Lyrikerin Nora Gomringer

Stimme trifft Schlagzeug

Die Autorin Nora Gomringer
Die Lyrikerin und Autorin Nora Gomringer ist mit Musik und Lyrik auf Tournee. © dpa / picture alliance / Johannes Puch
Nora Gomringer und Philipp Scholz im Gespräch mit Frank Meyer · 09.02.2017
Sprache und Musik - das seien die beiden ältesten Instrumente der Welt. Deshalb bringt die Lyrikerin Nora Gomringer beides zusammen: Sie spricht Gedichte, der Musiker Philipp Scholz improvisiert dazu am Schlagzeug. Was reizt die beiden daran - und wie reagiert das Publikum?
Nora Gomringer, Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin und "Godmother of Slam", ist wieder auf Tour: Gemeinsam mit dem Komponisten, Jazz-Musiker und Schlagzeuger Philipp Scholz bringt die Lyrikerin "Pengpengpeng" auf die Bühne. Unter dem Motto "Alte Magie in neuem Gewand" sprich Gomringer Gedichte von Ernst Jandl, ihrem Vater Eugen Gomringer oder "unserem gemeinsamen Superstar" Heinrich Heine – und Philipp Scholz lässt sich davon am Schlagzeug inspirieren.
Die beiden sind ein eingespieltes Team und schon mehrfach gemeinsam aufgetreten. Nora Gomringer liebt es nach eigenem Bekunden, Texte zu sprechen: Die Platten von Manfred Krug und Tonaufnahmen des Schauspielers Martin Held, wie er die Gedichte von Heinrich Heine spricht, hätten sie als Kind beeindruckt und geprägt, sagt Gomringer.
Es mache großen Spaß, der Dichtung durch die musikalische Untermalung einen gewissen "Groove" zu geben, sagen beide Künstler. Und Nora Gomringer betont: "Ich freue mich, wenn Lyrik zum Gegenstand wird, der auch nützlich ist und den Menschen Freude macht."
Besteht nicht die Gefahr, dass eine Kunst - die Sprache - von der anderen - der Musik - bei den Auftritten überdeckt und in den Hintergrund gedrängt wird? Philipp Scholz vergleicht den Effekt mit der Bedeutung von Filmmusik im Kino: "Ich höre es von vielen Leuten aus dem Publikum, dass sie erstens sehr überrascht sind und sowas noch nie gehört haben. Und dann wirklich zu bleiben und zu hören, das finde ich, ist schon mal ein großes Kompliment. (...) Und dann kommen ganz viele und sagen: Oh, ich kann mir den Text gar nicht mehr ohne die Musik vorstellen."

Nächste Termine von "Pengpengpeng" mit Nora Gomringer und Philipp Scholz: Lagerhalle Osnabrück (9. Februar), Politbüro Hamburg (10. Februar), Literaturhaus Rostock (11. Februar). Weitere Termine bis Ende Februar finden Sie hier.


Das Interview im Wortlaut:

Frank Meyer: Seit gestern Abend ist die Lyrikerin Nora Gomringer auf "Peng Peng Peng"-Tournee, zusammen mit dem Jazzmusiker Philipp Scholz. Aus Gedichten und Musik entsteht bei "Peng Peng Peng" alte Magie im neuen Gewand, schreibt jedenfalls Nora Gomringers Verlag zu diesem Projekt. Deutschlandradio Kultur ist dabei als Medienpartner mit an Bord und die Godmother of Slam und Bachmannpreisträgerin Nora Gomringer ist jetzt in Bremen für uns im Studio, gemeinsam mit dem Schlagzeuger Philipp Scholz. Ich grüße Sie beide!
Nora Gomringer: Hallo, guten Morgen!
Philipp Scholz: Hallo, guten Morgen!
Meyer: Wie war denn gestern der Tourauftakt in Bremen? War Bremen bereit für alte Magie in neuem Gewand?
Gomringer: Absolut, es war ein sehr schönes Begegnen. Aber wenn ich schon sage "begegnen", heißt das auch: Es war angenehm vom Auditorium her, es hätte noch viel voller sein können, aber es war richtig nett. Wen wir trafen, den trafen wir gerne.
Scholz: Wir hören uns mal ein Beispiel an von dem, was Sie da zusammen treiben. Es gibt auch eine CD, die Sie zu diesem Projekt herausgebracht haben, hier ist ein Ausschnitt daraus, "Heimat".
(Musik-Sprech-Beitrag)
Meyer: "Heimat", ein Stück von Nora Gomringer und Philipp Scholz. Und jetzt wüsste ich ja mal gerne: Wie entsteht so was eigentlich, Herr Scholz? Ist das jetzt, Ihr musikalischer Anteil, ist das komponiert, geprobt, improvisiert, wie kommt so was zustande?
Scholz: Also, es ist teils, teils. Natürlich komponiert in dem Sinne, dass es von der Textur her immer das Gleiche sein sollte bei den Auftritten, aber wie die jetzt genau umgesetzt wird, das ist immer anders und hängt auch ein bisschen davon ab, wie das die Frau Gomringer dann vorträgt. Also, manchmal …
Meyer: Ist die undiszipliniert?
Scholz: Nein, einfach nur spontan sozusagen. Und das ist auch das, was man sich unbedingt erhalten muss. Und also, ich komme aus der Musik, die vor allem von der Improvisation lebt, …
Meyer: Sie sind halt Jazzer.
Scholz: … genau, und versuche, das eben auch in dieses Duo mit einzuführen. Und ich glaube, das tut dem Text auch gut und der Interpretation auf jeden Fall.
Meyer: Und wie verstehen Sie beide jetzt die Rollen von Text und Musik? Ist die Musik jetzt eine Art Begleitung, ein Kommentar oder auch ein Widerspruch zu dem Text? Wie hängt das zusammen?
Gomringer: Also, wir würden es gerne immer sehen als eine Komplettierung. Denn der Text ist die Stimme und die Stimme ist im Prinzip … Bei einem Lied würde man auch nicht nachfragen. Also, ein Lied lebt eben auch genau von dieser Duett-Situation zwischen Stimme und auch Textinformation und der Musik, von daher ist es hoffentlich eine Einheit, die da entsteht, wenn man es hört.

Auch der eigene Vater ist mit Gedichten

Meyer: Und Sie tragen eigene Texte vor oder singen sie, oder wie man es auch immer nennen will, und haben auch Texte von anderen dabei. Was sind das für Texte, die Sie noch mit reinschmuggeln?
Gomringer: Auf der CD haben wir dabei Ernst Jandl, auch Eugen Gomringer, ist ja auch ein Privileg der Tochter, dass sie den Vater sprechen darf und kann, muss auch immer ordentlich vorher fragen, ob das in Ordnung geht. Wir haben ein Gedicht von Selma Meerbaum-Eisinger vertont auf dieser CD und natürlich unser gemeinsamer Superstar Heinrich Heine.
Meyer: Und warum ist das jetzt eigentlich eine gute Kombi für Sie, Lyrik und Jazz?
Gomringer: Lyrik und Jazz hat eine ganz alte Tradition und funktioniert sehr gut insofern auch, dass es speziell hierbei ja um Stimme und Trommel geht beziehungsweise altes Instrument, vielleicht die zwei ältesten der Weltgeschichte, um sich Gehör zu verschaffen. Es funktioniert einfach. Und es gibt immer so ein paar Veranstalter, die richtig Angst haben, oh Gott, oh Gott, dann ist das Schlagzeug viel zu laut, dann verschwindet die Stimme! Aber wir bemühen uns wirklich sehr, dass es eine Emulsion gibt, die dann hoffentlich gut ins Ohr geht.
Meyer: Und Herr Scholz, wäre Ihre Antwort ungefähr die gleiche oder sagt ein Musiker etwas anderes dazu?
Scholz: Nein, das wäre sehr ähnlich auf jeden Fall. Ich glaube, wir haben da einen guten gemeinsamen Draht gefunden, ja. Ich kann das unterstützen.
Meyer: Sie haben ja auch gerade schon die Geschichte angesprochen, Frau Gomringer, diese Kombination Lyrik und Jazz haben ja vor Ihnen schon andere gemacht, in der DDR zum Beispiel waren die "Jazz Lyrik Prosa"-Platten unter anderem mit Manfred Krug und vielen anderen sehr präsent. Hat das auch eine Rolle gespielt für dieses Projekt, die Geschichte?

Prägend: Martin Held spricht Heinrich Heine

Gomringer: Ja, insofern auch, dass ich genau damit aufgewachsen bin. Ich habe also Manfred Krug gehört, ich habe "Martin Held spricht Heinrich Heine" gehört, das war für mich total wichtig, das war genau das, womit ich aufgewachsen bin, ich wollte immer rezitieren, Texte anderer Autoren sprechen. Dass ich jetzt selbst in die schöne Verlegenheit komme, meine eigenen Texte vortragen zu dürfen, das ist Freude, aber eben eigentlich auch fern von dem, was ich eigentlich immer dachte, was ich machen würde. Und also, jetzt die Arbeit mit Günter "Baby" Sommer zum Beispiel, da spreche ich Grass, "Grimms Wörter" haben wir eingesprochen für Radio Bremen in der Produktion, das ist … Ja, das war … Das ist wunderbare Arbeit. Das läuft seit sechs Jahren, aber hier, mit Herrn Scholz bin ich so im Jetzt, Direkt.
Meyer: Gut, dass der Herr Scholz mit dabei ist. Sie haben ja vorher, wenn Sie ohne Schlagzeuger aufgetreten sind, hatten Ihre Auftritte ja auch immer schon etwas sehr Musikalisches. Es ist Ihnen offenbar wichtig, den Rhythmus, den Groove von Lyrik sehr nach vorne zu stellen?
Gomringer: Ja, ich glaube, deshalb ist auch Herr Scholz auf mich aufmerksam geworden, sonst würde es gar nicht so funktionieren. Ich habe eine musikalische Ausbildung genossen, ich habe lange auch Klavier gespielt, das ist so in mir, absolut, ja.
Meyer: Und muss man dafür bestimmte Texte schreiben, die sich gerade dafür eignen, eben auch diese Eigenart von Gedichten nach vorne zu stellen?
Gomringer: Na, ich glaube nicht. Ich glaube, dass, also … Vielleicht schreibe ich genau diese Art von Texten, bei denen es funktioniert, vielleicht weil ich meinen eigenen Sprechvorgang im Kopf habe, wenn ich die schreibe. Aber eigentlich schreibe ich ja hoffentlich für die Leser, die dann eben mit den Texten auch etwas anderes anstellen können. So freue ich mich über verschiedene Arten von Vertonungen ja bereits oder auch grafische Umsetzungen der Texte. Mir ist es alles wichtig, dass um den Text herum ein großes Feld mitschwingt, ob das jetzt in der Grafik ist oder in der Musik oder in der Bildsprache überhaupt. Ich freue mich, wenn Lyrik zum Gegenstand wird, der auch nützlich ist und den Menschen Freude macht.
Meyer: Und bei solchen Konzerten … Ich frage mich, ob eigentlich … Was nimmt man wahr als Publikum, was denken Sie? Nimmt man eher das wahr, was musikalisch ist dann an dem, was Sie gemeinsam tun, tritt die Bedeutung, der Sinn der Texte vielleicht in den Hintergrund?
Scholz: Wenn ich antworten darf … Also, ich glaube oder höre es von vielen Leuten aus dem Publikum, dass sie erstens total überrascht sind, so was noch nie gehört haben. Und dann trotzdem zu bleiben und zu hören, finde ich schon mal ein großes Kompliment sozusagen. Und also, das Überraschungsmoment ist auf jeden Fall da. Und dann kommen ganz viele und sagen: Oh, ich kann mir den Text gar nicht mehr ohne die Musik vorstellen. Und das ist natürlich wundervoll.

Wie Musik für einen guten Film

Und wir ziehen immer den Vergleich gerne heran mit Filmmusik. Film würde ja auch nicht funktionieren ohne Musik, oder geht schon, aber das ist total doof. Und dahingehend versuchen wir auch zu arbeiten, dass es eben gewisse Stimmungen gibt, die nur mit dem Schlagzeug oder mit einem Instrumentarium ausgedrückt werden können, auf die Bühne kommen. Und ich glaube, das ist das, was die Leute mitbekommen. Und natürlich sagen sie auch: Ja, jetzt habe ich den Text irgendwie gar nicht verstanden, weil der Schlagzeuger hat so schnell gespielt und dann musste ich dahin gucken und so schön … Und andersherum natürlich, ja, der Text war jetzt so stark, da habe ich erst mal gar nicht geguckt. Und dafür ist dann natürlich die CD super. Also, ich kenne das aus dem Konzert natürlich, wenn man mit vier Musikern auf der Bühne steht oder schon dreien, wissen die Leute oft nicht, wo sie hinschauen sollen, und dann können sie eben zu Hause nachvollziehen, ah, da war ja das und so, mhm.
Meyer: Ich muss noch eine Frage stellen gewissermaßen in eigener Sache. Frau Gomringer, Sie haben vor einiger Zeit sogenannte Sound-Postkarten gemacht für unser Programm, für Deutschlandradio Kultur, und wenn ich das richtig mitbekommen habe, war das so eine Art Nukleus für Ihr "Peng Peng Peng"-Projekt jetzt?
Gomringer: Ja, sicher. Das waren die ersten kleinen Produktionen, die wir zusammen gemacht haben. Und wir leben ja nicht am selben Ort, also, ich lebe in Bamberg und Herr Scholz lebt in Leipzig, also haben wir uns immer so kleine Soundbits hin und her geschickt und haben dann darauf reagiert. Und das waren unsere Postkarten und war schön, dass wir die für Deutschlandradio auch schicken durften sozusagen!
Meyer: Und jetzt gibt es die ganze Tour mit Frau Gomringer und Herrn Scholz, wie sie sich offenbar gegenseitig immer nennen, die Dichterin Nora Gomringer, der Jazzschlagzeuger Philipp Scholz sind zusammen auf Tour mit ihrem "Peng Peng Peng"-Projekt, heute Abend treten sie in Osnabrück auf, in den nächsten Tagen in Hamburg, Rostock, Greifswald, Hannover und, und, und, viele weitere Stationen. Die CD zur Tour heißt genauso, "Peng Peng Peng", die gibt es beim Verlag Voland & Quist für 15 Euro. Vielen Dank für das Gespräch!
Gomringer: Sehr gerne, war schön mit Ihnen!
Scholz: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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