Lügen haben kurze Beine …

Von Rolf-Bernhard Essig · 20.06.2008
Diesmal geht es um die Redensarten: Lügen haben kurze Beine, Die Milch der frommen Denkart, Toi, toi, toi, Blauer Montag, Amok laufen, Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden u.a.
Lügen haben kurze Beine

Ja, wenn es nur immer so wäre! Und wenn das Gegen-Sprichwort "Ehrlich währt am längsten" wirklich in allen Fällen zuträfe! Dann wäre die Welt ein besserer Ort. Aber auch ein weniger angenehmer, denn eine Lüge kann manchmal gnädig oder freundlich sein, ja segensreich. Das Sprichwort nun setzt die Lüge mit einer Person gleich, so wie in "Hunger ist der beste Koch". Diese personifizierte Lüge hat nach Überzeugung des Volksmunds kurze Beine, weshalb sie nicht weit kommt und leicht erwischt werden kann. Es geht also um die Warnung, dass die Lüge wie der Lügner leicht ertappt werden kann.

Die Milch der frommen Denkart / Denkungsart

Erst kürzlich beschwerte sich ein selbst ernannter Sprachhüter über das Verschwinden vieler Wörter aus dem Deutschen. Er zählte dazu die "Denkungsart", die doch redensartlich geworden sei. Tatsächlich ist das Geflügelte Wort so im Volksmund gebräuchlich und findet sich selbst im Munde Gebildeter. Leider hatte weder der Sprachhüter noch all die anderen Friedrich Schiller und dessen Drama "Wilhelm Tell" richtig gelesen, woher der Ausdruck stammt, wo er jedoch anders steht.
Im Drama lauert der brave Titelheld auf den tyrannischen Landvogt Geßler, der ihn dazu gezwungen hat, auf seinen Knaben, genauer auf den Apfel auf dessen Kopf mit der Armbrust zu schießen. Das bringt Tell dazu, Geßler töten zu wollen, worauf er sich moralisch in einem langen, berühmt gewordenen Monolog vorbereitet. Im Akt 4, 3. Szene sagt Tell:

"Ich lebte still und harmlos – Das Geschoß
War auf des Waldes Tiere nur gerichtet,
Meine Gedanken waren rein von Mord –
Du [der Tyrannenvogt Geßler] hast aus meinem Frieden mich heraus
Geschreckt, in gärend Drachengift hast du
Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt"

Es ist klar, der Landvogt Geßler hat Tell vom Biedermann zum Tyrannenmörder gemacht. Milch und Gift sind international und seit alters her Gegensätze, die in allerlei Paaren miteinander verbunden werden.
Sprichwörtlich wurde der Ausdruck "Milch der frommen Denkart" für jemanden, der ein gutwilliger, ehrlicher, biederer Mann wie Tell ist. Man konnte sagen: "Bei ihm merkt man die Milch der frommen Denkart" oder "In ihm ist die Milch der frommen Denkart".

Toi, toi, toi

Die seltsame Wortfolge erklärt sich aus dem Prozess der Zivilisation. Früher hätte man einfach dreimal ausgespuckt. Das "toi, toi, toi" ist ein kultivierteres Pendant zum Spucken, das sich in angedeuteter Form noch findet, wenn man ein dem Spucken ähnliches Geräusch macht und zwar dreimal über jemandes Schulter hinweg, um ihm Glück zu wünschen und Misserfolg abzuhalten.
Ähnlich wie das dreimalige Klopfen auf Holz oder das "pfui, pfui, pfui"-Sagen handelt es sich um einen Abwehr- und Schutzzauber. Früher war man überzeugt, das Loben eines Menschen locke Dämonen und böse Geister magisch an. Deshalb spuckte man tatsächlich bei jedem Lob aus und damit auf die bösen Geister oder schreckte sie durch das Klopfen auf Holz ab. Immer wollte man ihren schlimmen Einfluss verhindern. Schließlich wurde das "toi, toi, toi" aber selbst als Lob verstanden, weil es das Lob immer als Abwehrmaßnahme begleitete. Man stellte dem "toi, toi, toi" auch gerne ein "unberufen" voran, was wiederum heißen sollte, man wolle mit dem Lob keine üblen Mächte herbeizitieren.

Ich habe den Quark offen

In diesem Fall muss ich ein wenig spekulieren. Quark gilt, weil das Nebenprodukt in der Milchverarbeitung so häufig ist, als Synonym für Wertloses, Kraftloses, ja sogar sehr häufig für "Dreck" und kann insofern ähnlich wie der Ausdruck "Scheiße" gebraucht werden.
So ist "Seine Nase in jeden Quark stecken" also eine nettere Variante zu "Seine Nase in jeden Dreck stecken". Wenn jemand, der genervt ist, sagt "Ich habe den Quark offen", so scheint es mir eine Vermeidung des Ausdruckes "Ich habe den Arsch offen" sein zu können. Aber ich muss zugebe, dass ich da doch recht im Dunkeln tappe.

Blauer Montag, blaumachen

Beide Wendungen sind beliebt, und eine unüberschaubare Menge an Erklärungen versucht, sie zu erklären, wobei man sich mit Vorliebe auf das Färberhandwerk bezieht. Da geht es dann um die Wartezeit beim Blaufärben mit Färberwaid, aber auch beim Indigo-Färben muss man einen halben Tag warten, bis der Oxydationsprozess aus der erst gelben Tuchfarbe Blau gemacht hat. Das Farbbad begann man traditionell am Sonntag, das Oxydieren ließ man montags geschehen, so dass die Gesellen freihatten. Dann wird gern in Feld geführt, die Geräte und Anlagen hätten nach dem Blaufärben aufwändig gereinigt werden müssen, was wiederum Freizeit am Montag bedeutet hätte. Auch zum Urin und zum Alkohol nimmt man im Erklärungsnotstand seine Zuflucht, die wirklich wichtige Färbezutaten waren.
Die Tradition des freien Montags ist allerdings älter und viel weiter verbreitet als nur im Färberhandwerk. Seit dem Hohen Mittelalter gab es in sehr vielen Gegenden Deutschlands das Recht der Gesellen auf freie Montage, wobei es meist nicht alle waren, sondern nur einige. An diesen Tagen sollten sie Zeit für ein Bad, die Gesellenvereinigung oder einfach die Erholung haben. Dieser Brauch wurde als "guter Montag" und "Montag halten" bezeichnet. Der Montag bot sich an, weil er seit je als Gerichtstag üblich war, an dem nicht gearbeitet wurde, aber auch bei hohen Kirchenfesten war er als zweiter Feiertag gebräuchlich (Ostermontag, Pfingstmontag).

Den Stadtoberen war der "gute Montag" ein Dorn im Auge, denn sie befürchteten – oft nicht zu Unrecht, dass die Gesellen die freie Zeit nutzen könnten, um zu tanzen, zu trinken und zu tändeln. Deshalb suchte man, ihn einzuschränken oder gleich ganz zu verbieten, frei nach dem Motto: "Müßiggang ist aller Laster Anfang."
Seit Mitte des 17. Jahrhunderts bürgerte sich dann erst der "blaue Montag" im Schriftgebrauch ein, obwohl der Ausdruck sicher älter ist. Dabei spricht sehr viel dafür, dass es um die strenge Kleiderordnung ging. Blaue Sachen durften nur am Feiertag getragen werden, weshalb die Farbe Blau dann auch für die Freizeit stehen konnte. Der "gute Montag" war deshalb für die Gesellen gleichsam ein blauer (Gewand-)Tag. Eine andere Variante ist noch denkbar, die mit dem jiddischen Wort "belo" zu tun hat, das im Rotwelschen zu "blau" wurde und einfach "ohne" heißt. Dann hieße der "blaue Montag" der "Montag ohne", Arbeit nämlich.

Amok laufen

Obwohl wir es meist übersehen und überhören, kommen viele Worte von sehr weit her. Beispielsweise Hängematte, Pareo, Tabu, Tätowierung, aber eben auch Amok. Alle stammen sie aus dem Pazifikraum. Im Malaiischen bezeichnet "amuk" oder "amok" einfach "Wut". Man bezog den Ausdruck vor allem auf einen unvorhersehbaren Gewaltausbruch eines Menschen, der in schrecklicher Raserei – durchaus wörtlich verstanden – wild herumrennt und beispielsweise mit einem Messer wahllos auf Menschen einsticht. Das Phänomen erschien englischen Seereisenden als besonders exotisch und grausig. Ihre Berichte machten die Redensart erst im Englischen heimisch, wo es "to run amuck" heißt. Von den britischen Inseln übernahmen wir es dann in genau der Form, nur in anderer Schreibweise.

Für dich muss jemand gebacken werden

Es gibt unglaublich anspruchsvolle, aber auch höchst liebenswerte Mitmenschen, die einfach keinen Partner finden oder immer den falschen. Denen sagt man im Spott oder im heißen Wünschen: "Für dich muss (erst) jemand gebacken werden".
Nun manchmal "kriegen wir etwas (nicht) gebacken" oder " jemand ist nicht ganz gebacken", also dumm, unverschämt etc. Diese Ausdrücke gehen zurück auf den ersten, den Erz-Bäcker sozusagen, den Lieben Gott nämlich. Der knete und formte aus dem lehmigen Teig seiner Schöpfung die Menschen und buk sie im Licht seiner Gnadensonne. Später tat es ihm der angeblich der berühmte Rabbi Löw in Prag nach mit seinem Golem.
Immer geht es darum, ein Wesen zu erschaffen. Wenn jemand nicht ganz richtig im Kopf ist, dann ist er gleichsam nicht gut und vollständig gebacken worden, und wenn man etwas nicht schafft, was ja wiederum mit Erschaffen zu tun hat, dann "kriegt er es nicht gebacken". Ja und für die gewollt oder ungewollt Partnerlosen muss (erst), weil es offensichtlich noch niemanden Passenden gibt, jemand erschaffen werden, der diesen Zustand beendet.

Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden

Wenn ein Ungeduldiger bei der Arbeit zusieht und immerzu hetzt, obwohl es doch heißt "Gut Ding will Weile habe", dann antwortet man schon einmal genervt: "Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden." Der Satz versteht sich eigentlich von selbst, weiß man, dass es um das antike, das mächtige Rom geht, "die erstaunlichste Stadt des Universums", wie es bei "Asterix" heißt. Klar, so viele Tempel, Mietskasernen, Bibliotheken, Straßen und Arenen konnte man nicht von heut auf morgen errichten.
Und doch steckt ein böser Witz für den Wissenden in der Wendung, wurde Rom ja tatsächlich an einem Tag "erbaut". Der sagenhafte Stadtgründer Romulus – "753 kroch Rom aus dem Ei" – hatte einen Zwillingsbruder namens Remus. Beide wurden als Neugeborene ausgesetzt, jedoch von einer Wölfin an Kindes statt angenommen, gesäugt und wurden so besonders kräftig und tatendurstig. Romulus nun hatte im Sinn, eine Stadt zu errichten. Er bezeichnete deren geplanten Mauerverlauf mit einem Pflug und rühmte sich, dass diese kreisrunde weite Furche die Stadtmauern und damit die unüberwindliche Grenze seiner Stadt bestimmte, von der man noch hören werde. Sie werde wehrhaft sein und mächtig. Sein Bruder fand es lachhaft, von einem Strich auf freiem Feld auf eine große Zukunft zu schließen, und meinte, diese "Mauern" seien aber leicht zu überwinden. Remus sprang über die Furche ins "Stadtgebiet". Romulus tötete ihn.

Mein lieber Herr Gesangverein

In der Bibel steht ja, man solle den Namen Gott des Herren nicht unnütz brauchen, weshalb sich viele Hüllformeln entwickelten für die verbreiteten Ausdrücke "Ach Gott!", "Mein lieber Gott!", "Herrgott noch mal!", "Mein lieber Herr!" Da sagte man dann "Heiliger Strohsack" statt "Heiliger Geist" oder "Sackzement" statt "Sakrament". Es gab natürlich auch den Ausdruck "Meine Herren!", wenn man sein Erstaunen ausdrücken wollte und gleichsam zustimmungsheischend um sich schaute. Zusammen konnte das zu "Mein lieber Herr Gesangverein" werden, denn der Gesangverein, vor allem der Männergesangverein, war im 19. Jahrhundert, als der Spruch entstand, d i e bürgerliche Institution schlechthin. Es ging also um viele Herren und um die unauffällige Anrufung des Herrn, wenn man so seine Überraschung kundtat.

Mein lieber Freund und Krokoschinsky

Es handelt sich um eine der vielen Varianten zu der alten Wendung "mein lieber Freund und Kupferstecher". Leider weiß man über die Herkunft dieser Redensart nichts Genaues. Es gab die Idee, der Dichter Friedrich Rückert, der mit einem Kupferstecher befreundet war, habe sie in die Welt gesetzt, doch ist sie älter. Als besondere Ansprechform kann sie sowohl lobend wie kritisch gemeint sein, was die Erklärung weiter erschwert. Weil man nicht wusste, was "Kupferstecher" bedeuten sollte, setzte man allerlei andere Namen oder Bezeichnungen ein.