Lyrikerin Louise Labé

Aufrufe zur Emanzipation aus dem 16. Jahrhundert

10:07 Minuten
Porträt der französischen Dichterin Louise Labbé oder Labé (ca. 1524-1566) in Form eines Kupferstichs von 1830.
Louise Labés Tun sei "nicht schicklich" gewesen zur damaligen Zeit, so die Übersetzerin Monika Fahrenbach. Dank gefundener Vorwände sei ein faszinierendes Werk entstanden. © imago images / Leemage
Monika Fahrenbach im Gespräch mit Frank Meyer · 17.01.2020
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Sie gilt als eine der ersten Feministinnen: Louise Labé lebte vor rund 450 Jahren. Sie rief Frauen auf, "in Künsten und Gelehrsamkeit mit den Männern" wettzueifern, sagt die Übersetzerin Monika Fahrenbach. Sie brachte Labés erstaunlich offene Lyrik ins Deutsche.
Frank Meyer: "Bedachtsam leben macht mir Missvergnügen." Das klingt recht modern, geschrieben wurde das aber vor über 450 Jahren von der französischen Renaissance-Dichterin Louise Labé. Für manche ist das eine der ersten Feministinnen, auf jeden Fall war sie eine außerordentlich gebildete, literarisch beschlagene und auch mutige Frau – das zeigen ihre Liebesgedichte und andere Texte von ihr. Die können wir jetzt lesen dank der Übersetzerin Monika Fahrenbach.
Der Secession Verlag bringt eine neue Reihe mit Literatur von Frauen aus der frühen Neuzeit heraus, und Ihr Band mit dem Text von Louise Labé ist jetzt der erste in dieser Reihe. Wie ist das denn für Sie jetzt, mit Ihren Übersetzungen diese Reihe zu eröffnen?
Monika Fahrenbach: Ich freue mich natürlich, dass Louise Labé auf diese Art hier wieder bekannt wird, denn es ist eigentlich unverständlich, dass es so gar keine Resonanz in Deutschland gab. Vor allen Dingen ist der Widmungsbrief sehr geeignet, solch eine Reihe zu eröffnen, der das ganze Programm eigentlich enthält, das diese Reihe dann umsetzen will.
Meyer: Der Widmungsbrief ist gleich der erste Text in dem Buch von Louise Labé, der jetzt auch zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt wurde, eben von Ihnen. Wenn Sie sagen, das ist eigentlich ein guter Auftakt für diese Reihe, dann sagen Sie uns doch bitte, worum geht es in diesem Widmungsbrief. Warum eignet sich das als Programm für so eine Wiederentdeckungsreihe?
Fahrenbach: In dem Widmungsbrief schreibt sie direkt: "Da die Zeit gekommen ist, wo die strengen Gesetze der Männer die Frauen nicht mehr daran hindern, sich der Wissenschaft und Forschung zu widmen. So etwa scheint es mir, dass diejenigen unter uns, die das können, sich diesem ehrbaren Tun auch widmen sollten." Dieser Aufruf zur Emanzipation, die Damen sollten ihren Geist ein wenig über Spinnrocken und Klöppel erheben und in Künsten und Gelehrsamkeit mit den Männern wetteifern, wodurch auch "die Männer mit mehr Sorgfalt und Eifer das Studium der schönen Wissenschaften betreiben werden, aus Angst, sich zu ihrer Schande von denen überflügelt zu sehen, denen gegenüber sie in fast allen Dingen immer ihre Überlegenheit behauptet haben".
Meyer: Sie können ja den ganzen Text auswendig!
Fahrenbach: Ja, hab ich so oft gelesen. Dieses Zitat hab ich mir auch aufgeschrieben für alle Fälle, aber ich kann es auswendig. Und sie schlägt dann vor, die Damen sollten sich also lieber mit ihrem Wissen und mit dieser Ehre als mit Ketten, Ringen und aufwendigen Kleidern schmücken. Und es wird noch eine sehr scharfsinnige Analyse über die Befriedigung, die man durch das Schreiben und spätere Wiederlesen des Geschriebenen gewinnt oder findet, denn – "denn die Vergangenheit erfreut uns und bereichert uns mehr als die Gegenwart. Die Lust der Empfindung schwindet jedoch unaufhaltsam dahin und kehrt niemals wieder." Aber im Schreiben sieht sie die Möglichkeit, dass man zu dem gleichen Ausgangspunkt zurückkehren kann und zu derselben Befindlichkeit wie früher, und das dann beurteilen kann.

"Sehr schlichte, direkte Sprache"

Meyer: Man muss sich immer wieder dabei vor Augen halten, wir sind hier Mitte des 16. Jahrhunderts, im Jahr 1555 hat Louise Labé diese Texte veröffentlicht. Für solche Emanzipationsaufrufe ist das extrem früh in unserer europäischen Geschichte. Und wenn Louise Labé da auch andere Frauen ermuntert, die Männer an Gelehrsamkeit zu übertreffen, sich mit Kunst zu beschäftigen, mit Wissenschaft, mit dem Schreiben - deutet das auch darauf hin, wenn sie sich da an andere Frauen wendet, dass Louise Labé durchaus in einem Netzwerk von Frauen gelebt hat, dass es auch andere Frauen gab, die sich auf ähnliche Weise wie sie geäußert haben?
Fahrenbach: Es gab ja in Italien Gaspara Stampa und Vittoria Colonna, und das waren zwei Dichterinnen, die auch eben im petrarkistischen Stil geschrieben haben, was nicht selbstverständlich war, denn eigentlich hatte der Petrarkismus die Rolle des Werbenden nur für den Mann vorgesehen. Das war nicht schicklich in der damaligen Zeit, dass eine Frau einen Mann umwarb.
Meyer: Also das ist die Dichtung in der Nachfolge von Francesco Petrarca, dem großen Italiener.
Fahrenbach: Diese beiden hat sie vermutlich gekannt. Aber dennoch ist ihr Zyklus was ganz Eigenes. Sie hat eine sehr eigene, persönlich wirkende Ausdrucksweise, eine sehr schlichte, direkte Sprache, und es wirkt sehr unmittelbar, obwohl das ja Gedichte sind, die einem festen Kanon folgen, also festen Gesetzen auch, bestimmte Dinge werden abgehandelt. Die tauchen in ihrem Kanon auf – das war üblich im Petrarkismus –, und es ist ein Missverständnis, wenn man sie als Erlebnisdichtung deutet.
Meyer: Wenn Sie jetzt von diesem Zyklus sprechen, dann meinen Sie 24 Sonette von Louise Labé, die auch schon mehrfach ins Deutsche übersetzt worden sind, also die konnte man tatsächlich schon früher kennen. Wie ist das denn bei Ihnen selbst, seit wann kennen Sie denn die Gedichte von Louise Labé?
Fahrenbach: Ich kenne die Gedichte von Louise Labé durch die Übersetzung von Rilke schon sehr lange. Aber es war so, dass ich einem Freiburger Romanisten, nachdem ich die Baudelaire-Übersetzung abgeschlossen hatte und nach einem neuen Text Ausschau hielt, das erzählte, und da machte er den Vorschlag, ich solle doch Louise Labé übersetzen. Ich wies das erst von mir und sagte glatt, ich bin doch nicht größenwahnsinnig. Und dann meinte er nur, sehen Sie es sich mal an.
Meyer: Also nicht größenwahnsinnig, weil …
Fahrenbach: Mit Rilke zu konkurrieren.
Meyer: ... Rainer Maria Rilke quasi dann Ihr Konkurrent gewesen wäre.
Fahrenbach: Das klingt so großartig. Aber ich hab’s mir dann angeschaut und hab gemerkt, dass Rilke die verlassene Geliebte – das war ein Prototyp für ihn – seinen Vorstellungen einordnet und dass für ihn die Liebe letztlich nur ein Anlass ist, um über den Geliebten hinauszuwachsen, während Louise Labé sich mit dem Geliebten rechtend und klagend und auch ironisch auseinandersetzt. Louise Labé schreibt: "Ich bitte also, töte den Skorpion, töte nur den Überdruss, erhalte dieses liebe Sehnen mir, weil ich sonst unausweichlich sterben muss sonst." Sie möchte also diesen Schmerz erhalten haben und es nicht aufgeben, während Rilke schreibt: "Es bleibt kein Ausweg mehr, es wird mich töten." Da ist gleich eine letzte Konsequenz eingebaut, und das charakterisiert den Rilke’schen Zyklus.

Als leichtfertige Frau beschimpft

Meyer: Also Sie wollten sich nicht an Rilke messen, haben aber diese Aufgabe doch auf sich genommen gewissermaßen, aber was hat Sie denn an den Gedichten selbst interessiert, begeistert, was fanden Sie toll an diesen Gedichten, sodass sie die Übersetzung angegangen sind?
Fahrenbach: Ich fand sie unglaublich faszinierend. Sie hatten eine unmittelbare Wirkung, obwohl es ja wirklich eine Kunstdichtung ist, sie darf nicht als Erlebnisdichtung missverstanden werden, was ihr oft zum Verhängnis wurde. Sie wurde dann als leichtfertige Frau beschimpft und so weiter. Ich muss sagen, das reine Lesen fand ich faszinierend. Sie hat eine Gabe, Dinge ganz schlicht und dadurch sehr intensiv auszudrücken, und es wirkt, als sei es ganz natürlich und unmittelbar. Das ist natürlich enorm kunstfertig. Und die Schwierigkeit war ja, dass es in der damaligen Gesellschaft eben nicht schicklich war, dass eine Frau einen petrarkistischen Liebeszyklus schrieb. Sie musste eine Vorgabe machen, nämlich dass der Geliebte Versprechungen gebrochen habe und Liebesschwüre, und das gab ihr das Recht, ihn zur Rede zu stellen und seine Liebe einzuklagen.
Aber dadurch wird dieser Zyklus natürlich auch viel vielseitiger und differenzierter als im männlichen Petrarkismus, wo der Geliebte eben immer nur sich an die unnahbare Geliebte wendet, aber es kommt keine Reaktion von ihr, nur indirekt, und es ist nicht dieser Wechsel von Empfindungen, die sie ausdrücken kann – also Hoffen, Bangen, Enttäuschung, Klage, Verzweiflung, Empörung, dann auch mal wieder Liebeserfüllung und dann sogar Ironie. Das ist ja überhaupt eine ihrer Stärken, diese ironische Distanz, die zieht sich eigentlich durch ihr ganzes Werk. Aber das hat offensichtlich den Neid von manchen Herren erweckt, die in ihr dann eine Courtisane Lyonnoise sahen.
Meyer: Weil sie aus Lyon kam, deswegen "Lyonnaise".
Fahrenbach: Ja. Aber es kam von ihren Kollegen, die dann teils unterstellten, das sei naive Dichtung, und es war schwierig, ihre hohe Begabung anzuerkennen offensichtlich.
Meyer: Ich weiß nicht, haben Sie sie sich versucht vorzustellen jetzt in der Auseinandersetzung auch mit Ihren Texten, was haben Sie sich für ein Bild von dieser höchst ungewöhnlichen Frau Louise Labé gemacht?
Fahrenbach: Also das Bild selber, das überliefert ist … sie ist ja eine wunderschöne Frau, eine auffallend schöne Frau. Das ist doch ganz beachtlich, sie trat immer selber für sich ein.

Louise Labé: "Torheit und Liebe"
Aus dem Mittelfranzösischen von Monika Fahrenbach-Wachendorff
Secession Verlag, Zürich 2019
208 Seiten, 20 Euro

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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