Polizeiwache brauchte, um der damals hohen Kriminalität Einhalt gebieten zu können. Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit in Kenia. Und eine Polizeiwache, die rund um die Uhr besetzt ist, auch nicht.
"Wir danken Ihnen, weil wir uns jetzt ohne Angst bewegen können. Früher trauten wir uns abends, nach sieben Uhr, nicht mehr ohne Angst auf die Straße. Wir hätten getötet werden können. Nicht einmal zu Hause konnte man ein Auto sicher abstellen, es wäre gestohlen worden. Und ich hätte auch keinen Besucher wie Sie aus Deutschland zu mir nach Hause einladen können. Es war zu gefährlich."
Und der Polizist findet:
"Diese Hilfe ist nicht nur wichtig für die Menschen im Ort. Auch für die Kinder im Heim. Sie haben keine Eltern, brauchen unbedingt Sicherheit. Die Schule braucht Sicherheit, die Dorfbewohner brauchen Sicherheit und die Gemeinschaft als Ganzes auch."
Inzwischen gehört das Grundstück samt den Gebäuden der Kommune. Die Polizisten werden vom Staat bezahlt. Und das Dorf lebt in Sicherheit. Die Schneiders verabschieden sich. Sie wollen zurück zu ihren Kindern. Außerdem sieht man sich morgen sowieso wieder, beim gemeinsamen Gottesdienst in der Nachbargemeinde.
Auf dem Gelände des Kinderheims warten die Kinder vor der Versammlungshalle.
Alle sind ein bisschen aufgeregt, denn Purity, ihre 23 Jahre alte große Schwester, hat sich angekündigt. Die älteren Kinder kennen sie noch von früher, als sie noch im Heim lebte. Die Jüngeren haben viel von ihr gehört. Asuna erinnert sich:
"Die Purity kam mit ihrer Schwester, sie war zwei, beide waren HIV-positiv, und die Mutter war schon tot, der Vater auch. Die älteste Schwester ist gestorben, aber Purity ist gesund geblieben. Und jetzt ist sie fertig mit der Universität, sie hat jetzt Masters in Mathematik und Business."
Eine junge afrikanische Frau in blauem Shirt
Purity kam als zweijährige AIDS-Waise ins Kinderheim und hat jetzt einen Universitätsabschluss in Mathematik.© Deutschlandradio / Uli Ziegler
Asunas Augen blitzen. Sie ist stolz auf ihre Adoptivtochter.
Stolz darauf, dass Purity ihre letzten Prüfungen vor wenigen Tagen mit Erfolg bestanden hat. Das Wichtigste aber ist, dass Purity den Jüngeren als Vorbild dient.
In der Aula sitzen alle dicht beisammen. Auch Freunde und Bekannte sind zur Feier des Tages gekommen. Die Jüngsten sind schon auf der Bühne. Jeweils zu fünft haben sie vier kleine Kreise gebildet, sitzen in der Hocke und warten, bis alle im Saal ihren Platz eingenommen haben, damit sie mit ihrer Aufführung beginnen können. Purity sitzt vorne im blauen Kostüm, kerzengerade und konzentriert neben Mama Asuna und Papa Willy.

Purity kommt als gemachte Frau zurück

Auch Asuna hat sich schick gemacht. Sie trägt eine frisch gebügelte schwarze Bluse und um den Hals eine feine Silberkette. Und Papa Willy hat den schwarzen Anzug aus dem Koffer geholt. Nach der Begrüßung der Jüngsten geht Purity nach vorne auf die Bühne und nimmt das Mikrofon in die Hand.
"Meine Brüder und Schwestern, guten Abend. Ich bin eine Eurer Schwestern. Ich kam hierher, als ich noch sehr jung war. Gerade mal zwei Jahre alt. Jahrelang haben sich Mama Asuna und Papa Willy gut um mich gekümmert. Sie haben mich unterstützt und mir geholfen, zu der zu werden, die ich heute bin."
Im Saal ist es mucksmäuschenstill. Alle spüren den besonderen Moment.
Purity, ihre Schwester, hat es geschafft. Und weil die künftige Mathematiklehrerin und begeisterte Fußballspielerin weiß, dass sich manche ihrer Geschwister im Unterricht mit Zahlen schwer tun, will sie ihnen Mut machen:

"Manche von euch können mit Zahlen wenig anfangen. Aber ich sage euch, Mathe ist das beste Spiel, das ihr spielen könnt. Und Bildung das größte Geschenk, das ihr hier bekommen könnt. Nutzt die Gelegenheit, damit ihr auf eignen Füßen steht. Hier habt ihr die einmalige Chance, euer eigenes Fundament zu bauen."
Ihre Rede hält sie abwechselnd auf Suaheli und auf Englisch.
Dann spricht sie Asuna und Willy Schneider direkt an und bedankt sich mit wenigen Worten.
"I was a nobody, when I came here. I am because of you, thank you."
Alle gehen auf die Bühne: Puritys Geschwister, die Mitarbeiter des Heims, Asuna und Willy. Sie fassen sich alle an den Händen und singen gemeinsam und aus vollem Herzen.

900 Menschen kommen zum Gottesdienst

Zwölf Stunden später, es ist Sonntagmorgen, kurz vor Sonnenaufgang. Es riecht nach feuchtwarmer Erde. Noch ist die Luft frisch und kühl. Die Schneiders sind bereits auf den Beinen, denn in einer Stunde, um sieben, beginnt der Gottesdienst in der drei Kilometer entfernten Nachbargemeinde. Die Malaika-Kinder haben sich schon mit Beginn der Morgendämmerung zu Fuß auf den Weg gemacht. Die Schneiders nehmen das Auto.
Bereits vor dem Gotteshaus hört man Musikproben. Die Kirche ist schon eine Viertelstunde vor Beginn des Gottesdienstes nahezu voll besetzt. Rund 900 Besucher sitzen in langen Reihen. Für Asuna und Willy gibt es vorne noch zwei freie Plätze, die Kinder drängeln sich hinter ihnen. Ministranten schwingen ihre Weihrauchfässer – dann tritt Pater Douglas im lila Gewand vor die Gemeinde. Alle erheben sich zum gemeinsamen Gebet.
Pater Douglas im violetten Gewand bei der Predigt.
900 Gottesdienstbesucher - davon kann manche deutsche Gemeinde nur träumen.© Deutschlandradio / Uli Ziegler
Seine Predigt hält der junge Pfarrer abwechselnd auf Suaheli, der offiziellen Landessprache, und auf Luhyia, der Sprache, die hier im Westen Kenias gesprochen wird. Dann plaudert er mit den Besuchern über dies und das. Manche lachen laut, andere kichern still vor sich hin.
Fast zwei Stunden dauert der Gottesdienst. Zwei Stunden lang wird gepredigt, gelacht, gescherzt, gesungen und getanzt. Zum Schluss treten die Malaika-Kinder auf die Bühne. Begleitet vom Chor und dem Schlagzeuger verabschieden sie die Gemeindemitglieder in die neue Woche.
Draußen vor der Kirche schüttelt der junge Pater viele Hände. Als er das Ehepaar Schneider sieht, spricht er sie direkt an:
"Wir beten dafür, dass der Herr die Werke eurer Hände segne, dass er die Kinder segne, um die ihr euch kümmert, sodass sie eines Tages das Licht der Welt sein können, worüber heute in der Predigt gesprochen wurde."
Über Asunas Gesicht huscht ein stolzes Lächeln. Auf dem Weg zum Auto winkt sie dem jungen Pater noch einmal zu. Ein äußerst attraktiver Mann, findet sie. Als sie die Autoschlüssel aus der Tasche fischt, dreht sie sich zu Willy um und lacht:
"Der katholische Priester heiratet nicht."
"Er kriegt nur Kinder!"
"Nein, nein, der bekommt keine."

Essen aus dem Gemüsegarten und dem Fischteich

Auf dem Gelände des Kinderdorfes sind am Nachmittag alle beschäftigt. Die Älteren waschen im Freien in einem Trog ihre Wäsche. Die Jüngeren sind mit Calvin, dem Sozialarbeiter, im Gemüsegarten. Das Unkraut ist gejätet, die Pflanzlöcher sind fertig, jetzt sollen die neuen Mangobäume eingepflanzt werden:
"Landwirtschaft ist sehr wichtig. Wir kaufen auch kein Gemüse, vielleicht mal Fleisch. Aber Gemüse kaufen wir nicht. Wir haben viel Kohl gepflanzt. Und es ist wichtig, dass die Jüngsten den Anbau lernen, damit sie es mit Leidenschaft tun, so wie ein Hobby. Denn hier wird überall Landwirtschaft betrieben."
Calvin ist mit Leib und Seele bei seiner kleiner Gärtnertruppe, die – barfuß mit Harken in den Hand – mit der Pflanzaktion beginnen will.
"'Macht Euch die Arbeit Spaß?' 'Ist das Kinderarbeit oder etwas was ihr gerne macht?' 'Etwas, was wir gerne machen.' Wenn sie im Garten mitgearbeitet haben, fühlen sie sich verantwortlich und sind stolz. Man kann es in ihren zufriedenen Gesichtern lesen. Sie spüren, dass sie etwas Gutes gemacht haben. Wir wollen sie so erziehen, dass sie ein Verantwortungsgefühl entwickeln."
Eine Gruppe von afrikanischen Jungen und ihr Sozialarbeiter mit Gartengeräten im Gemüsegarten.
Mit den jüngeren Kindern arbeitet Sozialarbeiter Calvin im Gemüsegarten.© Deutschlandradio / Uli Ziegler
Dieses Stück Land, auf dem jetzt Obst und Gemüse gedeiht, haben die Schneiders vor einigen Jahren von ihrer Nachbarin Margrit gekauft. Margrit war damals schon 93 Jahre alt und wurde ein Teil der großen Familie, erzählt Asuna, die bei der Pflanzaktion zuschaut:

"Wir haben dieses Grundstück gekauft, aber das Grab von ihrem Mann war auf diesem Grundstück. Die Oma hat gesagt, sie geht nicht. Sie bleibt im Kinderheim. Wir haben gesagt: Ach, das ist gut, dass die Kinder eine Oma im Kinderheim haben. Und das war so ein schönes Leben mit den Kindern. Sie ist mit 106 Jahren gestorben."
Ihre letzten dreizehn Lebensjahre verbrachte Oma Margrit im Kreise der riesigen Familie, bevor sie auf dem Grundstück neben ihrem Mann ihre letzte Ruhe fand.
"Die Kinder haben sich immer gefreut. Und sie hat immer so richtig Gemüse für die Kinder gekocht. Wenn sie Gemüse kochte, waren die Kinder immer ganz happy."
Für die Neuanpflanzungen haben Vallery, Jacinta und Eusebia – mit sieben Jahren die Jüngsten im Heim – frische Komposterde geholt und sie neben die Pflanzlöcher geschüttet. Sie sind mächtig stolz, dass Calvin ihnen diese wichtige Aufgabe übertragen hat. Calvin, den 30 Jahre alten, sportlichen und immer gut gelaunten Mann, finden sie einfach toll.
Seit zwei Jahren ist er als Sozialarbeiter immer für die Jüngsten da.
Montags bis freitags, rund um die Uhr. Nur am Wochenende fährt er zu seiner eigenen Familie, die einige Kilometer entfernt vom Kinderheim lebt. Die kleinen Gärtner stellen sich nun im Halbrund um Calvin auf. Dann erklärt er ihnen nochmal, dass sie die Pflanzlöcher, nachdem sie die kleinen Mangobäume eingesetzt haben, nicht wieder vollständig zuschütten dürfen:
"Wir brauchen die Löcher, damit sich Regenwasser rund um die Bäume sammelt, damit die Pflanzen während der Regenzeit immer feucht sind. Hier haben wir Mangos, Orangen, Zitronen und Passionsfrüchte. Die Passionsfrüchte wachsen wunderbar. Im April, Mai beginnen wir mit der Ernte."
Mehrere Jungen sind in einem Fischbecken, wo sie versuchen, die Fische mit Moskitonetzen zusammenzutreiben.
Mit Moskitonetzen treiben die Jungen die Fische vor sich her.© Deutschlandradio / Uli Ziegler
Nach Ende der Pflanzaktion rennen die Kleinen hinüber zum Fischteich. Heute sollen die Tilapia-Barsche, die vor drei Monaten als Fingerlinge eingesetzt wurden, geerntet werden. Das Becken, ungefähr so groß wie ein Schwimmbad, ist komplett mit Netzen überspannt, damit die Fischreiher den Teich nicht leer fischen. Das scheint zu funktionieren. Denn unter den Netzen wimmelt und wuselt es.
Brusttief stehen die älteren Jungen und Mädchen im Becken und treiben die Fische mit alten Moskitonetzen vor sich her. Willy Schneider steht am Beckenrand und hofft auf eine reiche Ernte.
"150 bis 200, 250 Fische, wenn man erntet, das ist also immer sehr ergiebig."
Noch vor wenigen Tagen wurde das Frischwasser mit Hilfe einer solarbetriebenen Pumpe aus dem Brunnen in den Teich gepumpt. Jetzt, mit Beginn der Regenzeit, läuft frisches Regenwasser von den Dächern der Gebäude in das Becken. Zuvor aber wurde das nitrathaltige Wasser aus dem Teich auf die Gemüsebeete geleitet. Denn die Ausscheidungen des Einen sind die Nährstoffe des Anderen, erklärt Calvin.
"So, the used water goes to the vegetables, the dirty water that comes from the fishpoint, goes to the vegetable."
Tote Fische liegen aufgestapelt da.
250 Fische - Willy Schneider rechnet mit reicher Beute beim Fischfang.© Deutschlandradio / Uli Ziegler
Am Abend wird es für alle ein Festessen geben. Eine willkommene Abwechslung. Denn frischer Fisch oder gar Fleisch stehen selten auf der Speisekarte im Kinderheim. Auch die Handwerker, die in den vergangenen Tagen fleißig auf dem Gelände gearbeitet haben, sind zum gemeinsamen Essen eingeladen.

Der Schwarzwald als zweite Heimat. Oder als erste?

Morgen wird das Ehepaar Schneider wieder zurück nach Deutschland fliegen. Zwei- oder dreimal im Jahr sind die beiden für einige Wochen in Kenia. Ansonsten im Schwarzwald, wo ihr anderes Zuhause ist, und wo Willy und Asuna einen Freundeskreis aufgebaut haben, der das Malaika-Kinderheim tatkräftig mit Geldern unterstützt.
"Spenden macht der Willy, alles, aber glücklicherweise habe ich meinen Bruder hier und die Mitarbeiter im Kinderheim, die einfach anrufen oder eine E-Mail schreiben. Das geht ganz gut. Und ich bin dann drei Monate in Deutschland und einen Monat in Kenia. Und ich weiß ganz genau, wohin das Geld geht, das als Spende kommt. Und für die Kinder und für mich ist wichtig, dass sie ein Zuhause haben, Essen haben, Kleidung haben, zur Schule gehen und dann eine Ausbildung machen."
Vor dem gemeinsamen Abendessen wollen die Schneiders noch einmal zum Grab von Mama Maria, Asunas Mutter. Und endlich erzählt Asuna von den Anfängen des Kinderheims. Ihre Mutter, Mama Maria, war es, die vor vielen Jahren die ersten Waisenkinder in ihre Familie aufgenommen hatte. Und nach ihrem plötzlichen Tod vor 26 Jahren stellte sich die Frage, wie es denn nun mit den Kindern weitergehen kann.
"Wir waren alle zusammen und wir haben darüber gesprochen, und wir haben gesagt: Wir machen weiter. Die große Hilfe war der Willy Schneider, mein Mann. Er hat gesagt, er macht mit. Das war 1994 im Januar. Ich war schon in Deutschland, im Schwarzwald. Wir haben so viele Leute dort, die uns geholfen haben. Immer wenn wir etwas gebraucht haben, waren sie da."
Asuna im weißen Kleid und Willy im karierten Hemd stehen vor einem Lehmofen im Freien, der noch im Bau ist.
Asuna und Willy betrachten die Baustelle eines Lehmbrotofens.© Deutschlandradio / Uli Ziegler
Gemeinsam mit Asuna steht Willy Schneider am Grab seiner verstorbenen Schwiegermutter, mit der er sich wunderbar verstanden hat. Er schaut auf die kleine Kapelle, die Asuna für ihre Mutter errichten ließ und erinnert sich.
"Wie hat mir das einer erklärt in der Nacht, als Mama Maria gestorben ist? 'Siehst du dort die Hälfte des Mondes? Das ist der sichtbare Teil, und der andere gehört dazu, ergibt ein Ganzes. Das sind die Toten, sie scheiden nicht aus aus der Gemeinschaft.'"
Der Pfarrer aus dem Schwarzwald faltet die Hände. Er weiß, dass er hier irgendwann seine letzte Ruhestätte finden wird. Die Schwiegermutter wollte es so.
"Hier, das ist mein Grab, das sie mir zugewiesen hat, vor 25 Jahren. Wenn ich hier bin, dann nehme ich die Kinder mit, dann sitze ich hier auf meinem Grab und erzähle ihnen Geschichten vom Leben."
Asuna steht neben ihm, blickt ihn an und witzelt:
"Mama hat ihm gezeigt, wo sein Grab sein wird. Aber ich habe zu Willy gesagt: 'Du wirst hier in Afrika beerdigt, aber ich in Deutschland, ich bin Deutsche!'"
Aber noch sind die beiden da – sozusagen in Rufweite. Eine Übergabe ist noch nicht geregelt. Es gibt viele verantwortungsvolle Mitarbeiter aus der großen Familie Asunas, die für das Projekt brennen. Es gibt Ehemalige wie Purity, die eines Tages vielleicht das Heim leiten werden. Und im Schwarzwald gibt es Menschen, die seit Jahren das Malaika-Kinderheim begleiten, weil sie sich mit dem "Virus Africanus" angesteckt haben.
So wie Willy Schneider, der sich als junger Pfarrer Ende der 60er-Jahre bei seinem ersten Afrikaeinsatz in Tansania damit infiziert hat:

"Der Virus Africanus, das ist das Glückseligsein in der Gemeinschaft, und das hat eine absolut heilende Wirkung. Man lebt sinnerfüllter dadurch, die Sinnerfahrung des Tuns bekommt eine ganz andere Qualität, und das macht das Leben lebenswert."
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