Louis Begley: "Hugo Gardners neues Leben"

Ein Leben zum Tode hin

06:59 Minuten
Das Cover von Louis Begleys „Hugo Gardners neues Leben” vor deutschlandfunk Kultur Hintergrund.
title: Feine Ironie und noch mehr Lebensklugheit - Begley erzählt von den Überraschungen des Alters. © Suhrkamp / Deutschlandradio
Von Jörg Magenau · 26.07.2021
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Der einst erfolgreiche Auslandskorrespondent und Frauenheld Hugo genießt den Altersruhestand. Doch plötzlich wird bei ihm Krebs diagnostiziert und seine Frau will die Scheidung. Er erinnert sich an alte Freunde und nimmt Kontakt auf zu einer früheren Liebe.
Es gibt eine Art höherer Langeweile, die in sich so spannungsreich, schmerz- und genussvoll ist, dass sie schließlich gar nicht mehr langweilig wirkt. Diese Form der Existenz auszuloten, die Risse und Lügen sichtbar zu machen, die sich zwischen Opern- und Museumsbesuchen und bei gepflegten Dinner- und Lunchbegegnungen in den allerfeinsten Restaurants auftun, ist das literarische Thema von Louis Begley. Seine Romane sind zumeist in der Wohlstandswelt der amerikanischen Upper-Middle-Class der Ostküste angesiedelt, dort wo er selbst den größten Teil seines Lebens als äußerst erfolgreicher Anwalt verbracht hat.

Traumatisierende Erlebnisse der Kindheit

Doch dieser Welt anzugehören, ist für ihn, der 1933 als Ludwik Begleiter in Polen geboren wurde und als Jude zusammen mit seiner Mutter dank gefälschter Papiere den Holocaust überlebte, alles andere als selbstverständlich.
Die komfortable Zone der höheren Langeweile des Daseins legt sich in seiner Literatur wie ein Narbengewebe über die traumatisierenden Erlebnisse der Kindheit, über die er in seinem späten, autobiographischen Romandebüt "Lügen in Zeiten des Krieges" berichtet hat. Seine ihm meist nicht ganz unähnlichen Romanhelden sind deshalb tiefer als sie zu sein scheinen, indem sie eine große Traurigkeit und eine noch größere, heitere Gelassenheit spürbar werden lassen.

Frau nennt ihn Scheusal und Langweiler

Das gilt auch für Begleys neuen Roman "Hugo Gardners neues Leben", dessen Titelheld und Ich-Erzähler gleich zu Beginn von einem Anwalt angerufen wird, der ihm mitteilt, dass seine Frau Valerie sich scheiden lassen will. Er, ein 85 jähriger, einst sehr erfolgreicher Auslandskorrespondent des Time magazine, ist davon völlig überrascht, war er doch der Ansicht, die seit 40 Jahren andauernde Ehe mit seiner 23 Jahre jüngeren Frau sei gut und sie liebe ihn so wie er sie. Doch nun muss er sich nicht nur von ihr und ihrem Anwalt, sondern auch von der Tochter sagen lassen, was für ein Scheusal und Langweiler er immer gewesen sei und dass er außerdem inzwischen zu alt und zu hässlich wäre, um sich noch für irgendetwas außer gutem Essen und guten Weinen zu interessieren. Valerie verlässt ihn für einen deutlich jüngeren französischen Restaurantbesitzer; das passt zu ihr, die als Autorin von Kochbüchern berühmt geworden ist.

Zwei altgewordene Liebende

Hugo Gardner, der zudem unter einem latenten Prostatakrebs leidet, bewahrt Haltung. Er akzeptiert Scheidung und Gütertrennung und sucht den Kontakt zu alten Freundinnen und Freunden, die er in den Jahrzehnten seiner Ehe vernachlässigt hat. So trifft er zunächst Penny, mit der er während seiner Studienzeit erste amouröse Erfahrungen sammelte, um dann aber nach Paris zu reisen, wo er in seinen Jahren als Auslandskorrespondent mit der äußerst attraktiven und sexuell aktiven Jeanne leidenschaftlich verbunden war, bis er Valerie kennenlernte und Jeanne "abservierte", wie sie das, im Alter immer noch verletzt, bezeichnet. Zwischen den beiden alt gewordenen Liebenden von einst deutet sich erneut eine hingebungsvolle Liebesgeschichte an, doch es ist eine sexuelle Annäherung voller Vorsicht, zumal Jeanne ihren dementen Ehemann zu versorgen hat, der im Nebenzimmer sitzt und vor sich hin brabbelt.
Es ist schwer und vielleicht unmöglich, an etwas anzuknüpfen, das so lange zurückliegt, weil das stattdessen gelebte Leben sich nicht ungeschehen machen lässt und das ungelebte Leben – die damals ausgeschlagenen Möglichkeiten – seine Schatten wirft.

Feine Ironie und Lebensklugheit

"Hugo Gardners neues Leben" ist deshalb ein irreführender, vielfach schillernder Titel. Das neue Leben, wenn es dem hochsympathischen, unerschrockenen Ich-Erzähler denn erreichbar wäre, wäre das alte, einst zurückgelassene Leben, und tatsächlich scheint er zumindest sexuell daran anknüpfen zu können. Zugleich ist sein Leben durch die wuchernden Krebszellen in seiner Prostata bedroht. Doch er beschließt, jegliche Behandlung abzulehnen. Das neue Leben ist ein Leben zum Tode hin, und vielleicht ist genau das die Haltung, die Hugo Gardners Gelassenheit und seine Fähigkeit, den Moment zu ergreifen und zu genießen, ermöglicht.
Allerdings muss sich Gardner auf einige überraschende Wendungen gefasst machen. Langweilig ist sein Leben jedenfalls nicht, auch wenn Begleys Kunst einmal mehr darin besteht, mit feiner Ironie und Lebensklugheit von der höheren Langeweile zu erzählen, die den Schmerz nicht verleugnet.

Louis Begley: Hugo Gardners neues Leben
Aus dem amerikanischen Englisch von Christa Krüger
Suhrkamp, Berlin 2021
236 Seiten, 24,- Euro

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