Lukas Haffert: "Die schwarze Null"

Eine fast metaphysische Überhöhung

Ein Solar-Taschenrechner, auf dem dreimal die "0" zu lesen ist.
Ein Solar-Taschenrechner, auf dem dreimal die "0" zu lesen ist. © imago/Steinach
Lukas Haffert im Gespräch mit Florian Felix Weyh · 01.10.2016
Ist ein ausgeglichener Haushalt gut? Der Politologe Lukas Haffert und Autor des Buchs "Die schwarze Null" verweist auf negative Erfahrungen anderer Staaten mit einem lang anhaltenden "Überschussregime".
"Die schwarze Null ist die symbolmächtigste politische Zahl unserer Zeit", schreibt Haffert. Nach Jahrzehnten permanenter Staatsverschuldung erfahre die Vorstellung eines ausgeglichenen Staatshaushalts in Deutschland eine fast metaphysische Überhöhung: "All die negativen Konsequenzen, die man mit Staatsverschuldung verbindet, werden jetzt in umgekehrter Weise der schwarzen Null zugeschrieben."
Wenn man nur der Schuldenfalle entkäme, lautet das verbreitete Mantra, sei die Zukunft gesichert, während Schulden die Zukunft bedrohten. Eine zu hohe Staatsverschuldung sieht der Züricher Politologe durchaus kritisch. Wer Zinsen bedienen und Schulden zurückzahlen muss, kann nicht dieses Geld nicht sinnvoll investieren.
"Dass Schulden kein langfristig sinnvolles Politikinstrument sind, zeigt bereits die Tatsache, dass die Bundesrepublik mittlerweile mehr Geld für Schuldzinsen ausgegeben hat, als sie durch Kredite überhaupt einmal eingenommen hatte", lässt sich in seinem Essay lesen. "Ohne Neuverschuldung hätte der Staat netto nicht weniger Geld ausgeben können, wäre heute aber schuldenfrei."

"Überschussregime" investiert nicht automatisch mehr

Aber das Gegenteil, ein "Überschussregime" – wie es in etlichen westlichen Staaten jahrelang existierte –, erfülle "progressive Wünsche" nach mehr Investitionen auch nicht. Im Gegenteil: "Wenn man sich jetzt mal empirisch anschaut, was in anderen Ländern mit Überschüssen passiert ist, stellt man fest, dass diese Parlamente nicht wieder mehr Handlungsspielräume gewonnen haben."
In Deutschland etwa flössen Überschüsse in eine rückwärtsgewandte Rentenerhöhung, die wiederum die nächste Generation finanziell einschränke. "Überschüsse sind eine konservierende, keine verändernde Kraft", konstatiert der Politologe.

Vorgängerregierung gestaltet Möglichkeiten der neuen

Der Handlungsspielraum einer neu gewählten Regierung steht und fällt mit den finanziellen Möglichkeiten, die ihr die Vorgängerregierung hinterlassen hat. Sind die allermeisten Einnahmen durch langfristige Ausgaben gebunden, ist die neue Regierung zwar als Alternative gewählt worden, kann aber keine alternative Politik machen.
Diese Sichtweise bestimmt die Perspektive in Lukas Hafferts Denk- und Streitschrift. Im Buch heißt es zur "fiskalische Demokratie": "Ein handlungsfähiger Staat verfügt über Spielräume, um Budgetmittel in unterschiedliche Richtungen zu lenken, je nachdem, was die Wünsche der Bürger und der amtierenden Regierungsmehrheit sind. Mit anderen Worten: Die Staatstätigkeit muss gestaltbar sein. Das allein genügt aber noch nicht. (...) Die Ausgaben gestalten die Zukunft, statt nur den Status quo zu alimentieren. Sie haben den Zweck, die gesellschaftlichen Zukunftsvisionen der Regierung finanziell zu unterfüttern."

Der Spielraum wird nicht größer

Gerade für die politische Linke mit ihren Gestaltungsvisionen sind potenzielle Haushaltsüberschüsse daher attraktiv. Linke Parteien tragen die Politik der "schwarzen Null" oft mit. In der historischen Analyse ergibt sich aber ein ernüchterndes Ergebnis, erklärt Haffert im Gespräch: "Die Vorstellung, dass man wieder etwas rückgängig machen könnte, was man einmal gekürzt hat, bestätigt sich nicht."
Staaten mit langen Überschussregimen weisen deswegen auch keinerlei Vorteil bei den öffentlichen Investitionen oder Bildungsinvestitionen aus. Und der öffentliche Druck, überschüssige Einnahmen an den Steuerzahler zurückzugeben, wirkt auch auf linke Parteien: "Nicht nur staatskritische konservative Parteien, sondern auch staatsfreundliche linke Parteien verwendeten einen größeren Teil der Überschüsse für Steuersenkungen als für eine Erhöhung der gestaltenden Staatsausgaben", heißt es im Buch.
Die Politik der strikten Haushaltskonsolidierung sieht Lukas Haffert deswegen skeptisch: "Die Verteilungskonflikte sind immer noch genau dieselben wie vor der schwarzen Null. Die Konflikte werden nur im Diskurs verdeckt, weil man sagt: Naja, jetzt haben wir es geschafft!"

Lukas Haffert: Die schwarze Null
Über die Schattenseiten ausgeglichener Haushalte
Suhrkamp Verlag 2016
160 Seiten, 15 Euro