Lydias Buzz-Cut

Das erste Mal Glatze

Echtzeit-Reporterin Lydia Herms hat es jetzt auch getan, zum ersten Mal… eine "Neun-Millimeter-Glatze"
Echtzeit-Reporterin Lydia Herms mit neuer Frisur... © Lydia Herms
Von Lydia Herms · 02.12.2017
Kristen Stewart hat es getan, Cara Delevingne und die 13-jährige Millie Bobby Brown. Haare ab, so richtig: Buzz-Cut. Um aufzufallen? Um nicht schön sein zu müssen? Für die Filmrolle? Echtzeit-Reporterin Lydia Herms hat sich ihren Kopf auch kahlrasieren lassen, zum ersten Mal…
"Bist du bereit?", fragt mich meine Frisörin. In der Hand hält sie einen Haartrimmer, eingestellt auf neun Millimeter. "Bereit!" Es ist eine Sache von vielleicht zehn Minuten, höchstens. Maschine an, Maschine drüber, Maschine aus. Und trotzdem habe ich Jahre dafür gebraucht.

Dank meines dioptriegetrübten Maulwurfblicks erkenne ich ohne Brille so gut wie nichts von dem, was Steph – Meisterin im Berliner Frisörsalon Swinging Scissors – da gerade mit meinem Kopf anstellt…
Meine Frisörin ist viel cooler als die von Britney Spears. Die hat vor zehn Jahren gestreikt, als der gefallene Popstar ankam und sagte: Alle Haare müssen runter. Dann hat Britney die Maschine selbst in die Hand genommen; die Bilder davon gingen einmal um die ganze Welt. Ich fand das gar nicht schlimm, auch wenn böse Zungen behaupteten, Britney sei nicht Herrin ihrer Sinne gewesen. Damals.

Ich sehe mich im Spiegel an und finde mich schön

Bin ich es denn, heute? - Ich greife zur Brille… Boah, man kann voll auf meine Kopfhaut gucken. Sie sind weg, meine Haare, bis auf neun Millimeter, fast Glatze. Ich kenne das unter dem Namen Igel, heute wird das Buzz-Cut genannt. Buzz heißt summen, Cut ist der Schnitt, zusammen ergibt das den englischen Begriff für Stoppelfrisur. Und die wird bis heute eher als "Strafe" betrachtet.
Wer keine Haare hat, kann keine Läuse übertragen. Außerdem ist er oder sie – brechen wir das Ganze mal richtig fies runter – hässlich. Ich sehe das ganz anders. Ich sehe mich im Spiegel an und finde mich schön, aber ich sehe nicht mehr so aus wie vorher. Also: Gar nicht.

Keine 20 Minuten später sitze ich im Bus. Ich trage eine dicke Pudelmütze, will sie absetzen, aber zögere noch. Wovor habe ich Angst? Dass die Menschen im Bus über mich urteilen, wegen der Frisur? Dass sie mich hässlich finden, weil ich nicht mehr aussehe, wie ein Frau auszusehen hat? Oder dass sie denken, ich habe was mit Hooligans zu tun, mit "Brutalos"? Ja, doch. Absurd!
Echtzeit-Reporterin Lydia Herms vor dem Buzz-Cut
Echtzeit-Reporterin Lydia Herms vor dem Buzz-Cut© Lydia Herms

Er "findet" wenig, er lacht...

Kein Mensch guckt doof. Und doch ist etwas anders. Sie wissen nicht, was ich weiß. Nämlich, dass ich vorher anders ausgesehen habe. Dass ich mit den abrasierten Haaren auch ein paar Sorgen fallengelassen habe. Dass sich da eine Zäsur nicht nur auf meinem Kopf abgespielt hat…
"Wieso denn im Winter, Lydi!?", fragt Yvonne, die sofort auf das Bild reagiert hat, das ich ihr von meiner Rübe geschickt habe. Wegen der Mützen, zum Verstecken, schreibe ich zurück, Yvonne findet es schön. Mein Freund Christoph "findet" erstmal wenig. Der lacht… Hätte ich eigentlich wissen müssen, dass die Reaktion von Menschen, die mich gut kennen, heftiger ausfällt, als die von Fremden. Sehe ich Frauen mit dieser "Nichtfrisur", halte ich sie sofort für selbstbewusst, stark und unabhängig. Ich war also noch nicht soweit.

So ein "Teenager-Ding"?

Am Abend meines ersten Tages ohne Haare kommt mich Chris besuchen. Sie sagt erstmal gar nichts. Huh. Das irritiert mich dann doch. Bewege ich mich schon so normal damit, dass es nicht auffällt? Nee. "Es sieht aus wie nachgewachsen, weil du, glaube ich, sehr dünne Haare hast, sehr feine Haare", sagt sie. "Und deswegen dachte ich, ja, als erstes an Krankheit."

Chris hat kurze Haare. Ich frage sie, wie sie persönlich dazu steht, bei sich… Es sei halt ein krasses Statement. "Und es weckt auch Assoziationen, die man nicht unbedingt haben will, an KZs und Krankheit und so. Ich weiß nicht, wurden nach dem Krieg nicht auch, wurden Leute damit nicht kenntlich gemacht, als Verräterinnen?" Also, jede Menge schwieriger Assoziationen. "Und deswegen würde ich es jetzt nicht mehr machen", meint Chris. Es sei mehr "so ein Teenager-Ding, wenn man so als 16-Jährige rebelliert".
Okay, die Assoziationen liegen nah. Ich kann das nicht verhindern, aber vielleicht überschreiben. Und: Ich bin mit vielem spät dran. Dann rebelliere ich eben erst mit 36. Und ich weiß auch genau, gegen was. Gegen jeden Zweifel.
Mehr zum Thema