Machtgeil in Magdeburg

Von Boris Gruhl · 02.11.2013
Marschierende Penisse, Hexen in Pussy-Riot-Masken, Bilder von Bootsflüchtlingen: Mit solchen Motiven will Regisseur Volker Lösch Verdis "Macbeth" am Theater Magdeburg an die Gegenwart andocken. Doch das Publikum ist schnell genervt von Reizüberflutung und Zeigefingerästhetik.
"Macbeth" ist die zehnte von insgesamt 26 Opern Verdis, sie gehört zu seinen "Literaturopern", es liegt das gleichnamige Drama von William Shakespeare zugrunde. Die Uraufführung fand am 14. März 1847 in Florenz statt, ein Erfolg, der bis heute anhält. "Macbeth" ist Verdis einzige Oper ohne Liebe, kein Liebesduett, keine Eifersucht, keine Liebesszenen. Die Liebe fehlt in diesem Drama der Mörder aus Machtgier.

Die Handlung spielt in Schottland im 11. Jahrhundert. Macbeth, der siegreiche General in König Duncans Arme, kehrt aus der Schlacht zurück und erfährt von Hexen, dass er aufsteigen werde, zum Than von Cawder. Sein Gefährte Banco werde Vater von Königen sein. Macbeth beschleunigt seinen Aufstieg, er mordet sich an die Macht, sein erstes Opfer ist der König, Macbeth wird König, aber die Spirale der Gewalt dreht sich weiter.

Zernagt von Zweifel und Wahn
In Verdis Oper wird die Bedeutung seiner Frau, der Lady Macbeth, im Gegensatz zu Shakespeare enorm aufgewertet, sie treibt Macbeth zum Mord und zu Mordkomplotten, sie managt Betrug und inszeniert den großen Schein, wo Macbeth längst von Zweifeln und Wahnvorstellungen zernagt wird. Am Ende erliegt auch die Lady ihrem Wahn in blutigen Albträumen, Macbeth wird besiegt.

Zum Ausklang des Verdi-Jahres kündigte das Theater Magdeburg eine Inszenierung dieser Oper an, die "es noch nie gegeben" habe. Grund ist die Verpflichtung des Regisseurs Volker Lösch, der dafür bekannt ist, dass er in seinen bisherigen Inszenierungen immer Menschen des Ortes, wo er gerade arbeitet, zur Thematik der Stücke zu Worte kommen lässt. So fließen Erfahrungen aktueller Lebensrealitäten ein, sehr oft sind es die Unterprivilegierter. So schafft er Anbindungen historischer Stoffe und Stücke an die Probleme der Gegenwart, anderes Arbeiten erschiene ihm sinnlos. Das wird mit chorischem Theater realisiert, mit Bürgerchören. Dass diese Methode auch plakativ geraten kann, nimmt er in Kauf.

Häusliche Gewalt, Belästigung, Missbrauch
Also "Macbeth" in Magdeburg nach der Methode Lösch mit 15 Frauen aus Magdeburg, die "Magdeburger Hexen", die sich dann auch mit den Hexen der Oper vereinen. Sie haben ihre Erfahrungen mit männlicher Gewalt zusammengetragen. Das Material wurde so aufbereitet, dass es jeweils chorisch gesprochen wird, skandiert, es soll eindringlich sein. Varianten häuslicher Gewalt, sexuelle Belästigungen, sexuelle Gewalt, Vergewaltigung und vor allem immer wieder, dass es den Frauen nicht möglich ist, damit Gehör zu finden, im Gegenteil, sie werden abgewiesen, erneut ins Unrecht gesetzt, sie werden zu störenden "Hexen" gemacht.

Und so übernehmen sie in Löschs Interpretation diese Rollen, ziehen Kittelschürzen an, tragen Pussy-Riot Masken, bis eine dann die Schürze ablegt und königliche, rote Kostüme trägt, das ist dann die Lady Macbeth, also wird Gewalt gegen Gewalt gesetzt, männliche Verhaltensweisen von Frauen übernommen und gegen männliches Mordverhalten eingesetzt, immer die Waffe im Anschlag, bis hin zur äußerlichen Angleichung, wenn Macbeth und die Lady als Terroristen auftreten.

Für diese Inszenierung bleibt die Bühne von Cary Gayler leer. Eine Große Projektionsfläche im Hintergrund. Reizüberflutung für die Zuschauer. Alles wird mit Bildern, bekannten oder weniger bekannten, in die Gegenwart geholt bzw. in der jüngeren Geschichte verortet. Wenn Macbeth den Tod des Königs plant, sehen wir das Attentat auf Kennedy, wenn die schottischen Flüchtlinge auftreten, sehen wir Bilder der Bootsflüchtlinge, wenn Macbeth getötet wird den Atompilz.

Ein Phallus in der Schlinge
Die Männer, die Militärs in den Kostümen von Carola Reuther, sind Comicfiguren oder Figuren aus Computerspielen, aber das macht sie nicht weniger gefährlich. Sie sind machtgeil, daher spielen auch Penisse eine Rolle, einmal als massige Installation eines Phallus in der Schlinge oder im Comic, da gibt es sogar ein Hakenkreuz aus fröhlich marschierenden Penissen.

Löschs Inszenierung geht vom Problem der Gewalt gegen Frauen aus, nicht unbedingt von den Intentionen Verdis. Wichtiger sind die authentischen Erfahrungen der Magdeburger Frauen, für deren Schilderungen die Handlung immer wieder unterbrochen wird. Das erschöpft sich aber, da sich Stil und Inhalte wiederholen, hier wäre weniger eindringlicher gewesen.

Ansonsten zeigt Volker Lösch erstaunliches Talent, wenn es darum geht, große Bilder zu choreografieren, den Chor zu gruppieren und die Solisten in den Vordergrund zu stellen, die Bilder sind dann wieder richtig opernhaft. Musikalisch überzeugt diese Aufführung durch die Kraft des Ensembles. Drei Sänger seien stellvertretend genannt. Als Macbeth: Adam Kim, die Lady Macbeth der Karen Leiber und der Tenor Iago Ramos als Macduff.

Nicht zu vergessen der verstärkte Chor in der Einstudierung von Martin Wagner und das Orchester unter Kimbo Ishii-Eto, nachdenklich, sensibel aber manchmal auch langsam, wenn nötig dann doch mit trügerischem Jubel, etwa im Finale, wenn Macbeth besiegt ist und der neue König, ein Grünschnabel, der schon ganz gut das Prinzip beherrscht: Morden macht mächtig. Verdis "Macbeth" ist die Oper ohne Liebe und auch die Oper ohne jede Hoffnung. Am Ende Jubel für Sänger, Chor und Orchester, Buhs für das Regieteam.

Fazit: Die "Methode Lösch" erschöpft sich schnell. Die Reizüberflutung, die beständige Zeigefingerästhetik und die diktatorische Aufklärungsbesessenheit ermüden, der Abend zieht sich hin. Und der Verdacht schleicht sich ein, ob die Frauen, diese 15 Magdeburger Hexen, nicht doch auch vorgeführt werden? Ein widersprüchlicher Abend, für Gesprächsstoff ist gesorgt, die Marketingstrategie geht auf, immerhin, wenn das ein guter Zweck ist, dann sind auch die Mittel recht.

Macbeth
Oper von Guiseppe Verdi
Am Theater Magdeburg in der Regie von Volker Lösch
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