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Düsseldorf
Flüchtlingsströme als Theaterexperiment

Besucher des Theaterstücks "Dorthin, wo Milch und Honig fließen" sollten gut zu Fuß sein: Mit einem Audioguide am Ohr müssen zwei bis drei Kilometer absolviert werden. Dabei hört man insgesamt fünf authentische Geschichten von Flüchtlingen aus Afghanistan, Syrien, Äthiopien und dem Irak.

Von Peter Backof | 10.06.2015
    Hier könnte man gut ein Remake drehen, von Hitchcocks "Die Vögel". Rund 500 Tauben sitzen Spalier, auf Deck 6, ganz oben im Parkhaus am Düsseldorfer Hauptbahnhof. Eine rot-weiße Absperrkette signalisiert: Normalerweise kommt man hier mit dem Auto gar nicht hoch. Die Parkflächen sind Bediensteten des US-amerikanischen Konsulats vorbehalten, das man von der luftigen Balustrade aus sehen kann. Dieser Startpunkt des Theaterexperiments "Dorthin wo Milch und Honig fließen" ist bewusst gewählt und alles so gleich politisch aufgeladen: ein erster Eindruck.
    "Dann bekommen Sie jetzt von mir ein Audiogerät, einen Kopfhörer und eine Wegskizze." - "Sie können dann gleich losgehen, wenn Sie hier die Eins drücken, müsste das eigentlich schon abgespielt werden."
    Audioguide: "Hey! Ich bin übrigens Burhan. Ich bin zwanzig Jahre alt und komme aus Afghanistan. Ich möchte mit Dir durch die Stadt laufen. Magst Du?"
    Die Wegskizze zeigt Straßen mit Symbolen an einigen Ecken, eine Kaffeetasse, ein Halbmond, ein Boxhandschuh.
    "Siehst Du den Pfeil am Boden? Folge ihm, dann kommst Du zum Ausgang."
    Puzzle aus zwei Realitäten
    Da sind indes einige Pfeile am Boden, die in alle Richtungen zeigen. Es dauert, bis man Burhan versteht. Zumal die Skizze auch keine Straßennamen hat. Offenbar, weil Burhan als Analphabet nach Deutschland kam. Allmählich ergänzt sich dieses Puzzle aus zwei Realitäten: die des Hörspiels und die des Selberlaufens.
    "Also den Burhan gibt es, Burhan hat im wirklichen Leben einen anderen Vornamen. Ansonsten ist die Geschichte absolut authentisch."
    Burhan hat uns zu der - echten - Flüchtlingsberatungsstelle STAY gelotst. Dort können wir den Mitarbeiter befragen. Denn je mehr Burhan auf dem Weg erzählt hat, wie er sich von Grenze zu Grenze im Verlauf von Monaten nach Deutschland gehangelt hat, desto mehr wollen wir über ihn wissen.
    "Also die Duldung ist der schlechteste Aufenthaltsstatus."
    Bei Burhan wird die Abschiebung nicht vollzogen, das heißt Duldung. Mal ist es informativ, wir erfahren zum Beispiel in einem wieder echten islamischen Bestattungsinstitut, dass die traditionelle islamische Beerdigung - ohne Sarg! - in Deutschland erst seit Kurzem erlaubt ist. Und mal ist es lyrisch und inszeniert.
    "Überall die Flüchtlinge auf den Treppen, schrieb Max Frisch. Es ist ein Warten ohne Erwartung."
    Ein Personal aus "Experten des Alltags" wie beim Theater der Truppe Rimini Protokoll, vom Polizisten bis zum Bestatter, und: aus Schauspielern, darunter natürlich, im Guide geschauspielert, Burhan selbst, skizziert so multiperspektivisch sein Schicksal.
    Audioguide: "Ich schreib seit zwei Jahren Texte für unsere Band. Ich schreib auf Sari. Das ist der afghanische Dialekt des Persischen."
    Fünf Flüchtlingsgeschichten münden in einer Szene
    Und das ist der kleine Haken an "Dorthin wo Milch und Honig fließen". Alles ist etwas zu informativ, zu gut geschauspielert: Können wir uns – Ziel der Produktion! - in Burhan hineinversetzen? Da kann man skeptisch sein. Etwas anderes zeigt sich, in der finalen Szene, in die alle fünf Flüchtlingsgeschichten münden.
    Wir sind in einem Box-Trainingsstudio. Drei Schauspieler trainieren am Sandsack und sind - gleichzeitig und sehr rätselhaft - auch Flüchtlinge und Beamte bei der Datenerfassung:
    "Frage. Doppelpunkt. Wie heißen Sie? Antwort Doppelpunkt: Sari Seli. Ausrufezeichen. Frage: Was ist der Vor-, was der Nachname. Fragezeichen."
    Ein endloser Wurm in hölzernem Amtsdeutsch. Immer gleiche Fragen, immer gleiche Antworten. Vor Ort nur schwer zu ertragen. Wir sind ständig kurz davor, die Veranstaltung zu verlassen. Im Nachhinein reflektiert, war aber genau das die stärkste und aussagekräftigste Szene: Alle! - sind überfordert: Bei diesem schwelenden und immer weiter eskalierenden Thema internationaler Flüchtlingsströme.