Louisahhh: "The Practice of Freedom"

Antipatriarchaler Klangtornado

05:21 Minuten
Künstlerin Loisahhh
Künstlerin Louisahhh: "Die Liebe ist wirklich ein verdammter Punk." © Ella Herme, He.She.They
Von Benedict Weskott · 10.03.2021
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Seit ein paar Jahren bringt Louisa Pillot düstere Technomusik auf die Tanzflächen. Auf ihrem Debütalbum „The Practice of Freedom“ verbindet sie als "Louisahhh" nun ihre rauen musikalischen Wurzeln mit feministischen, emanzipatorischen Botschaften.
Louisa Pillot, die sich kurz Louisahhh nennt, fackelt nicht lange, sondern gibt klare Anweisungen: Hör' zu! Befreie dich! Vertraue! Lass los!
Der Bass stampft. Dunkelheit umhüllt die Worte. "Love is a Punk", der Opener des Debütalbums von Louisahhh, "The Practice of Freedom", handelt von Liebe als Naturgewalt.
"Es gibt viele Lieder über Romantik, über Liebe, aber die lassen oft außen vor, dass Liebe launisch ist, dass sie sich nicht benimmt. Einerseits ist es sehr mutig und wundervoll zu lieben. Und auf der anderen Seite ist Liebe verdammt chaotisch und frustrierend. Die Liebe ist wirklich ein verdammter Punk."

Unwirtliche Klanglandschaft

Mit Vice Cooler, den die Elektroproduzentin Peaches mal als weltbesten Performer bezeichnet hat, vermischt Louisahhh auf "The Practice of Freedom" Techno, Industrial Rock, Electronica und Dark Wave zu einer rauen, unwirtlichen Klanglandschaft. Nine Inch Nails und Chloé klingen hier genauso an wie Garbage, Boy Harsher und Louisahhhs Labelkollegin Maya Jane Coles.
Louisahhhs Suche nach einem Label für ihr Debütalbum war mühsam, viele fanden es zu aggressiv, zu wenig zugänglich. Letztendlich ist sie beim Label HE.SHE.THEY, das sich Inklusion und Diversität zur Maxime gemacht hat, fündig geworden. Es bietet ihr nicht nur eine musikalische Heimat, sondern teilt auch ihre emanzipatorische Einstellung, denn für Louisahhhs ist Kompromisslosigkeit wichtiger Bestandteil ihrer künstlerischen Praxis.
"Wenn ich mich selbst als Künstlerin bezeichne, dann möchte ich, dass meine Arbeit von etwas handelt. Das hat mich dazu gezwungen zu unterscheiden, ob ich etwas mache, um zu gefallen, oder weil es gemacht werden muss. Und für mich ist ein Teil meiner Praxis, dass ich Dinge mache, weil sie gemacht werden müssen. Unabhängig von der Rezeption muss ich es aus mir herausbekommen."

Unterdrückte Teile der eigenen Persönlichkeit

Der Albumtitel "The Practice of Freedom" bezieht sich auf die Schwarze Autorin, Feministin und Antirassismus-Aktivistin bell hooks. Freiheit beruht ihr zufolge darauf, Menschen durch Weitergabe von Wissen den Zugang zu ihrer persönlichen Freiheit zu geben und sie zu ihrer Ausübung, eben Practice, zu befähigen.
Emanzipation von patriarchalen Zuständen und sexuelle Befreiung sind wichtige Themen für Louisahhh. Sie sucht unterdrückte Teile ihrer eigenen Persönlichkeit und möchte lernen, diese zu akzeptieren:
"Ich habe endlich erkannt, dass ich sowohl kompromisslos feministisch als auch sexuell unterwürfig sein konnte, und dass es unglaublich ermächtigend war, diese Form der Freiheit für mich selbst zu praktizieren – für mich selbst, nicht für jemand anderen."
Hundebellen, Gewehrsalven, Industriemaschinen, Klopfen auf einem Eimer, Louisahhhs eigenes Schreien – das alles vermischt "Numb, Undone" zu einem wüsten Klangstrudel. Zwischentöne haben es bei Louisahhh nicht leicht.
"The Practice of Freedom" ist eine Naturgewalt, genauso wie die Liebe, die Louisahhh darauf besingt. 48 Minuten lang rollen die zwölf Tracks unnachgiebig über Hindernisse hinweg und verpacken die Forderung nach Befreiung und Emanzipation in einen wilden Klangtornado, der die patriarchale Unterdrückung überrollt. Allen Stücken ist Louisahhhs jahrelange Arbeit anzuhören. Dieses Debütalbum ist ein fordernder, aber absolut lohnenswerter Trip in die düstersten Ecken elektronischer Musik.
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