Maerz-Musik-Festival: "Tele-Visions"

Die Lücken der Geschichtsschreibung füllen

10:16 Minuten
Film Stills aus Fernsehproduktionen zeitgenössischer Musik, Maerz Musik 2019 der Berliner Festspiele
So sieht Avantgarde aus: Filmstills aus Fernsehproduktionen zeitgenössischer Musik. © Foto: Berliner Festspiele
Berno Odo Polzer im Gespräch mit Max Oppel  · 25.03.2019
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Das Festival "Tele-Visions" zeigt die musikalische Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Vor allem wolle man damit ihre Vielfalt sichtbar machen, meint Festivalleiter Berno Odo Polzer, denn die sei in der Geschichtsschreibung verloren gegangen.
Neue Musik fand und findet auch im Fernsehen statt: Das Maerz-Musik-Festival in Berlin zeigt im Rahmen des Projekts "Tele-Visions", wie die musikalische Avantgarde des 20. Jahrhunderts im Fernsehen erzählt wird: In Dokus, Porträts, Konzertmitschnitten, Talkshows, Fernseh-Opern und anderen Formaten. "Tele-Visions" zeigt Schätze aus über 40 Fernseharchiven und will einen kritischen Blick auf die Darstellung der Neuen Musik in einem Massenmedium werfen – ein Medium, das selbst historisch und im Verschwinden begriffen ist, wie es im Programm heißt.

Tiefenschärfe des Geschichtsbildes angestrebt

"Es geht um eine Tiefenschärfe des Geschichtsbildes", sagt Maerz-Musik-Festivalleiter Berno Odo Polzer im Deutschlandfunk Kultur. "Denn wenn man sich die Kataloge der Fernseharchive ansieht, dann schmilzt die reale Vielfalt der musikalischen Avantgarde zusammen auf eine Handvoll Namen, die dann stellvertretend für den ganzen musikalischen Fortschritt und die Ideenvielfalt dieser fünf Jahrzehnte stehen." Das sei nicht nur ungerecht, sondern stelle auch einen großen Verlust dar, meint er.
"Perfect Lives. An Opera for Television" von Robert Ashley gilt als eines der einflussreichsten Musik-Theater-Stücke der 1980er-Jahre. "Der Begriff 'Oper' ist da vielleicht in Frage zu stellen", sagt Polzer. Aber das Besondere war eben, dass das Stück komplett aus dem Medium Fernsehen heraus gedacht worden war.
"Das Format, die Sprache, der Umgang mit Sprache, die Bildwelten haben ikonisch für die späten 70er-Jahre etwas formuliert und entsprechend ist sein Einfluss sehr groß."
Im Groben könne man sehen, wie der Innovationswille und wie die Experimentierfreudigkeit in Richtung der 90er-Jahre abnimmt – in gleichem Maße, wie die Produktionsbudgets abgenommen hätten, sagt Polzer. Doch darunter fanden sich "unglaublich subversive, gesellschaftskritische Arbeiten auf sehr hohem Niveau", meint Polzer – auch aus der DDR. Das seien "höchst regimekritische Arbeiten, die häufig in kodierter Art und Weise, aber teilweise erstaunlich offen Kritik üben."

Wachstumszyklus des Fernsehens ablesbar

"Mir geht es in erste Linie eigentlich darum, diese simplen Narrative, die unser Bild dieser Vergangenheit prägen, zu destabilisieren. Wir wollen diese Geschichtsschreibung nicht durch eine neue Geschichtsschreibung ersetzen, sondern eher diese Lücken, diese Risse zeigen und in diesen Lücken kann sehr viel wachsen an tieferem Verständnis der Gegenwart."
Daran könne man den Wachstumszyklus dieser Institution Fernsehen ablesen, meint Polzer. Deshalb reiche die Schau nur bis in die 90er-Jahre: Da tauche ein neues Medium auf, das Internet – ein völlig neues Kapitel der Geschichtsschreibung.

(inh)

Das Maerz-Musik-Festival findet vom 22. bis zum 31. März 2019 in Berlin statt.

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