Luthers Reformationsjubiläum

Einfach mal die Tinte halten!

Das Erfurter Luther-Denkmal in der Kontur von hinten
Das Erfurter Luther-Denkmal in der Kontur von hinten © imago/Klaus Martin Höfer
Von Pieke Biermann · 30.10.2017
Der 500. Jahrestag der Luther-Thesen ist zwar erst am 31. Oktober, doch seit zehn Monaten berichten die Medien auf allen Kanälen, wenn es um Luther geht. Nichts wurde ausgelassen, aber: Müssen solche Ergüsse gleich so viel Vorlauf haben?
Wer mag, feiert morgen den 500. Jahrestag der Reformation. Am 31. Oktober 1517 soll ja ein katholischer Dissident 95 Thesen an eine Kirche genagelt haben. Man weiß es nicht genau, Selfies wurden bisher nicht gefunden. Aber die una sancta catholica war nachhaltig beleidigt. In der Folge kam es zwischen Protestanten und Katholiken zu etlichen Kriegen um Geld und Herrschaft, die sich prima religiös veredeln ließen. In Irland sind sie bis heute nicht ganz darüber hinweg.
Und andernorts schlagen gewisse Herrschaften gerade bombige Profite aus einem eigentlich bloß theologisch relevanten Schisma mit blutigen Folgen: Im koranischen Kulturkreis, zum Beispiel, verfemen sich Sunniten und Schiiten derzeit gegenseitig als "Ungläubige", die gemetzelt gehören und der Rest der Welt gleich mit.

Zehn Monate Luther-Hype

Aber zurück zu Luther und dem Reformationsjubeljahr 2017. Ist also ab morgen wenigstens Schluss mit dem Hype um diesen Mann, der bekanntlich den christlichen Antijudaismus gleich mit "reformiert" hat, und zwar aufs Unappetitlichste.
Zehn Monate lang sind wir jetzt aus allen medialen Rohren beschossen worden – in Print-Film-Funk-Fernsehen, mit Events und Playmobilfiguren. Dieses Jahr wurde der Reformationstag sogar eigens zum nationalen Feiertag umgewidmet. Bloß wegen der runden Zahl, also der Nullen! Ach, wär doch das Dezimalsystem nie erfunden worden!

"Aber müssen denn solche Ergüsse gleich so viel Vorlauf haben?"

Gut, ein paar Nullen als appetizer für ein bisschen Geschichtsunterricht – das könnte die grassierende Geschichtsvergessenheit durch digitalen Info-Overkill ein bisschen mildern. Aber müssen denn solche Ergüsse gleich so viel Vorlauf haben? Zehn Monate! Wer kann denn da die Tinte nicht halten? Wie soll das denn die nächsten Jahre noch werden?
2018, zum Beispiel, ist null-technisch extrem ergiebig. Nur eine kleine Auswahl: Karl Marx wird 200, ebenso die Draisine, die Allgemeine Deutsche Burschenschaft und Frederick Douglass, Ex-Sklave und Abolitionist; der "Prager Fenstersturz", Zündfunken für den Dreißigjährigen Krieg, wird sogar 400; vor 100 Jahren endet der Erste Weltkrieg und mit ihm die deutschen Kolonialgräuel in Afrika, es werden die erste deutsche Republik ausgerufen, der Deutsche Beamtenbund, die KPD und die Rote Armee gegründet, die Zarenfamilie ermordet, "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus veröffentlicht.
Nur zweistellig, aber auch rund sind die sogenannte Reichskristallnacht vor 80 und die Berlin-Blockade vor 70 Jahren; 70 werden nächstes Jahr außerdem die UN-Völkermordresolution und die Bundesfarben Schwarz-Rot-Gold, 50 der Bobby-Kennedy-Mord und der Pariser Mai samt dem 68er-Rest.

2025 wird Preußen 500 – was werden wir dann erleben?

Nein, das müssen Sie sich nicht alles merken, der Buchladen und die Medien Ihres Vertrauens werden Ihnen Etliches davon um die Augen & Ohren hauen. Und womöglich noch mehr, mit Extra-Vorlauf – ich denke da an die nächste Jahrtausendzahl: 2025, da wird Preußen 500. Und garantiert sind die diesbezüglichen Bücher, Filme, Events längst in Planung – zu französischem Geist und deutschem Flötentöne, Hugenotten und Juden, Emanzipation und Integration, langen Kerls und gerüchteweise schwulen Monarchen.
Wir werden's erleben. Und falls hier jemand Frauen vermisst – unsereiner wird bis dato vorwiegend im Künstlerischen gedacht.
Mit Luther, übrigens, können wir nächstes Jahr auch weitermachen: Am 4. April winkt ein 50. Todestag. Also von Martin Luther King Jr. , erschossen in Memphis, Tennessee, home of white male supremacy…

Pieke Biermann, Jahrgang 1950, lebt und arbeitet als freie Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin in Berlin.




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