Baritonistin Lucia Lucas

Coming-out auf dem Opernball

08:43 Minuten
Porträt von Lucia Lucas, die in rötlichem Licht mit ausgebreiteten Haaren und aufgestelltem Fuß auf dem Boden liegt
„Ich habe lange Zeit gebetet, dass ich einfach am nächsten Tag als Mädchen aufwachen kann", sagt die Baritonistin Lucia Lucas. © Josh New
Von Marie-Dominique Wetzel |
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Lucia Lucas probt gerade an der New Yorker Met den Polizeioffizier Grech in der Oper "Fedora" - eine Männerrolle. Denn auch nach ihrer Geschlechtsangleichung ist der Baritonistin ihre frühere Stimme geblieben. Wie komplex darf ein Operncharakter sein?
„Ich habe lange Zeit gebetet, dass ich einfach am nächsten Tag als Mädchen aufwachen kann. Lange Zeit hatte ich keine richtigen Worte für das – und jetzt kann ich auch sprechen.“
Auch wenn es sie immer noch Kraft und Überwindung kostet: Lucia Lucas möchte ihre Geschichte erzählen - auf Deutsch. Denn die Sängerin will, dass man ihre Stimme hört, kein Overvoice. Schließlich ist ihre Stimme ihr Instrument – und ein ganz wichtiger Teil von ihr.

Musik als Rettung

Die Musik war ihre Rettung, sagt sie. Denn schon als Kind merkte sie, dass sie nicht in die Schubladen passte, in die die Erwachsenen sie ständig stecken wollten. Dann entdeckte sie die Musik für sich, studierte Gesang und hatte endlich ein Ventil für all‘ ihre angestauten Emotionen.
Lucia Lucas arbeitete hart an ihrer Karriere. 2009 bekam sie ein Stipendium für die Deutsche Oper Berlin. Und im gleichen Jahr heiratete sie die Opernsängerin Ariana Lucas. Ihre Seelenverwandte, sagt Lucia, die immer zu ihr gehalten hat und mit ihr diesen ganzen schwierigen Weg gegangen ist.

Erster Auftritt als Frau auf Opernball

Ariana war es letztendlich auch, die Lucia zur Transition ermutigt hat. Das war 2013. Lucia Lucas war immer noch in Deutschland und inzwischen festes Mitglied im Opernensemble des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe. Aber sie wollte ihr Coming-out nicht an einem gewöhnlichen Arbeitstag verkünden. Sie hat sich ganz bewusst einen glanzvollen Rahmen ausgesucht: den Opernball! Das sollte ihr erster großer Auftritt als Frau werden.
„Es war ein sehr schönes Kleid. Ich habe 200 bis 300 Euro bezahlt. Ich habe Schminke gekauft und schönen Schmuck und alles. Kein Teil von diesem Abend war ein Witz, alles war echt, alles war schön. Es war kein Haha-Moment. Es war cool. Und man hat zuerst nicht mich gesehen, sondern meine Frau in diesem Marlene-Dietrich-Anzug und dann mich – im Kleid!“

Gemischte Reaktionen im beruflichen Umfeld

Die Reaktionen ihrer Kolleginnen und Kollegen waren sehr gemischt. Der damalige Intendant des Badischen Staatstheaters bestellte sie am nächsten Tag in sein Büro.
„Und ich muss sagen, in diesem Moment, er war sehr, sehr freundlich. Und hat gesagt, dass ist ein Privatding. Und die einzige Frage, die für ihn wichtig war: Was geht mit Deiner Stimme? Und ich habe gesagt: Meine Stimme bleibt so.“
Und tatsächlich. Trotz der Hormontherapien, die dann folgten – der schöne, warme und voluminöse Klang ihrer Stimme ist Lucia geblieben! Nach ihrem Stimmfach nennt sie sich stolz „Helden-Baritonistin“.

Endlose Stunden in Arztpraxen

Doch bevor die Hormonbehandlung beginnen konnte, hat die Sängerin endlose Stunden in Arztpraxen und Wartezimmern verbracht, Experten auf der ganzen Welt gesucht. Nicht alle wollten ihr helfen. Zwei Jahre lang war sie ständig in Behandlung. Über die vielen Operationen möchte Lucia Lucas lieber nicht sprechen. Aber während der Hormonbehandlung gab es auch glückliche Momente, denn vieles an ihrem Körper veränderte sich dabei wie von selbst.
“Östrogen ist echt cool, in den ersten zwei Wochen ist die Haut sanfter, Fountain of Youth.“
Bald erinnerte nur noch Lucias tiefe, männliche Stimme an den breitschultrigen Mann mit dem kantigen Gesicht, der sie einst war. Lucia Lucas liebt ihre Stimme, sie verdankt ihr ihre Karriere. Und doch wird die Sängerin durch sie immer wieder mit ihrem früheren Leben konfrontiert.

Weiblicher Bariton für viele noch nicht vorstellbar

Auch wenn man sich in der Opernwelt gerne weltoffen und tolerant gibt: Eine Frau, die eine männliche Rolle singt, sprengt den Rahmen des Vertrauten. Und ist für viele offenbar (noch) nicht vorstellbar. Als in Karlsruhe ein neuer Operndirektor kam, wurde ihr Vertrag nicht verlängert
„Ich hatte einen bösen Chef und er hat gesagt: Du musst einen Mann spielen“, sagt sie lachend, „einen richtigen Mann … Ja, jetzt ist es lustig. Aber ich hatte schwere Momente!“
Offen ausgesprochen wird es selten, aber Lucia Lucas erlebt es immer wieder, dass Produktionsteams ein Problem mit ihr als weiblichem Bariton haben. Obwohl das Spiel mit Geschlechtern schon immer zur Oper gehört hat. Aber nur die wenigsten Opernregisseurinnen und -regisseure sind offen und experimentierfreudig genug, um Lucia Lucas auch mal anders zu besetzen. Bisher gibt sie auf der Bühne nach wie vor meist den Mann.

Anderen Mut machen

„Ich habe eine lange, lange Zeit einen Jungen oder einen Mann gespielt – im Leben. Es ist ganz einfach für mich, das nochmal auf der Bühne zu spielen.“
Das bedeutet: vor jeder Aufführung Bart ankleben, Perücke anpassen, die Hose vorne ausstopfen. Schon ein komisches Gefühl, sagt Lucia Lucas. Aber man spielt auf der Bühne schließlich immer eine Rolle. Wichtig sei, dass sie inzwischen im echten Leben sie selbst sein kann.
Im Moment sei sie mit ihrem Leben sehr zufrieden, sagt die Sängerin. Und sie möchte anderen gerne Mut machen, auch ihren Weg zu gehen - egal was manche um sie herum sagen. Wie sehr hätte sie sich damals mehr Menschen gewünscht, die sie begleiten, ermutigen – und annehmen, so wie sie ist. Besonders ihre Eltern haben ihr als Stütze gefehlt. Das belastet sie immer noch.
Sie kann nur hoffen, dass Eltern es heute ihren Kindern leichter machen, sagt Lucia Lucas – das wäre so wichtig und eigentlich ganz einfach
„Liebe Eltern, die ihr diese Sendung hört. Bitte einfach sagen: Ich liebe Dich immer. Punkt!“
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