"Männer können in einer Krise gefährlich werden"

Ute Scheub im Gespräch mit Katrin Heise · 08.03.2010
Die globalen Probleme seien nur mit gleichberechtigten Frauen und Männern zu meistern, sagt Journalistin Ute Scheub. Passend zum Internationalen Frauentag ist ihr Buch "Heldendämmerung: Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist" erschienen.
Katrin Heise: Da erscheint heute zum Internationalen Frauentag ein Buch einer Autorin mit dem Titel "Heldendämmerung: Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist". Da wir ja nicht glauben, das Erscheinungsdatum sei ein Zufall, haben wir die Autorin eingeladen. Sie ist Publizistin und Journalistin, Mitbegründerin der "TAZ" und engagiert sich seit vielen Jahren für die internationale Frauenfriedensbewegung. Ich begrüße Ute Scheub, schönen guten Tag, Frau Scheub!

Ute Scheub: Guten Tag!

Heise: Das soll ja wohl, nehme ich an, ein Signal sein, ein Buch über die Krise der Männer am Frauentag, an dem – normalerweise spricht man da ja über die Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen. Warum müssen wir uns jetzt der männlichen Krise widmen?

Scheub: Weil Männer in einer Krise gefährlich sein können, wenn sie zum Beispiel das Gefühl haben, sie verlieren ihre Jobs, ihren Status, ihre bisherigen Privilegien, kann es sein unter Umständen, also in Ressourcenkrisen, in ökonomischen Krisen, dass sie eben auch zu Waffen greifen oder dass sie gewalttätig werden gegenüber ihren Partnerinnen.

Heise: Und das geht natürlich dann alle an. Wir haben neulich unsere Hörer mal gefragt: Haben Männer es heute eigentlich schwerer? Eine ältere Anruferin, die antwortete da: Jahrtausendelang – sie war fast ein bisschen ärgerlich – jahrtausendelang wurden die Frauen unterdrückt, das hat niemanden so richtig gekümmert, jetzt geraten Männer in eine Krise, und alle beschäftigen sich damit. Sie fand das einfach nicht verhältnismäßig. Hat sie nicht auch ein bisschen recht?

Scheub: Natürlich hat sie recht, ich sehe das genauso. Aber was ich schon sehr wichtig finde: Männliche Opfer geraten sehr aus dem Blick und werden auch von Männern nicht thematisiert und auch nicht unterstützt. Und damit meine ich jetzt zum Beispiel Opfer sexualisierter Gewalt, die es ja auch unter Männern gibt, oder eben auch die Männer, die in Kriegen verheizt werden oder in bewaffneten Konflikten oder auch in vielen anderen Konflikten zwischen Männern.

Heise: Sie schreiben das in Ihrem Buch auch, dass die Opfer männlicher Aggression eigentlich zum größten Teil Männer selbst sind.

Scheub: Ja, ganz genau. Und das gerät immer so leicht aus dem Blick.

Heise: Die Schriftstellerin Thea Dorn, die überschrieb einen Artikel in der Zeitschrift "Cicero", "Ein Männlein steht im Walde", und sie fragt sich dann, in welcher Krise stecken die Männer eigentlich, denn männliche Machtdomänen, die sind doch nun wirklich noch weitenteils intakt, das heißt, die Macht geht nach wie vor von Männern aus.

Scheub: Auf jeden Fall, das ist so, und es gibt ja auch das seltsame Phänomen, dass Mädchen Jungen eigentlich überall überholen, in den Schulen und langsam auch in den Universitäten, und trotzdem die Spitzenjobs verbleiben bei Männern. Also insofern, das sage ich selber in dem Buch, also das muss man ja auch immer alles ein bisschen differenziert ausdrücken, in der Hinsicht gibt es keine Krise der Männer, ganz klar.

Heise: Was gibt es denn für eine Krise?

Scheub: Ja, es gibt schon eine Identitätskrise, wie gesagt, dass eben die Männer um ihren Status fürchten, sie fühlen sich bedroht durch bestimmte Prozesse der Globalisierung, wo Frauen eben auch – wenn auch in sehr geringem Umfang – sich jetzt beteiligen an der Wirtschaft, in den Berufen hochklettern und so weiter.

Heise: Sie schreiben, die männliche Identität, also die Männlichkeit, sei per se fragil. Da habe ich mich dann gefragt, warum eigentlich, warum per se?

Scheub: Ja, weil Frauen sich sozusagen beweisen können durchs Kinderkriegen, also Weiblichkeit kann sich dadurch beweisen, und Männer müssen sich sozusagen gegenseitig sozial beweisen, dass sie Männer sind, und kommen dabei leider Gottes auch auf dumme Gedanken. Also es gibt ja ein sehr, sehr harsches, hartes Männlichkeitsbild, in vielen, vielen Gesellschaften beweist sich Männlichkeit durch Härte, durch Mitleidlosigkeit, durch Kampfbereitschaft, durch, ja auch durch Gewalt, und das ist das Problem.

Heise: Wenn wir das mal andersrum wenden, dann sind wir eigentlich bei dem Begriff der Anerkennung und dabei eigentlich bei einem gesellschaftlichen und nicht bei einem männlichen Problem. Wenn ich denke, wie Sie es schon angedeutet haben, Frauen haben verschiedenste Bereiche, Anerkennung zu gelangen, also jetzt ohne da eine Wertung aufzählen zu wollen – Beruf, Kinder, Familie, Schönheit, Haushalt, Kreativität, Pflege, was weiß ich. Männer bekommen Anerkennung: Beruf, Macht, Körperlichkeit. Das ist eigentlich, die Bandbreite ist nicht sehr groß. Das heißt, das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, kann sich natürlich auch sehr schnell einstellen, aber da muss sich doch die ganze Gesellschaft angesprochen fühlen, die Frauen also auch, das kann man doch da nicht nur so dem, ja, dem Mann vorwerfen?

Scheub: Da haben Sie vollkommen recht, ich sehe das ganz genauso, das ist immer eine zweiseitige Geschichte, und an diesen harten Geschlechterrollen, also der harten Definition von Geschlechterrollen sind beide Geschlechter beteiligt, auch die Frauen, indem sie Männer immer in solche Rollen drängen. Aber Männer orientieren sich sehr stark an anderen Männern und nicht an Frauen. Und ich habe in dem Buch ja so ein bisschen mit Augenzwinkern das Beispiel von Thomas Dörflein genannt, der ja bewiesen hat, dass ein Mann ...

Heise: Der Tierpfleger von dem Eisbär Knut.

Scheub: Ja, genau ... dass ein Mann eben sehr männlich und sehr weiblich fürsorglich sein kann und einen kleinen Eisbären ganz mütterlich aufziehen kann. Und die Frauenherzen sind ihm ja zugeflogen. Ich glaube, dass bei Frauen eine große, große Sehnsucht besteht nach Fürsorglichkeit. Und auch bei vielen jungen Vätern ist diese Sehnsucht durchaus vorhanden, und sie können sich da nicht durchsetzen gegenüber ihren männlichen Chefs, die dann sagen: Also Vätermonat, kommt überhaupt nicht infrage, wie stellen Sie sich eigentlich Ihre weitere Karriere vor, und so weiter.

Heise: Aber auch Frauen können sich häufig noch nicht vorstellen, tatsächlich weiter hauptberuflich Verdienerin zu sein für die Familie ...

Scheub: Ganz genau, ja.

Heise: Also das heißt, da sind wir uns einig, die Bilder müssen auf beiden Seiten verändert werden. Heute am Internationalen Frauentag kommt im Deutschlandradio Kultur die Publizistin Ute Scheub zu Wort. Es geht um die Krise der männlichen Identität und ja, warum das auch die Frauen betrifft. Sie gehen dann weiter: Aus dem Verlust entsteht eben Gewalt oder kann Gewalt, Aggression entstehen. Jetzt sind Frauen aber auch durchaus aggressiv.

Scheub: Ja, ja, das ist eine Frage der gesellschaftlichen Definition von Rollen und eben nicht der Individuen oder der Geschlechter. Es gibt ja spannenderweise Gesellschaften, in denen beide Geschlechter vollkommen aggressionslos sind. Das sind natürlich traditionelle Gesellschaften, und die zum Teil auch oder größtenteils auch ausgerottet worden sind von den militanten, kriegerischen Gesellschaften, aber es gibt sie noch in Inseln oder im Urwald oder sonst wo, wo sie geschützt waren. Und daran kann man das sehen, dass es eben keine naturgegebene Sache ist und keine Sache von Testosteron und wie diese Mythen alle heißen, sondern Gesellschaften formen Charaktere.

Heise: Das fand ich interessant, Sie haben Gedanken da eingestreut, dass Frauen, wenn sie Aggression ausgeübt haben, das als Kontrollverlust wahrnehmen, als eigenen Kontrollverlust, und Männer die ausgeübte Gewalt eigentlich als Wiedergewinn der Kontrolle, also genau andersrum wahrnehmen.

Scheub: Aber das ist einfach eine gesellschaftliche Sache, weil natürlich unsere Gesellschaft definiert einen Mann durch Souveränität und durch Kontrolle, dass er eben die Sache in die Hände nimmt und in den Händen behält und so weiter. Und Frauen dürfen Opfer sein und Männer dürfen es eben nicht. Und das ist auf beiden Seiten höchst problematisch.

Heise: Ihre zentrale These, die haben Sie schon erwähnt ganz am Anfang, nämlich, wenn die männliche Identität bedroht ist – und so sieht es ja aus, besonders in gesellschaftlich absturzgefährdeten Schichten –, würde dann Gewalt zunehmen, letztendlich käme es sogar zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Warum gehen Sie so weit, das war mir irgendwie zu weitgehend, zu schnell …

Scheub: Es kann dazu kommen, ja, es kann einfach dazu kommen. Es bedarf natürlich anderer Bedingungen auch noch, ökonomische Krise und so weiter. Also Ex-Jugoslawien ist ein sehr, sehr gutes Beispiel, wo man das genau durchdeklinieren kann. Da hat einfach eine sehr strikte Definition von Geschlechterrollen plus eine ökonomisch-politische Krise zu diesem Ausbruch von Gewalt geführt, den ja vorher niemand richtig vorhergesehen hat.

Heise: Sie blicken in Ihrem Buch nach Deutschland, Sie blicken in Migranten-Communities, Sie blicken aber auch über die Grenzen weg, also weltweit eigentlich, Sie werfen aber auch einen besonderen Blick in muslimisch geprägte Gesellschaften. Wie äußert sich da die männliche Krise?

Scheub: Ja, eigentlich sogar noch viel stärker, weil die noch sehr viel stärker traditionell patriarchalisch organisiert sind. In den arabischen Ländern gibt es eine sehr starke Struktur zwischen Vätern und Söhnen, und die Söhne erleben jetzt, dass die Väter entmachtet werden und die verlieren total ihre Orientierung. Und das ist eine sehr gefährliche Situation.

Heise: Ihr letztes Kapitel ist dann Ihr Rezept, und das heißt: Eine Politik der Gleichberechtigung vorantreiben. Und das klingt fast naiv, finde ich, nach dem, was Sie alles vorher beschrieben haben, denn es ist ja nicht so, dass es nicht seit Jahrzehnten eine Gleichberechtigung auch politisch versucht wird zu installieren.

Scheub: Ja, aber lange nicht ausreichend. Also ich glaube, dass weltweit der am meisten fehlende Rohstoff der politische Willen ist, und der fehlt wirklich in allen Ländern. Und diese Gleichberechtigungsstrategien, die wir haben, die sind alle wirklich sehr unzureichend und sehr verkürzt, oft auch nur auf die Frauen bezogen, nicht auf die Männer bezogen, ganz wichtiger Punkt. Und man kann einfach beweisen – und das tue ich in dem Kapitel sehr ausführlich –, dass Gesellschaften sehr viel friedlicher sind, wenn die Gleichberechtigung da ist oder das Gesellschaften auch weniger Hunger leiden zum Beispiel, weniger Armut haben, weniger, ganz viele Probleme weniger, wenn Frauen und Männer auf derselben Stufe stehen.

Heise: Sie führen beispielsweise die Entwicklungspolitik ins Feld, also wo sich ja langsam, aber sicher durchsetzt, man gibt Entwicklungshilfe besser in Frauenhände, das Geld kommt dann tatsächlich auch in den Familien an, bei den Männern ist das weniger so. Aber fügt nicht genau das eigentlich den Männern wieder die Wunde zu und führt dann wieder zu dem Kreislauf, den wir gerade beschrieben haben?

Scheub: Das kann unter Umständen so sein, deswegen plädiere ich ja auch sehr dafür, dass Entwicklungspolitik sehr reflektiert ist, was eben Geschlechterrollen anbelangt. Und man muss den Männern auch was anbieten, das sehe ich genauso. Also Afghanistan ist ein sehr dramatisches Beispiel, wo man Entwaffnungsprogramme gemacht hat, die vollkommen wirkungslos waren, auch aus politischen Gründen, aber weil man einfach nicht bedacht hat, was das für eine Wirkung auf Männer hat, die eigentlich sich nur definieren als Kämpfer. Denen muss man eine Alternative anbieten, eine, der ihre Würde belässt auch, das ist ganz klar. Und das passiert in meinen Augen viel zu selten in der Entwicklungspolitik, in der internationalen Politik.

Heise: Also Gleichberechtigung eben gerade nicht als, jetzt muss mal die eine Seite aufholen, sondern muss wirklich beide Seiten betrachten.

Scheub: Ganz genau, ja.

Heise: Aber glauben Sie an die Möglichkeit der Herstellung der Gleichberechtigung?

Scheub: Doch, doch, das glaube ich schon, also ich glaube sogar, dass das die einzige Möglichkeit wäre, diese vielen Krisen in der Welt, die wir derzeit erleben – Wirtschaft, Umwelt, Klimawandel, Ernährungskrise –, die müssen gelöst werden, indem man das einbezieht, die unterschiedliche Wirkung auf Frauen und Männer, sonst kriegt man sie nicht in den Griff.

Heise: Sehen Sie Fortschritte?

Scheub: Wenig.

Heise: Sagt die Publizistin Ute Scheub. Ihr Buch "Heldendämmerung: Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist" erscheint heute am Internationalen Frauentag, und zwar im Pantheon Verlag. Frau Scheub, danke schön für dieses Gespräch!

Scheub: Herzlichen Dank!
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