Lupinen: Aufsteigende Lähmungen

Von Udo Pollmer · 27.07.2008
Jetzt blüht sie, die Lupine – in Gärten, an Autobahnauffahrten und seit einigen Jahren auch auf dem Feld. Denn der Markt wächst und immer mehr Produkte werden mit Lupinenmehl angereichert. Glaubt man der Werbung so soll die "Sojabohne des Nordens" die Menschheit nähren, als Heilmittel vor Verkalkung, Gicht und Diabetes bewahren.
Was ist dran an der "Wundernahrung"? Die Lupine ist eine uralte Kulturpflanze – allerdings in erster Linie als vorzüglicher Bodenverbesserer. Im Alten Rom sorgte sie beim Weizenanbau für die Gründüngung. Auf den Weiden wurden die Lupinen nicht so gerne gesehen, denn die Samen einer ganzen Reihe von Lupinenarten sind ziemlich giftig. Sie enthalten bittere Alkaloide wie Lupinin, Angustifolin, Spartein oder Lupanin. Darauf reagieren insbesondere Schweine reagieren empfindlich. Rinder und Schafe kommen damit besser zurecht, so dass sie auf die abgeernteten Felder getrieben wurden. Doch auch da gab und gibt es Erkrankungen durch die sogenannte Lupinose, die zur Leberverfettung führt. Inzwischen weiß man, dass dafür nicht die Alkaloide der Lupine, sondern ein Pilz verantwortlich ist, der die Pflanze befällt. Er bildet ein Mykotoxin.

Aber es wurden doch auch Lupinensamen vom Menschen gegessen, beispielsweise in den Anden? In der Neuen Welt sind die Lupinen bis heute ein wichtiges Nahrungsmittel, vor allem in den Anden. Allerdings werden die Lupinensamen vor dem Verzehr entbittert, also entgiftet. Dazu müssen sie eine halbe Stunde lang kochen und anschließend noch drei Tage lang in fließendem Wasser weichen, um die Gifte herauszuspülen. Allerdings geht dadurch auch ein Drittel des Nährwerts verloren. In Europa wurden Lupinensamen vor allem bei Hungersnöten konsumiert – mutmaßlich ebenfalls nach entsprechender Entbitterung. Die giftigen Alkaloide lassen sich übrigens als natürliche Pestizide verwenden.

Irgendwie kann ich nicht glauben, dass so etwas zur menschlichen Ernährung empfohlen wird. Heute verwendet man für Tier und Mensch andere Sorten, sogenannte Süßlupinen. Die wurden in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts gezüchtet. Sie enthalten kaum noch giftige Alkaloide. Diese Sorten Jahren wurden nun wieder reaktiviert und auf ihre Eignung als Futtermittel und zur menschlichen Ernährung geprüft. Das Interesse rührt vor allem vom Öko-Landbau, um das importierte Soja zu ersetzen; den Futterrationen für die Öko-Tiere fehlt oft das nötige Eiweiß. Außerdem reichert die Lupine den Boden mit Stickstoff an, der im Ökolandbau meistenteils knapp ist.

Das ist doch eine wunderbare Lösung. Ja, aber für den konventionellen Landwirt. Denn durch das Herauszüchten der Gifte ist die Pflanze anfällig für Krankheiten und Schädlinge. Innerhalb weniger Jahre wurde in Deutschland der Anbau der Gelben und Weißen Süßlupinen durch das Auftreten der Anthraknose, einer Pilzkrankheit, bedroht. Der Anbau schien kurz vor dem Aus. Inzwischen gibt es aber eine Anthraknose-resistente Blaue Lupine (die blüht allerdings weiß), so dass die Flächen wieder ausgeweitet wurden. Mal sehen wie lange. Denn jetzt breitet sich die Schwarze Wurzelfäule aus. Zudem gedeihen Lupinen nur auf sauren Böden, haben Probleme mit Schädlingen wie der Lupinenlaus und werden schnell von Unkraut überwuchert. Zudem neigen die Süßlupinen dazu, wenn man sie aus eigenem Saatgut nachbaut, wieder erhöhte Alkaloidgehalte zu bilden. Und auch für die Tiere ist die Süßlupine nicht immer die ideale Kost. Sie enthält alpha-Galactoside, die zu schmerzhaften Blähungen führen können, sowie zuviel Rohfaser, was den Einsatz in der Schweinemast begrenzt.

Ist das auch für den Menschen ein Problem? Wenn es richtig verarbeitet wird, dann natürlich nicht. Insofern steht einer Verwendung für die menschliche Ernährung nichts entgegen. Es wird ja als Ersatz für Soja verwendet und kommt in Wurstwaren, Sojakäse, Brotaufstrich usw. Das ist das allenfalls für Allergiker von Bedeutung. Leider bewirken die euphorischen Berichte über die vermeintlichen Wunderdinge auch Vergiftungen, wenn bittere Lupinensamen gesammelt und gegessen werden. Die tödliche Dosis kann bereits mit 10 Gramm erreicht sein. Die ersten Symptome sind Benommenheit, unkoordinierte Bewegungen und von den Beinen aufsteigende Lähmungen. Hier gilt die alte Regel: Bitterer Geschmack ist stets ein Warnsignal. Es gibt nur wenige Ausnahmen.


Literatur:
Cheeke PR: Natural Toxicants in Feeds, Forages, and Poisonous Plants. Interstate, Danville 1998
Cowling WA et al: Lupin. Lupinus L. IPGRI, Rom 1998
Gross R, Wink M: Degradation of sparteine in soil. Lupin Newsletter 1986; 9: 15-18
Thalmann R et al: Schwarze Wurzelfäule bei Blauen Lupinen – frühzeitige und spezifische Detektion des Erregers Thielaviopsis basicola. Gesunde Pflanzen 2008; 60: 67-75
Smith RA: Potential edible lupine poisonings in humans. Veterinary & Human Toxicology 1987; 29: 444-445
Roth L et al: Giftpflanzen – Pflanzengifte. Ecomed, Landsberg 1994