"Loro"-Regisseur Sorrentino

"Silvio Berlusconi ist ein großer Verführer"

Der italienische Filmregisseur Paolo Sorrentino
Der italienische Filmregisseur Paolo Sorrentino: "Berlusconi hat die gleichen Strategien wie in einer Werbefirma benutzt." © imago/ITAR-TASS
Toni Servillo und Paolo Sorrentino im Gespräch mit Susanne Burg · 10.11.2018
Starkes Ego, dynamisches Auftreten, aber keinerlei Innerlichkeit. So sieht der Regisseur Paolo Sorrentino den italienischen Politiker Silvio Berlusconi. In seinem Biopic "Loro" beschäftigt er sich mit dessen Willen zur Macht.
Susanne Burg: Immer wieder hat Silvio Berlusconi Italien verführt. Allen Wirtschaftsdelikten, Politikskandalen und Bunga-Bunga-Parties zum Trotz lag das Land dem Politiker immer wieder zu Füßen, hat ihn zahllose Male rehabilitiert.
Nun hat sich Paolo Sorrentino des ehemaligen Ministerpräsidentens angenommen, der italienische Regisseur, der für "La Grande Bellezza" 2014 den Auslandsoscar bekam und sich in seinen Filmen wiederholt als feinnerviger und auch parodistischer Chronist seines Landes erwiesen hat.
Auch in diesem Film hat Sorrentino wieder mit Toni Servillo gearbeitet. Servillo hat 2008 schon den italienischen Staatsmann Giulio Andreotti dargestellt in "Il Divo", nun ist er also Silvio Berlusconi. Ich habe Servillo und Sorrentino in einem Café getroffen – und der Regisseur hat zunächst einmal die beiden Staatsmänner Andreotti und Berlusconi in seinen Filmen verglichen.
Paolo Sorrentino: Die beiden Charaktere sind komplett unterschiedlich. Andreotti ist gekennzeichnet durch eine Innerlichkeit und durch Unbeweglichkeit. Und filmisch war es eine große Herausforderung, diese Innerlichkeit darzustellen und wie er dann im Laufe des Filmes doch immer lebendiger und vitaler wird. Das Problem bei Berlusconi ist genau das Gegenteil: Berlusconi ist extrem dynamisch. Bei ihm gibt’s nichts Unbewegliches, auch keine Innerlichkeit. Er glaubt aber, er hat eine Innerlichkeit, und das war schwierig, darzustellen.
Burg: Andreotti und Berlusconi sind beide Männer voller Macht, genauso wie Pius XIII., der fiktive erste US-amerikanische Papst in Ihrer Fernsehserie "The Young Pope". Was reizt Sie an diesen Charakteren?
Sorrentino: Mich interessiert das Verhältnis von Menschen zur Macht. Die Macht zwischen Frauen und Männern, zwischen Vätern und Kindern, die Macht von Politikern. Männer in Machtpositionen beginnen, ihre Macht zu genießen, sie zu vergrößern, mit ihrer Macht Einfluss auf das Leben von anderen Menschen zu nehmen. Das alles möchte ich in meinen Filmen beleuchten.
Burg: "Loro" spielt ja interessanterweise genau in der Zeit, in der Berlusconi nicht mehr an der Spitze der Macht in Italien war, zwischen 2006 und 2010, also nach dem Ende von Berlusconis zweiter Amtszeit und dem Beginn der dritten. Was hat Sie gerade an dieser Zeit interessiert?

"Wir haben ihn uns in seinem goldenen Käfig vorgestellt"

Sorrentino: Für mich war diese Zeit in mehrfacher Hinsicht interessant: Berlusconis Charakter offenbarte sich weniger als er an der Macht war, sondern immer dann, wenn er darum kämpfen musste, wieder an die Macht zu kommen. Wir haben ihn uns in seinem goldenen Käfig seiner Villa vorgestellt, wo er Strategien entwickelt, wie er seine Macht zurückerobern kann. In der Hinsicht ist er auch anders als Giulio Andreotti. Andreotti war ein Politiker, der die Macht zu schätzten wusste. Für Berlusconi ist vor allem der Weg wichtig, an die Macht zu kommen. Deswegen umspannt der Film vier Jahre. Zwei Jahre, in denen Berlusconi darum kämpft, zurück an die Macht zu kommen und zwei, in denen er zurück ist.
Burg: Berlusconis Karriere begleiten Korruption und Betrug. Er hatte immer wieder Gerichtsverfahren und Skandale, wie zum Beispiel seine Bunga-Bunga-Partys, die er veranstaltet hat. Aber er war 25 Jahre im Amt. Wie hat er das geschafft?
Sorrentino: Silvio Berlusconi ist ein großer Verführer. Er hat einen starken Willen und ein ungewöhnlich dynamisches Auftreten. Sein politischer Aufstieg 1994 fiel in eine turbulente Zeit der italienischen Geschichte: Das alte Parteiensystem der ersten Republik hat sich aufgelöst. Es wurde ein neues Wahlsystem eingeführt. Es gab ein Vakuum in der Politik. Eine Findungsphase die besonders die Lega Nord zu nutzen wusste. Berlusconi hat also die Lücke gefüllt. Mit seinem Aufstieg begann die Zweite Republik. Man muss das in aller Komplexität noch genauer untersuchen. Auch die Folgen seiner Regierungszeit, vor allem seine ungeheure Machtfülle.
Burg: Berlusconi war ja auch wirtschaftlich eine Größe. Toni Servillo, inwieweit spielt das eine Rolle?
Toni Servillo: Berlusconi war der Besitzer von drei Fernsehsendern, von mehreren Zeitungshäusern und großen Werbefirmen. Mit Berlusconi wurde die italienische Politik eine Art Verkaufsprodukt. Und mit ihm hat sich auch das Bild von Politikern geändert. Sie begannen, Wahlkämpfe mit den Strategien einer Werbeagentur zu machen. Fernsehwahlkampf wurde immer wichtiger. Und Berlusconi ist ja ohne große politische Erfahrung an die Macht gekommen. Er hat einfach eine politische Partei aufgebaut als sei es ein Wirtschaftsunternehmen. Und er hat auch versucht, die Partei so zu führen als sei es eine Erweiterung einer Firma. Er hat die gleichen Strategien wie in einer Werbefirma benutzt. Das hat eine große Veränderung mit sich gebracht. Denn die Qualität des Dialogs, der Politik, hat darunter gelitten. Es gibt eine Ära vor Berlusconi und eine danach. Die politische Sprache hat sich also sehr verändert.

"Wir treten mit 'Loro' in große Fußstapfen"

Burg: Inwieweit war es denn eine Herausforderung für Sie, dass Sie mit einer realen Person zu tun hatten?
Servillo: Für einen Schauspieler ist das natürlich schwierig und eine große Herausforderung. Man muss gegen die Bilder und Meinungen anspielen, die die Menschen von einer Person haben. Außerdem existieren von Berlusconi natürlich bereits viele Parodien. Unzählige Schauspieler und Komiker haben sich an ihm abgearbeitet. Trotzdem ist es natürlich interessant, wenn sich Theater oder Kino mit der Realität auseinandersetzen und eine neue Interpretation von politischen Personen oder Perioden anbieten. Gerade in diesem Aspekt blicken wir in Italien auf eine lange Tradition zurück.
Es gab Regisseure wie Elio Petri oder Francesco Rosi, die immer wieder die politische Elite Italiens in ihren Filmen untersucht haben. Der großartige Schauspieler Gian Maria Volunté hat beispielsweise zwei Mal Aldo Moro dargestellt, den Parteivorsitzenden der christdemokratischen Partei. Oder auch den Präsidenten des italienischen Erdölkonzerns ENI, Enrico Mattei. Das waren bedeutende Figuren in der politischen Landschaft Italiens. Wir machen mit "Loro" also nichts Neues, wir treten in große Fußstapfen.
Burg: Das sagt Toni Servillo, der im neuen Film von Paolo Sorrentino Silvio Berlusconi spielt. "Loro" heißt der Film – er kommt am Donnerstag ins Kino.
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