Lübeck

Wird erstmals eine Frau Bürgermeisterin?

Die Altstadt von Lübeck
Die Altstadt von Lübeck © imago/Westend61
Von Johannes Kulms · 02.11.2017
Vor fast 875 Jahren wurde Lübeck gegründet und Immer regierten Männer die Stadt. Das könnte sich jetzt ändern. Die parteilose Kathrin Weiher will Bürgermeisterin werden – und wird von mehreren Parteien unterstützt. Ihr Konkurrent jedoch behauptet, ihr fehle die Kompetenz.
Jörg sitzt in einem Waschsalon an der Ratzeburger Allee. 48 Jahre ist er alt, "aus dem Osten", wie er sagt und nun im vierten Jahr in Lübeck lebend.
"Ich habe per Briefwahl gewählt. Frau Weiher."
Jörg wünscht sich also einen Wechsel im Lübecker Rathaus. Er hofft, dass Kathrin Weiher neue Bürgermeisterin wird. Weiher ist bisher Kultur- und Bildungssenatorin der Hansestadt. Die 55-Jährige parteilose gebürtige Braunschweigerin wird von einer ungewöhnlichen Allianz getragen: CDU, FDP aber auch Grüne, Die Linke und die Wählerinitiative "Bürger für Lübeck" unterstützen sie.
"Es ist was getan worden. Aber es reicht noch nicht aus."
fasst Jörg die Lage zusammen. Handlungsbedarf sieht der Mann mit dem hochroten Kopf vor allem im Sozialwesen und bei der Schaffung von Kita-Plätzen.

Im Waschsalon mit den Wählern diskutieren

Ein paar Minuten später kommt der größte Konkurrent von Kathrin Weiher herein in den Waschsalon. Jan Lindenau ist das, 38 Jahre alt, groß, Brillenträger, kurze Haare, Bankkaufmann, gebürtiger Lübecker – und mit 17 in die SPD eingetreten.
"Also, ich bin natürlich jetzt 20 Jahre auf der politische Ebene jetzt dabei…"
Nun soll Jan Lindenau für die Partei das Rathaus verteidigen. Lübeck ist SPD-Hochburg zuletzt, seit 30 Jahren stellt sie hier den Bürgermeister, zuletzt leitete Bernd Saxe 18 Jahre lang die Verwaltung. Doch Saxe tritt nun nicht mehr an. Wie emanzipiert man sich da? Jan Lindenau setzt auf das Alter.
"Ich bin nicht zu jung für das Amt, weil ich glaube, insbesondere ist es wichtig, dass wir 'n Generationswechsel im Rathaus bekommen, die alten Konzepte der letzten 20 Jahre können wir heute nicht mehr 1:1 übertragen."
Lindenau meint damit vor allem die Digitalisierung. Doch die Leute im Waschsalon, wohin Lindenau zum Austausch eingeladen hat, interessieren erstmal andere Fragen: Zum Beispiel wie den Alkoholkonsum von Jugendlichen besser kontrollieren? Oder warum nun die Linden in der Altstadt gefällt werden mussten? – in Lübeck zuletzt ein wichtiges Thema.
Seit 2013 leitet Lindenau die SPD-Fraktion im Lübecker Rathaus. Mit seinen langen Erfahrungen in der Kommunalpolitik versucht er zu Punkten, genauso wie mit seinem Beruf als Bankkaufmann. Kein Wunder: Sitzt die Stadt Lübeck doch auf einem Schuldenberg von 1,5 Milliarden Euro. Zudem bröckelt die Infrastruktur gewaltig, überall in der Stadt behindern Baustellen an Brücken und Straßen das Vorankommen.

Wird nach fast 875 Jahren erstmals eine Frau Bürgermeisterin?

Seine größte Konkurrentin Kathrin Weiher hält Lindenau nur für bedingt fähig, mit diesen Aufgaben klar zu kommen. Auch wenn er partout nichts dagegen hätte, dass nach fast 875 Jahren Lübecker Stadtgeschichte endlich mal eine Frau das Ruder übernimmt.
"Voraussetzung ist für mich aber immer, dass die Frau dann auch die Kompetenzen mitbringt, die wir aktuell brauchen. Und die vor allen Dingen diese Stadt kennt und weiß, was in dieser Stadt wichtig ist und wie man in dieser Stadt Mehrheiten erzeugen kann – da sehe ich im Moment allerdings keine."
Lübeck vermarktet gerne seine berühmten Söhne: Willy Brandt, Günther Grass, Thomas Mann. Frage an Jan Lindenau: Fällt ihm eine berühmte Tochter der Stadt ein?
"Berühmte Tochter… Würde ich jetzt sagen, in Lübeck sagt man immer Travemünde. Ansonsten,'ne berühmte Frau muss ich passen."
Kathrin Weiher steht in der Eingangshalle eines Lübecker Kinos, in wenigen Minuten werden hier die Nordischen Filmtage eröffnet. Weiher verspricht:
"Ich würde auch als Bürgermeisterin teilnehmen…"
Doch die 55-Jährige will – verständlicherweise – wahrgenommen werden als jemand, der sich nicht nur mit Kultur und Bildung auskennt. Weiher verspricht nicht nur Schulen und die Verwaltung zu modernisieren, sondern auch das Innovationsklima zu verbessern und die "Wirtschaft zur Chefsache machen".
Die CDU sagt, dass Weiher sich ehrlich für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt interessiere. Und nach mehr als 850 Jahren die ersten Frau im Lübecker Rathaus wäre. Kathrin Weihe sagt dazu:
"Ich möchte nicht so über Frauenticket oder so wahrgenommen werden. Weil ich bin schon erste stellvertretende Bürgermeisterin, ich hab‘ mir in meinem Leben schon diese Position erkämpft und ich habe drei abgeschlossene Studiengänge, 20 Jahre Führungs- und Leitungserfahrung. Also, ich möchte über meine Leistung in erster Linie werden."
Fragt sich nur: Wie stabil ist jenes bunte Bündnis, dass die Frau ins Amt tragen will? Wie soll man oder frau die Interessen von CDU, FDP, Grüne, Linke und der Wählerinitiative "Bürger für Lübeck" dauerhaft unter einen Hut bringen?
"Ich glaube, unser Bündnis ist durchaus tragfähig. Aber wir haben von Anfang an auch gesagt, natürlich bleibt die CDU auch die CDU und die Grünen die Grünen und so weiter, jeder hat weiter seine Partei-Identität, die wollen wir nicht auflösen, wir wollen nicht die Blockpartei in der DDR werden."

Frauen standen in Lübeck immer im Schatten berühmter Männer

Nur einen Steinwurf von der Festivaleröffnung sitzt zeitgleich Björn Engholm in einer Küche in der Altstadt. Gleich soll unten im Haus seiner Freunde eine kleine Fotoausstellung eröffnet werden. Davor will Engholm aber noch kurz was zur Bürgermeisterwahl in seiner Heimatstadt sagen. Seine Prognose:
"Im ersten Wahlgang ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Und dann wird’s einen zweiten Wahlgang geben. Und da glaube ich, wird der sozialdemokratische Bewerber knapp die Nase vorn haben."
Engholm stellt gar nicht in Abrede, dass die Frauen in Lübeck immer im Schatten standen von berühmten männlichen Persönlichkeiten – allen voran den drei Nobelpreisträgern. Er selber habe in seiner Zeit als Ministerpräsident einiges getan, um dies zu ändern – zum Beispiel damit, dass er in Schleswig-Holstein bundesweit die erste Frauenministerin einführte. Doch bei der Frage nach dem künftigen Lübecker Stadtoberhaupt zähle nicht das Geschlecht, sondern die Qualifikation. Und sieht Engholm seinen Parteifreund Lindenau im Vorteil. Eine Niederlage treffe die SPD in der bisherigen Hochburg besonders:
"Also, da wir auch schon bei der letzten Bundestagswahl das Direktmandat verloren haben. Da wir bei den Landtagswahlen nur knapp mit zwei Bewerbern – früher war das immer astrein - in den Landtag eingezogen sind, wäre der Verlust des Bürgermeisters für die Partei ein sehr tiefer Schlag."
(mw)
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