Lucerne Festival

30.08.2012
Seit bald 75 Jahren treten in Luzern legendäre Dirigenten und Solisten sowie weltberühmte Orchester auf, um sich und andere in den Bann der Musik zu ziehen. Jedes Jahr zählt das Lucerne Festival im Sommer etwa 100 Veranstaltungen. Alles begann 1938, als Arturo Toscanini in Luzern das erste Konzert dirigierte. Damals war die Stadt in der Schweiz vor allem ein Ort, an dem man frei von den Zwängen der Nazidiktatur musizieren konnte.
Bis heute ist die Anzahl der Konzerte und Besucher stark gewachsen, und auch an Ostern und im Spätherbst finden zwei weitere Festivals statt. Der Anspruch Toscaninis aber, abseits von festen Dienstplänen und Repertoireroutine hervorragende Musik zu machen, bleibt gerade mit den festivaleigenen Ensembles, dem Lucerne Festival Orchestra und der Lucerne Festival Academy, lebendig.

Die Academy wurde 2004 von Pierre Boulez ins Leben gerufen. Junge und hochbegabte Musiker haben hier die Gelegenheit, bei intensiven Proben die Kunst der Interpretation Neuer Musik zu lernen. Der Schwerpunkt liegt besonders auf Werken, die sich im normalen Repertoire der großen Orchester aus praktischen Gründen nicht so recht etablieren konnten. Ein Beispiel ist die 4. Sinfonie des amerikanischen Komponisten Charles Ives. Sie verlangt ein Riesenorchester mit überdimensioniertem Schlagzeugapparat, Orgel, Fernorchester, vierteltönig gestimmtem Klavier, sowie einen gemischten Chor…

"Glaube" steht 2012 als Motto über dem Festival. Dass Glaube auch außerhalb von Kirche und religiösen Ritualen eine Rolle spielt, zeigt die 4. Sinfonie von Charles Ives (1910/1916). Sie ist geradezu ein Credo für Ives’ tief im Puritanismus wurzelnden Glauben. Mit seiner transzendentalen Weltsicht verschwimmen hier die Grenzen zwischen Religion und Welt, in der alles Erfahrbare – auch die Musik – als Teil einer göttlichen Einheit empfunden wird. Mit der Sinfonie spinnt Ives die programmatische Idee von "The Unanswered Question" (1908) fort: Sie formuliert die großen Fragen nach dem Was? und Warum?, die ein Mensch an das Leben richtet. Dabei hält sich ihr erster Satz in diesem Fragecharakter, während die drei übrigen Sätze verschiedene Antworten geben. Ives verwendet dafür eine Vielfalt an musikalischen Sprachen, die auch verantwortlich ist für die nicht unmittelbar fassbare Gestalt der Sinfonie.

Mit dem dreisätzigen Doppelkonzert "Shadows" für Flöte, Klarinette und Ensemble (1996) dirigiert Peter Eötvös ein eigenes Werk. Das Orchester wird in verschiedene Gruppen aufgeteilt, die den Solisten als "Klangschatten" zugeordnet sind. Das Ergebnis ist eine Musik, die Klänge in Raum verwandelt.

"Terre d’Ombre" (2004) des französischen Komponisten Tristan Murail ist ein Werk für Orchester, Concertino und Zuspielband. Murail studierte Komposition bei Olivier Messiaen und prägte die sogenannte "spektrale" Musik, bei der durch Analyse von Klangspektren wiederum neue Klänge gewonnen werden. Auch "Terre d’Ombre" spielt mit quasi-spektralen Klangfarben. Zusätzlich koloriert und ergänzt Live-Elektronik den Orchesterklang und schafft so die Illusion einer räumlichen Klangbewegung. Murail benutzt "Klangobjekte", das sind rhythmisch, klangfarblich oder melodisch geprägte Gestalten, die nach und nach verändert wiederkehren. Bei "Terre d’Ombre" gibt es drei davon, die sich gegenseitig überlagern und unterbrechen. Die Form dieser Komposition entsteht also durch Fragmentierung ihrer Bestandteile – ganz im Gegensatz zu Murails früheren Werken, die mehr prozesshaft ausgerichtet sind.
lucernefestival.ch



Lucerne Festival
Kultur- und Kongresszentrum Luzern
Aufzeichnung vom 26.08.2012


Tristan Murail
"Terre d’ombre" für Orchester, Concertino und Zuspielband

Peter Eötvös
"Shadows" für Flöte, Klarinette und Ensemble

ca. 20:50 Uhr Konzertpause mit Nachrichten

Charles Ives
Sinfonie Nr. 4 für Chor und Orchester mit Klavier


Collegium Vocale zu Franziskanern Luzern
Kammerchor "molto cantabile"
Solisten, Ensemble und Orchester der Lucerne Festival Academy
Leitung: Peter Eötvös