Mächtig gewaltig, Würchwitz

Von Karl Lotz · 10.06.2008
"Mächtig gewaltig, Egon." Die dänische Gaunerkomödie "Die Olsenbande" war in der DDR fast so etwas wie Kult, der Ausruf von Bandenmitglied Benny wurde gerne mal in den Mund genommen. Und dieser Tage nun wieder. Im kleinen sachsen-anhaltinischen Würchwitz ist die Olsenbande erneut aktiv - vor der Kamera.
Eine AN 2 im Senkflug über Würchwitz wird von einer russischen Jagdmaschine verfolgt. Die unterfliegt die AN 2 und dreht vor ihr steil nach oben ab. Für den Bruchteil einer Sekunde ist die Jagdmaschine vor dem Cockpit der AN 2. Ein gewagtes Flugmanöver.
Die AN 2 setzt auf dem Rollfeld auf und kommt vor etwa 400 Zuschauern zum Stehen.

Die Olsenbande steigt aus dem Flugzeug und marschiert über das Rollfeld in gewohnter Manier: Voran Egon, der Chef der Bande. Ein kleiner, gealterter Gentleman, der zügig ausschreitet mit Melone auf dem Kopf und kalter Zigarre im Mund. Hinter ihm versucht Kjeld, der ewig Zaghafte in der Bande, mit seinem Hebammenkoffer Schritt zu halten. Er ist größer als Egon und kleiner als Benny, also läuft er in der Mitte. Am Schluss Benny, ein großer Kerl mit zu kurzer Hose und zu kleinem kariertem Jackett, hüpft ewig im Wechselschritt, um den Gleichschritt zu finden.

Flugplatzlautsprecher:"Die Olsenbande dreht ja gerade ihren neuen Film. Ich weiß gar nicht, wie viel ich verraten darf. Nur soweit, es wurde schon Weltraumerfahrung genutzt. Man hat schon unseren alten treuen Siegmund, Siegmund Jähn besucht in Morgenröte Rautenkranz. Da hat er ein Topmuseum. Dort wurde eine ganz bestimmte Anlage geklaut, oder besser mitgenommen. Der neue Film kommt dann im Dezember in die Kinos. Natürlich in nur ganz ausgewählte Kinos."

Im Würchwitzer Filmstudio, dem kleinsten Olsenbanden-Studio der Welt, werden die legendären Olsenbandenfilme neu aufgelegt. Es ist schon der dritte Spielfilm dieser Art. Heute ist ein Drehtag mit der AN 2 geplant. Am Abend zuvor hatten die Fallschirmspringer eine Idee für ein Flugmanöver und dies wird jetzt mit den Piloten der drei Flugzeuge abgesprochen. Eine gängige Fernsehfilmproduktion bräuchte sicher für so einen Dreh wochenlange Vorbereitung. In Würchwitz und Umgebung, hier: dem Nachbardorf Stoppen, ist man unter Freunden und die Absprache geschieht in wenigen Minuten und ohne Antragsformulare.

Pilot 1: "Also, alle, die mitkommen, an die Maschine. Wir haben hier ein Problem, da müssen wir mal überlegen, wie wir das machen. Wo ist der Jagdflieger? Ach hier. Sei gegrüßt. Hast du mitgehört? Wie machen wir das dann? Wenn er, er beugt sich hier rüber und filmt hier so raus. Da musst du vielleicht ein bisschen weiter seitlich kommen."

Jagdpilot: "Ja. Genau. Da kann er sagen, wie er es haben will."

Pilot 1: "Wie soll er sein, er kommt mit der JAK links hier an."

Mann: "Ja und ich verfolge ihn ein paar Sekunden und dann kippt er nach unten ab, oder nach oben."

Pilot 1: "Aber vorher musst du deine Rauchkanone anmachen. Schwierig, ich fliege mit Gas."

Jagdpilot: "Ich flieg ne Weile neben dir her."

Pilot 1: "Ruhig ne Weile nebenher. Und ich flieg gerade stur Level. Und was für eine Geschwindigkeit soll ich denn fliegen?"

Jagdpilot:"Mach mindesten 150 / 160"

Pilot 1: "Knoten oder Kmh ?"

Jagdpilot: "Kmh."

Pilot 1: "Kmh ist kein Problem."

Pilot 1: "Wenn ich dann hupe nach dem Start, kann jeder aufstehen. Aber bitte nicht alle auf die Idee kommen, die Toilette zu suchen. Da hab ich hier vorn Steuerprobleme."

Im ersten Würchwitzer Olsenbanden-Film, selbst finanziert, war die Bande dem Würchwitzer Milbenkäse auf der Spur. Die Premiere - ein dörfliches Ereignis. Im zweiten Film legten sie sich mit dem Vatikan wegen der Lutherthesen an und die Premiere fand schon in einem Kino der Stadt Zeitz statt. Wieder ein großer Erfolg, diesmal ein regionales Ereignis.

Jetzt, beim dritten Film, ist die Olsenbande auf der Jagd nach dem Bernsteinzimmer. Die Dreharbeiten für diesen 20-Minuten- Film, begannen in St. Petersburg. Gedreht wurde dort schon. Es ist zwar verboten, im Zimmer selbst zu drehen, aber auf Würchwitzerweise drehten sie dann durch die offenen Türen.

Bei dieser Produktion konnten sich die Würchwitzer ihre Sponsoren schon aussuchen. Heute wird die Entführung einer AN 2 gedreht. Benny, auf dem Pilotensitz, wird gespielt von Hubertus Triebe, Landwirt und Winzer aus Würchwitz:

"Also, ich bin auf dem Dorf groß geworden. Wir haben Schafe gezüchtet und Schweine gehalten. Und dies und das und jenes gemacht. Ich hab schon mit zehn Jahren straff mitgemacht. Bei meiner Mutter im Stall mitgeholfen, dass die auch sonntags mal frei hatte. Weil das nicht so gewöhnlich war."

"Früher gab es das ja nicht, zwei Tage in der Woche frei zu haben. Meine Mutter hat jahrelang 365 Tage durchgearbeitet, bis ich nachher auch in dem gleichen Betrieb war und Aushilfe gemacht habe und da kriegte sie mal Urlaub."

Leiter und Gründer des Würchwitzer Filmstudios ist Helmut Pöschel, der seinen Spitznamen ‚Humus’ aus seinen Kindertagen bis ins Rentenalter behalten hat. Bei den Projekten ist er der Regisseur, Produzent und Organisator der Filmproduktion. Jetzt dreht er das Flugmanöver mit der zweiten Kamera fürs Making of:

"Als Kind war für mich dieses Dorf die große Welt. Es gab wunderbare Speisen, Brot. Alles hat hier gut geschmeckt, gut gerochen. Es gab jeden Tag einen anderen Kuchen. Ja, es war ein richtiges Stück Heimat, in der man sich wohlfühlt. Es lag im Tal, grün und viele Früchte rundherum."

Andreas Schaller spielt Kjeld, der ewig Zaudernde im Film. Im richtigen Leben packt er als Dorfschmied schon mal kräftig zu und seine Sprache ist knapp und erfrischend kurz:

"Das Dorf: Nicht groß. Schön. Ruhig können wir zur Zeit mal nicht sagen. Es ist ganz schöner Verkehr geworden durch das. Und es ist auch sehr ausgeblutet an Leuten. Man sieht ja, früher haben hier drei Familien gewohnt und heute eine Familie. Aber sonst ist es ein schönes nicht allzu großes Dorf."

Friedrich Karl Steinbach war Bürgermeister von Würchwitz, züchtet Pferde und spielt im Film den Egon. Während des Fluges durchleuchtet er mit der Multispektralkamera die Landschaft, in der er, wie alle anderen des Teams groß geworden ist:

"Nein, ich bin kein Würchwitzer. Ich bin der Liebe wegen nach Würchwitz gekommen. Mein Geburtsort liegt etwa zwölf Kilometer weit entfernt von hier. Und wie das damals war, ich habe meine Frau auf einem Reiterball kennen gelernt. Im Gasthof in Langendorf. Da sind wir uns das erste Mal begegnet. Und da hat sich das so entwickelt und siehe da, eines Tages war die Liebe soweit angewachsen, dass ich nach Würchwitz gezogen bin."

Triebe alias Benny: "Mein Lebensglück ist, dass ich nach der Wende angefangen habe, Landwirtschaft zu machen und das wir irgendwann auch zum Wein gestoßen sind. Und jetzt einen Landwirtschaftsbetrieb und ein Weingut haben und da braucht man eben, um einen Ausgleich zu haben, ein bisschen Spaß und Humor und das bietet eben Humus."

"Der Biologie- und Chemielehrer war auch mein Lehrer. Und der hat uns unterrichtet, war ein strenger Lehrer. Manchmal auch ein sehr ungerechter Lehrer. Und als Amateurfilmer ist er eben eine Spitzenkraft und der auch nach der Wende nicht abgestürzt ist, sondern nach der Wende weitergemacht hat."

Für Humus war Film sein Leben und so versuchte er, als ein professioneller Weg nicht gegangen werden konnte, auf anderem Wege Filme zu drehen.

Pöschel alias Humus: "Ich hatte mich beworben bei der DEFA und wurde nicht genommen, aber über den Rahmen der Volkskunst konnte ich praktisch bei Altmeistern der DEFA und UFA noch viele Dinge abgucken und hab da viel gelernt."

" Und da hieß es, du kannst gute Geschichten erzählen, da kannst du auch Lehrer werden. Und da wurde ich Biologie- und Chemielehrer und hab da noch Kunst unterrichtet und habe in meiner Freizeit die Idee weitergeführt."

Triebe alias Benny: "Bei uns kamen alle 14 Tage, drei Wochen irgendwann der Kinomann vorbei mit dem Kinoauto und um das aufzubauen, mussten mindestens sechs zahlende Gäste da sein. Und da sind wir als Kinder im Dorf rumgerannt und haben Freunde gesucht, dass wir mindestens sechs Mann waren, die das bewegliche Kino aufbauen und dass wir den Film sehen konnten."

So manches Mal war auch die Olsenbande dabei.

Frau: "Egon, weißt du auch, was bei dir nicht funktioniert? Du hast großartige Ideen, das muss man dir lassen. Aber alles geht schief für dich aus, weil du nie einen richtigen Plan hast. Alles fängt so gut an, aber es endet doch mit einem Fiasko, weil du eben keinen richtigen Plan hast. "

Steinbach alias Egon: "Man kann es begrenzen auf die DDR. Ich habe Bekannte in Duisburg und da habe ich den ersten Film mit hingenommen. Ich sage, kennt ihr die Olsenbandenfilme? Nein. Und da haben wir den Film vorgeführt: Ach, der ist aber schön. Ne, von den Filmen haben wir noch nüscht gehört."

Pöschel alias Humus: "Erstmal waren diese Olsenbandenfilme aus Dänemark, das war aus dem kapitalistischen Ausland und die waren uns ziemlich verwandt. Man sah in den Filmen einfache Menschen. Auch keine Häuser und Einrichtungen, die so hochglanzmäßig waren."

"Man sah auch Gerümpel, so ein bisschen DDR-mäßig sah das Ganze aus. Und dieses Planen und Scheitern und kein Blut. Also kein Mord und Totschlag. Und dann diese Charaktere. Dann diese 14 Filme, die dann richtig Kult waren. Das ist in den Menschen noch drin. Die kennen das."

"Und jetzt kommen wir und machen so eine Liebeserklärung an die Olsenbande mit Darstellern, wo ein Dorf die Olsenbande spielt. Alle Mitwirkenden sind aus dem Dorf."

Triebe alias Benny:"Weil unser Dorf so gestrickt ist, dass man so etwas bei uns machen kann. Bei uns gibt es die Hälfte des Dorfes, die alles ablehnen und sagen: Das sind alles Spinner. Und die Hälfte des Dorfes unterstützt uns und die sagen, die sind gut."

"Und wo der erste Film in Würchwitz gelaufen ist auf dem Saal - wir haben so ungefähr 300 Einwohner - waren 600 Einwohner im Saal. Zahlende Gäste. Und da haben wir gemerkt, dass das ankommt, so etwas zu machen. Das erste Mal ist es in Würchwitz ausprobiert worden und beim zweiten Mal hatten wir schon den Mut nach Zeitz zu gehen."

Pöschel alias Humus: "Wir sind also auf einer Welle dieses Olsenbande-Kults. Es gibt auch einen Fanclub weltweit und die beobachten uns ganz genau. Wir wollten das ja nur fürs Dorf machen und plötzlich stellen wir fest, es ist flächendeckend. Nur in den alten Bundesländern, da ist die Sache nicht so, die kennen das nicht."

In diesem Dorf lebt eine Tradition, auf die man stolz ist und die auch der Sozialismus nicht kaputt bekam. So schlägt heute noch der Federhammer in Kjelds Schmiede, die von fünf dorischen Säulen getragen wird.

Hier wurde Landwirtschaftsgeschichte geschrieben. 1780 experimentierte Großbauer Schubart mit der Kleepflanze und entdeckte Klee als Futtermittel und legte somit die Grundlage für eine intensive Landwirtschaft.

Hier besann man sich auf den Milbenkäse, der schon vor 500 Jahren eine Spezialität war und heute wieder produziert und weltweit vertrieben wird. Und diese Tradition wird auf heutige Weise fortgesetzt. Ein Denkmal, das die Milbe ehrt, wurde mitten im Dorf errichtet, ein Museum aufgebaut, das Kleefest organisiert und Humus dreht weiter seine Filme mit dem Dorf.
Pöschel alias Humus: "Ich mach noch kleine Kurzfilme mit Kindern und so ist es mir gelungen, in den letzten 40 Jahren hier in diesem Ort die ganze Geschichte aufzuzeichnen, kleine Filme zu drehen über die Originale im Dorf. Und wir haben hier ein wunderschönes Archiv."

"Wir können also alle Verstorbenen und Originale hervorzaubern aus dem Archiv und das machen wir jedes Jahr zum Heimatabend und da ist es immer rappelvoll, da kommen alle noch, die noch leben und gucken sich die Leute an, die schon gestorben sind in ihrer Blütezeit."

Steinbach alias Egon: "Ich habe mich sehr gefreut, dass ich dazu ausgewählt worden bin. In so einem Alter ist das ja nicht mehr so üblich, dass wir für so eine Sache auserwählt worden sind."

Aber diese Freude hat auch einen hohen Preis. Die Dreharbeiten machen zwar sehr viel Spaß, aber sie sind oft extrem anstrengend und ein Druschtag und ein Drehtag bei 40 Grad im Auto übersteigen dann die Kräfte auch des stärksten Bauern.

Triebe alias Benny: "So ein Druschtag, der fängt so früh um neun an und hört irgendwann, wenn der Diesel alle wird, im Mähdrescher so um eins, zweie auf – in der Nacht! Da hat man 14, 15, 16 Stunden hinter sich und zwischendurch noch gedreht, da sind nachher irgendwo die Grenzen erreicht. Da hat mich meine Frau geholt."

Bennys Frau: "Als ich meinen Mann eingefangen hatte und den Stress auch so mit abbekam, den er so ausgeliefert ... durchlebte. An dem Tag, habe ich aber schon gemerkt, das war der momentane Stress.

Im Nachhinein, das Glück und auch die Erfüllung nachher den Film zu sehen auf der riesengroßen Kinoleinwand, da war einfach das Lächeln wieder da, was ich von meinem Mann kannte: Und ich weiß auch heute, dass er das wieder schafft, wenn so eine Situation ins Haus steht und ich kann ihn einfach nur unterstützen. Ich selber kann leider nicht Mähdrescher fahren, aber ich kann einfach mit versuchen, dass wir das Drehgeschehen und unsere betrieblichen Abläufe in die Reihe bekommen."

Die Dreharbeiten müssen vor der Ernte fertig sein, fordert Benny. Kjeld muss mit seiner Schmiede Geld verdienen. Egon hat noch seine Pferdezucht und Humus und sein Kameramann Thomas Linzner wollen besser sein als die, die von der Filmerei leben.

Pöschel alias Humus: "Im Freundeskreis wird das immer diskutiert und gesponnen und dann bringt die ganze Crew dann da noch eine Idee ein, und der sagt: Mensch, da können wir doch..."

Auf diese Weise entstand auch die Idee zu den Olsenbandenfilmen. Jemand hatte den Tresor einer bekannten Berliner Firma, die die Olsenbande am besten knacken konnte, im Dorf gefunden und da...

Bennys Frau: "…wachsen solche Ideen und es sind zum Teil diese Olsenbandenfilme daraus entstanden. Das kann man mit Geld nicht aufwiegen. Das ist einfach wirklich nur das gesunde Miteinander. Das kannten wir in der Vergangenheit und irgendwo bewahren wir uns das noch ein bisschen. Das ist wertvoll."

Pöschel alias Humus: "Mit viel Freude und auch mit Alkohol. Ja - und alle freuen sich schon auf die Premiere und der Film ist noch gar nicht fertig."

Steinbach alias Egon: "Man fühlt sich nicht so sicher, weil wir das gar nicht gewöhnt sind, auf der Bühne zu stehen. Aber wenn man den Film gesehen hat, ist doch eine gewisse Beruhigung da. Die Leute freuen sich. Und natürlich bei einem selbst entsteht auch eine Freude, dass man den Leuten eine Freude machen kann. Ja; meine Familie ist eigentlich begeistert und begeistert am meisten ist mein Enkel. Wir haben zu Weihnachten uns die Filme angeguckt, saßen gemütlich im Sessel."

Frau: "Beispielsweise kommt jetzt schon wieder die Polizei. Benny: Polizei. Nichts wie weg. Egon! Komm doch! Kommissar: Herr Olsen? Egon Olsen? Im Namen der Königin verhafte ich Sie. Ich muss Sie bitten, mir zu folgen. Egon: Dieses Land ist zu klein für mich. Macht damit, was ihr wollt."

Steinbach alias Egon: "Er kauerte so an mir da dran. Da haben wir uns den Film angeguckt und da fragt der mich: Opa, was war das denn für ein Gefühl, wo dir die Bullen die Achte angelegt haben? Ich war richtig sprachlos und ich wusste gar keine richtige Antwort darauf zu geben.

Daran sieht man eigentlich, dass sich so ein Junge mit neun Jahren mit Gefühlen schon beschäftigt. Ich denke, mich trifft der Schlag. Da braucht man eigentlich um unsere Jugend keine Angst zu haben, wenn sie sich heute schon in so jungen Jahren mit solchen Gedanken beschäftigen."