Lothar Müller über Marcel Proust

Der Sohn eines medizinischen Superstars

11:55 Minuten
Der französische Schriftsteller Marcel Proust posiert entspannt auf einem Sofa - Fotografie von Otto-Pirou in einer Reproduktion, circa 1900.
Marcel Proust posiert um 1900 auf einem Sofa: Die großbürgerliche Herkunft bedeutete für den französischen Schriftsteller auch finanzielle Freiheit. © picture alliance / Mary Evans Picture Library
Lothar Müller im Gespräch mit Joachim Scholl · 28.06.2021
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Die Karriere von Adrien Proust als Arzt verläuft rasant und führt ihn bis in Regierungsämter. Dass sein später berühmter Sohn Marcel literarische Interessen verfolgt, scheint ihm nicht so gut gefallen zu haben, meint der Publizist Lothar Müller.
Wer war Adrien Proust? Der Publizist und langjährige Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Lothar Müller, hat die Biografie des Vaters des großen Schriftstellers Marcel Proust (1871-1922) recherchiert.
Adrien Proust, so Müllers zentrale Beobachtung, war zu Lebzeiten sehr viel erfolgreicher als sein Sohn, der Schriftsteller und Autor des siebenbändigen Werkes "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit".

Arzt in Zeiten der Cholera

Geboren 1834 in der Nähe von Chartres, geht Adrien Proust zunächst aufs Gymnasium, studiert dann Medizin und wird schnell Klinikarzt in Paris. "Durch diese Tätigkeit kommt er rasch mit der Cholera in Berührung, die in den 1860er-Jahren in Paris und im Seine-Becken ausgebrochen war", so Müller im Deutschlandfunk Kultur.
Adrien Proust ist der "Aufsteiger aus der Provinz", bekommt immer neue Posten in den Kliniken, aber auch als Professor für Hygiene. Durch die Heirat mit der Unternehmertochter Jeanne Weil (1849-1905) gelangt er in großbürgerliche Kreise und macht schließlich den Karrieresprung auf die Regierungsebene.
"Und dann wird er Mitte der 1880er-Jahre Generalinspekteur des französischen Gesundheitswesens", so Müller. "Er ist nicht nur für die nationale Hygieneplanung zuständig, sondern auch für die Interessen Frankreichs bei den internationalen Gesundheitskonferenzen, die gegen die großen Seuchen dann eingeführt worden waren."

1869 reist Adrien Proust mit regierungsamtlichem Auftrag 14.000 Kilometer bis nach Teheran und wieder zurück, um die Wege der Cholera-Ausbreitung von Asien nach Europa zu erforschen. Darüber verfasst er einen großen Bericht.

Ein schreibender Arzt

Was Adrien Proust mit dem Sohn Marcel verbindet: Er schreibt unaufhörlich.
"Während der gesamten Karriere hat er pausenlos geschrieben, Bücher, Artikel, Rapporte. Er ist einer dieser großen schreibenden Ärzte des 19. Jahrhunderts", sagt Müller und sieht hier die zentrale Verbindung zu Marcel, der die Schriften des Vaters nachweislich gelesen habe.
Die Beziehung zum Sohn Marcel sei aber, anders als zum Beispiel bei Franz Kafka, durch Quellen nicht erforschbar, so der Publizist.
Es gebe keine überlieferten Briefe des Vaters an den Sohn. Auch keine Aussagen des Vaters über den Sohn gegenüber Dritten. Adrien Proust habe sich aber wohl für den Sohn einen bürgerlichen Beruf gewünscht.
Es gebe zwei, drei Briefe von Marcel Proust an den Vater, die davon handeln, dass er den Vater nicht enttäuschen wolle.
"Auf der anderen Seite ist Marcel Proust jemand, der für die Literatur lebt und das bittet er zwischen den Zeiten den Vater, auch zu respektieren."
(huc)

Lothar Müller: Adrien Proust und sein Sohn Marcel - Beobachter der erkrankten Welt
Wagenbach Verlag, Berlin 2021
224 Seiten, 22 Euro

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