Luisa Neubauer zur Erderwärmung

Die Klimakrise als Audiogeschichte

08:52 Minuten
Die Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer protestiert vor dem Kohlekraftwerk Datteln 4 gegen Energiegewinnung aus Kohle.
Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer beim Protest gegen Energiegewinnung aus Kohle. © picture alliance / dpa / Bernd Thissen
Luisa Neubauer im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 10.11.2020
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Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer kämpft für ihre Sache nun auch mit einem Podcast auf Spotify. Sie will damit aufklären, aber auch ungewöhnliche Perspektiven einnehmen - und geht dafür mit Rezo in die Kohlegrube.
Stephan Karkowsky: Auf Spotify startet heute ein neuer Podcast mit einer bekannten und wichtigen Stimme der Klimabewegung:
"Ich heiße Luisa Neubauer, und ich bin Klimagerechtigkeitsaktivistin. In diesem Podcast nehme ich euch mit. Ich spreche mit Menschen, deren Gedanken, deren Erkenntnisse, deren Arbeit und Widerstand und Kampf gegen die Klimakrise essenziell sind."
Und wir sprechen mit ihr, über den Podcast. Ich vermute mal, eigentlich hätten Sie gar keine Zeit für uns heute, weil Sie ohne Corona auf dem UN-Klimagipfel in Glasgow gewesen wären, richtig?
Neubauer: Ja, tatsächlich, das ist jetzt genau die Zeit dafür. Das ist natürlich krass, das vergisst man, glaube ich, in so einem Jahr ganz schnell, dass ganz viel Klimadiplomatie einfach wegfällt.

Klimaschutz gibt es nur durch Kooperation

Karkowsky: Zum allerersten Mal überhaupt fällt der Klimagipfel aus. Ist das Fluch oder Segen fürs Klima?
Neubauer: Das ist natürlich total problematisch. Klimaschutz oder das Ende der Klimakrise gibt es nur dann, wenn man kooperiert und wenn man sich zusammen an einen Tisch setzt und zusammen Pläne schmiedet und Solidaritätskonzepte dafür entwickelt. Das ist hochkomplex, dafür gibt es ja eben auch dieses wahnsinnig aufwendige Framework der UNFCCC, und dass das nicht weiter bearbeitet werden kann, das ist ein Zeitverlust, den man sich eigentlich nicht leisten kann.
Karkowsky: Aber wäre das jetzt nicht auch mal eine Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie der Klimagipfel selbst seinen CO2-Fußabdruck verringern könnte? Muss es unbedingt nächstes Jahr wieder einen geben mit Tausenden von Menschen, die aus aller Welt anreisen?
Neubauer: Ich meine, dass man das kritisch selbstreflektiert und überlegt über die Notwendigkeit, und aber auch darüber nachdenkt, wer da zum Beispiel nicht vertreten ist oder wie das noch produktiver sein könnte, auf jeden Fall. Bevor wir darüber sprechen, wie viele Menschen für eine Woche zu einer Konferenz fliegen, glaube ich, gibt es deutlich andere Themen, systemische Fragen, die beim Klima anstehen.
Dass Menschen zusammenkommen an einem Ort – und ich denke, das versteht jeder, der mal bei so einem In Person Meeting war, ob es mit Kolleginnen und Kollegen war oder der Familie –, das macht natürlich einen Unterschied, wenn man sich mal tatsächlich in die Augen geguckt hat. Das ist nach wie vor auch entscheidend, gerade wenn man international über so viele Hürden zusammenkommt.

Menschen erzählen gut - wenn man sie lässt

Karkowsky: Sie sind seit sehr vielen Jahren engagiert, muss man sagen, und Sie haben eine Menge lernen müssen, auch was den Umgang mit Medien angeht. Von null auf heute in die Talkshows, das waren bestimmt nicht nur gute Erfahrungen. Was wollen Sie besser machen, wenn Sie nun selbst Menschen befragen in Ihrem Podcast?
Neubauer: Das ist ja eine schöne Frage. Mir geht es zunächst darum, dass ich mich noch mal ganz kritisch frage, wen ich einlade, wen ich hörbar mache. Da habe ich mir ganz groß auf die Fahne geschrieben oder ganz fest vorgenommen, dass vor allem Menschen zu hören sein sollen, die man vielleicht sonst nicht in solchen Formaten erwartet, dass es eben ein Mix ist von Menschen, die man gut kennt, zu denen man einen Bezug hat, und eben jenen, die niemals in so einem Podcast auftauchen würden wahrscheinlich, aber viel zu erzählen haben.
Abgesehen davon probiere ich, Menschen auch erzählen zu lassen. Es geht mir um Geschichten. Ich möchte Geschichten hören über die Klimakrise und über das Ende der Klimakrise, und Leute können wahnsinnig gut erzählen, wenn man sie lässt.
Karkowsky: Sie laden nur Gleichgesinnte ein, habe ich dem Trailer entnommen, also Menschen, die sich tatsächlich gegen die Klimakrise engagieren. Haben Sie denn den Eindruck, dass diese Menschen zu selten auftauchen in anderen Medien?
Neubauer: Das ist nicht ganz richtig. Ich habe mir jetzt per se nicht vorgenommen, Menschen einzuladen, die die Dringlichkeit der Klimakrise leugnen, diese in meinen Augen etwas merkwürdigen Pro-Contra-Formate, die gibt es ja wirklich reichlich, und das ist, glaube ich, woran es scheitert. Sondern was ich ja suche, ist der konstruktive Austausch.
Das heißt aber nicht, dass nur Menschen vorkommen, die jetzt schon total okkupiert sind. Im Gegenteil. Ein großes Problem, was ich sehe, ist, dass man so tut, als sei die Klimakrise ein Problem, das nur Aktivisten und Klimaforscher betrifft, und die können sich dann mal um ihr Problem kümmern.
Das ist eine ganz merkwürdige Wahrnehmung, denn in einer kollektiven Krise sind wir natürlich alle betroffen und können ein Teil der Lösung werden. Deswegen ist es mir auch ganz wichtig, gerade Menschen im Podcast einzuladen, die aus ganz anderen Teilen der Gesellschaft kommen, die aber eben auch aus einer verantwortungsethischen Sicht wiederum sehr mit der Klimakrise zu tun haben.

Die Seele der Klimabewegung

Karkowsky: Wer wären da Ihre Wunschgäste, oder haben Sie vielleicht sogar schon Namen, die Sie uns verraten können?
Neubauer: Ja, zum Beispiel einer, den ich getroffen habe für eine Folge, ist Rezo, der ja selbst zufällig etwas mit dem Klima zu tun hatte, aber eigentlich aus einem ganz anderen Teil der Gesellschaft kommt und auch ein Publikum normalerweise trifft, das nicht direkt mitten in der Klimabewegung steht. Mit dem habe ich die Kohlegrube im Rheinland besucht, und das ist ganz bei ihm um die Ecke gewesen, der hatte aber das noch nie gesehen.
Das war also ein ganz, ganz schöner Moment, als praktisch alle Zuhörerinnen und Zuhörer durch Rezos Augen auf einmal das erste Mal auf diese Kohlegrube geguckt haben. Dann sind wir aber später an anderen Orten unterwegs gewesen, und da kamen auch Leute zu Wort, die man noch niemals irgendwo gehört oder gesehen hat, die aber direkt von vor Ort berichten können. Da ist auch die Frage von Betroffenheit ganz wichtig.
Karkowsky: Sie selbst sind gerade sehr präsent in den Medien, das kann man als großen Erfolg Ihrer Arbeit ansehen. Man sieht Sie im Kinofilm "I Am Greta", man sieht Sie in der 3Sat-Dokumentation "Luisa", da geht es nur um Sie. Demnächst kommt ein HD-Film von Jim Rakete in die Kinos, auch da spielen Sie eine der Hauptrollen – mehr Imagefilm als Dokumentation, so habe ich das gesehen. Jetzt der Podcast "1,5 Grad" - auch der hochprofessionell produziert auf einer weltweiten Plattform. Ich frage mal ganz naiv: Haben sie nicht manchmal Angst, dass bei diesem hohen Grad an Professionalisierung die Seele der Klimabewegung etwas auf der Strecke bleiben könnte?
Neubauer: Glücklicherweise personifiziere ich ja nicht die Seele der Klimabewegung mit meiner Arbeit. Zum einen muss man feststellen, dass einfach sehr viele Dokumentarfilme jetzt im Herbst rauskommen. Da ist auch noch ein anderer Film über die Klimabewegung in Berlin, Fridays for Future in Berlin, der kommt in zwei Wochen raus.
Das häuft sich auf der einen Seite, auf der anderen Seite stellen wir aber auch fest, dass große Plattformen, große Institutionen anfangen, die Klimakrise ernst zu nehmen und in ihr Programm einzubauen. Das ist in meinen Augen ein wahnsinnig wichtiger Schritt, dass nämlich die Klimakrise eine Art Professionalisierung im Umgang erfährt, dass man es eben nicht mehr outsourct an Aktivisten, und der Rest muss sich nicht dafür interessieren, sondern dass tatsächlich die Klimakrise einzieht in den Mainstream.
Das ist entscheidend. Dass natürlich die Klimabewegung nach wie vor "on the ground" organisiert, "Grassroots" organisiert, ist wichtig, aber let’s be real: Das ist die größte Krise der Menschheit, und wir werden uns all dessen ermächtigen müssen, das wir nur irgendwie kriegen können, um nur eine Chance zu haben, ihr gerecht werden zu können.

Alles mitnehmen, was geht

Karkowsky: Aber auch wenn Sie selbst das gar nicht wollen, von außen wirkt das natürlich sehr selbstreferenziell, es dreht sich sehr viel um Menschen, die sich gegen die Klimakrise engagieren, um deren Motive und Träume. Ist denn der eigentliche Job schon erledigt, nämlich der Welt zu erklären, was Begriffe wie systemische Krise bedeuten, oder noch simpler, was das 1,5-Grad-Ziel überhaupt ist und soll?
Neubauer: Nein, dieser Job ist natürlich nicht getan, das ist aber auch kein Job, den alleine Klimaaktivistinnen und -aktivisten tun sollten. Das ist auch ein großartiger Medienjob, ein Bildungsjob, ein politischer Job, und auch da plädieren wir immer wieder dafür, dass man nicht die Basics der Klimapolitik auf den Schultern von jungen Leuten lässt, weil man meint, das sei mehr ihr Problem als ein gesellschaftliches Problem.
Abgesehen davon sind es nicht zuletzt auch Medieneffekte, die immer wieder deutlich machen, dass Botschaften auch über Einzelpersonen transportierbar sind. Das ist nicht immer gut und auch nicht immer hilfreich, aber in dem Augenblick, wo man zum Beispiel den Fokus viel auf Einzelpersonen gerichtet hat, ist in meinen Augen die große Aufgabe, erst mal alles daraus zu machen, was man machen kann.
Deshalb ist zum Beispiel auch mein Podcast ein Podcast, der viel darüber spricht, was solche Begriffe eben bedeuten und womit wir es hier zu tun haben. Die erste Folge ist eine Folge, mit der ich sehr wissenschaftlich an die Sache rangehe, aber auch viel übersetze, und das betrifft alle anderen auch.
Gleichzeitig denke ich aber, dass auch immer wieder deutlich wird, dass es die Arbeit von Zehntausenden, Hunderttausenden ist, die ganz viel möglich machen und die es auch möglich gemacht haben, dass die Klimakrise zu so einem entscheidenden Thema für uns geworden ist, denn sie wurde lange vernachlässigt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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