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Italien
Vorchristliche Bräuche werden wiederbelebt

Rom ist das Zentrum des Christentums, Italien eines der katholischsten Länder der Erde. Und trotzdem gibt es auch hier noch Bräuche, mit denen die Geburt Christi gefeiert wird, die eher an heidnische Kulte denn an Glaubenstradition erinnern.

Von Thomas Migge | 26.12.2015
    Castel Sant Angelo, die Engelsburg, mit der Ponte Sant Angelo in Rom.
    Schauplatz des tragischen "Tosca"-Finales: die Engelsburg in Rom. (imago/F. Berger)
    Im norditalienischen Lecco kommen am 6. Januar nicht die Heiligen drei Könige, wie in Deutschland und anderswo, es kommt die "Befana", eine gute Hexe. Das ganze Städtchen steht Kopf: Eine Blaskapelle spielt, ein Kinderchor singt. Die gesamte Bevölkerung ist auf den Beinen. Und dann der große Moment: Ein altes schrulliges Mütterchen mit dicken Warzen im Gesicht und einem Besen unter dem Arm erscheint, und teilt den Kindern kleine Geschenke aus.
    "Befana"-Feste wie in Lecco werden am 6. Dezember in ganz Italien organisiert. Auch sie seien allerdings, klagt Valter Mineccia, Lokalhistoriker in Rom, längst zu einer Art kommerziellem Feiertag verkommen, an dem es nur um Geschenke geht: "Das Wort Befana leitet sich vom griechischen Ephifania ab, was so viel wie ‚Erscheinung' bedeutet. Traditionellerweise bringt die Befana, auf einem Besen durch die Lüfte fliegend, Kindern kleine Geschenke in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar. Ihren Ursprung hat diese Figur in der heidnischen Antike, und wurde dann von der christlichen Volkskultur übernommen".
    Die Existenz der Befana leitet sich, so Kulturanthropologen, von winterlichen und heidnischen Fruchtbarkeitsriten der Antike ab, die in Italien schon von der frühen christlichen Kirche mehr oder weniger akzeptiert worden sind. Riten, bei denen es darum geht, den Göttern und dann, mit dem Christentum, dem einen Gott zu danken: die Ernte ist eingeholt und man hofft, dass es im kommenden Jahr ebenso gut wenn nicht besser werden wird.
    Vorchristliche Bräuche werden wieder aufgelebt
    Seit einiger Zeit begehen, vor allem im ländlichen und mittleren Italien, einige Menschen auch ganz andere Riten, die nur zwischen dem 1. Advent und dem 6. Januar stattfinden. Wie hier, in einem Wald bei Perugia in Umbrien. Mitglieder einer neoheidnischen Vereinigung - von denen es in Italien seit Jahren immer mehr gibt - lassen vorchristliche Bräuche, mit Feuer und Musik, wieder aufleben. Die Wintersonnenwende und der "Sol Invictus" werden gefeiert, der Sonnengott der antiken Mythologie. Die alten Römern feierten ihn am 25. Dezember. Aus deren paganischem Fest machte die frühe Kirche einen christlichen Feiertag: die Geburt des Gottessohnes – ein weiteres Beispiel für die Transformation heidnischer in christliche Bräuche.
    In Süditalien hingegen existieren immer noch in einigen wenigen Gegenden Bräuche, bei denen in katholischen Kapellen und Heiligtümern kleine Gaben in Form von zumeist selbst zubereiteten Lebensmitteln, vor allem Backwaren, geopfert werden. Dieser Brauch erinnert an die auch in Nordeuropa bekannten Raunächte. An jene Zeitspanne also, die zwischen den Weihnachtstagen und der Erscheinung des Herrn am 6. Januar liegt. In dieser Zeit, so berichten uralte Geschichten, steht das Geisterreich offen, die Seelen der Verstorben haben Ausgang, und Dämonen können Böses anrichten. Ein Volksglaube, der sich im Süden Italiens bis heute gehalten hat. Mit dem Opfern von Backwaren sollen die bösen Geister besänftigt und vertrieben werden, erklärt diese ältere Frau aus der Ortschaft Aquapendente in Kalabrien: "Wir begehen diese Riten zusammen mit unseren Gebeten für den Herrn und seinen neugeborenen Sohn. Wir opfern, um den Sohn Gottes wie auch uns Geistern zu bewahren".
    Diese Geister haben keine präzisen Namen. Sie werden schlichtweg "il male", das Böse genannt und existieren, so der Volksglaube, um den Menschen Schaden zuzufügen, in allen Lebensbereichen. Die katholische Amtskirche hat die Geistervertreibungen in den süditalienischen Raunächten nie akzeptiert. Und doch lassen viele lokale Geistliche den Menschen diesen Ritus, der gerade in den ländlichen Gebieten eine uralte Tradition hat.