Lynsey Addario: "Jeder Moment ist Ewigkeit"

Die Schönheit im Grauen

Ein Foto der preisgekrönten US-Kriegsfotografin Lynsey Addario: Eine Frau testet in einem Waffengeschäft in Norwalk (USA) ein Gewehr.
Ein Foto der preisgekrönten US-Kriegsfotografin Lynsey Addario: Eine Frau testet in einem Waffengeschäft in Norwalk (USA) ein Gewehr. © picture alliance / dpa / Lynsey Addario
Von Barbara Lehmann · 05.03.2016
Mehr als einmal ist die US-Kriegsfotografin Lynsey Addario dem Tod von der Schippe gesprungen. In ihrer Autobiografie schildert sie, wie ihre kunstvollen und berührenden Fotos teils unter Lebensgefahr entstehen – und reflektiert selbstkritisch ihr eigens Tun.
Sie überlebt ein Feuergefecht im afghanischen Korenga-Tal, eine Entführung durch Gaddafis Soldateska in Libyen, einen Unfall in Pakistan, bei dem ihr Fahrer tödlich verletzt wird. Sie trotzt dem Tod von Freunden und Kollegen an den Fronten des Krieges gegen den Terror.
Immer wieder überwindet sie eigene Zweifel, ob das Ergebnis - ein Foto - die Strapazen lohne. Warum tue ich das, fragt sich Lynsey Addario in ihrer Autobiografie.

Ihre Themen: verdrängtes Leiden, Not und Elend

Sie möchte all jenen eine Antwort geben, die unter Sorgen ihre wagemutigen Reisen gedanklich begleiten. Ihre fesselnde Biografie ist wie ein langer Brief an ihre Nächsten geschrieben – und dient ihr gleichzeitig als Selbstbefragung, Gewissensprüfung und Beichte.
Mag sie auch beruflich wie privat getrieben und zerrissen sein, der Wirkung ihrer Bilder ist sich die preisgekrönte amerikanische Kriegsfotografin sicher: Sie rütteln auf. Zudem vergisst die Tochter italienisch stämmiger Eltern nicht, wo sie herkommt und wofür sie einsteht: Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Freiheit.
Cover - Lynsey Addario: "Jeder Moment ist Ewigkeit" 
Cover - Lynsey Addario: "Jeder Moment ist Ewigkeit" © Econ Verlag
Sie ist strebsam, ehrgeizig, neugierig und lebenshungrig. Schon bald wird ihr Amerika zu eng. Und das Fremde, das Unbekannte, das Extreme beginnen sie zu reizen. Als junge Frau bricht sie zunächst nach Argentinien auf, dann nach Kuba, Indien und Afghanistan.
Vor allem aber zieht es sie an jene Orte, die andere meiden – dorthin, wo es dreckig ist, grausam, schmutzig. Verdrängtes Leiden, Not und Elend, aber auch Schönheit im Grauen hält sie mit ihrer Kamera fest, beispielsweise Opfer von Dürrekatastrophen oder von Vergewaltigungen.

Kunstvoll komponierte, berührende Motive

Eine Auswahl ihrer Fotos ist der Autobiografie beigefügt. Sie drücken selbst im Angesicht des Todes noch Würde aus, zeigen kunstvoll komponierte, berührende Motive.
Nach 9/11 besucht Lynsey Addario zum zweiten Mal Afghanistan, zudem Libyen und den Irak. An den Fronten des Krieges gegen den Terror erlebt sie den Höhepunkt ihrer Karriere.
Mit Chuzpe, kleinen Notlügen, Charme und Mut behauptet sie sich als junge Frau in von Männern dominierten muslimischen Gesellschaften. Ohne sich anzubiedern oder zu verleugnen, zollt sie der fremden Kultur Respekt.

Fototermin im Haus eines Taliban-Kommandeurs

Bei allem Tragischen und Schrecklichen, das sie schildert, verliert sie ihren Humor nicht. Ihr kommt zugute, dass sie ein mediterranes Aussehen hat und mit bescheidenen 1,55 Meter Größe Beschützerinstinkte wachruft. So gestehen die Fürsten des Terrors der Fotoreporterin Rechte zu, die sie den eigenen Frauen verwehren.
Auch sich selbst nimmt sie auf die Schippe. Ganzkörperverschleiert, getarnt als Ehefrau eines Journalistenkollegen, schießt sie Fotos im Haus eines Taliban-Kommandeurs und trinkt Tee mit dem Gesicht zur Wand, um die männlichen Gastgeber nicht durch ihren Anblick zu verstören.

Selbst als Hochschwangere mit der Kamera unterwegs

Selbstkritisch gesteht sie sich das Privileg ein, einen kurzen Blick auf die Not Anderer werfen zu dürfen, um gleich darauf wieder in das eigene luxuriöse Leben abzutauchen. Lang hält sie es nie aus im Behaglichen unter ihresgleichen.
Sie dokumentiert aber auch die andere Seite, die amerikanische Schaltzentrale des Krieges gegen den Terror, wo Bomben und Granaten in schalldichten, abgedunkelten High-Tech-Räumen per Computer gesteuert werden. Kämpft sich gleich darauf mit einfachen Soldaten in tagelangen Märschen durch afghanischen Berge. Und ist selbst noch als Hochschwangere mit der Kamera unterwegs.

Einsatz für die Pressefreiheit

Umso bitterer wird es für sie, an die Grenzen der Pressefreiheit zu stoßen. Unter tagelangen Strapazen hatte sie das Foto eines afghanischen Jungen gerettet, dessen Gesicht von Splitterverletzungen entstellt wurde.
Im "New York Times Magazine" durfte es dann nicht erscheinen, weil das US-Militärs sich dagegen mit dem Argument verwehrte, es sei nicht sicher, dass der Junge ein Opfer von Nato-Bomben wurde. Lynsey Addario erhob vergeblich Einspruch. In ihrer Autobiografie ist das beeindruckende Foto zum ersten Mal öffentlich zu sehen.
Nun will der Regisseur Steven Spielberg das Leben der fotografierenden Reporterin verfilmen - mit Jennifer Connelly in der Hauptrolle.

Lynsey Addario: Jeder Moment ist Ewigkeit. Als Fotojournalistin in den Krisengebieten der Welt
Aus dem Amerikanischen von Stephan Gebauer
Econ Verlag Berlin, Februar 2016
368 Seiten, 25,00 Euro, auch als E-Book

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