Lokführerstreik

Ein Arbeitskampf zur rechten Zeit?

08:10 Minuten
Züge der Deutschen Bahn stehen auf Abstellgleisen.
Nichts geht mehr: Fahrgäste müssen sich auf Zugausfälle einstellen, denn die Lokführer wollen ihre Forderungen durchsetzen. © picture alliance / dpa / Bernd Thissen
Ein Pro und Contra von Christoph Richter und Dieter Nürnberger · 10.08.2021
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Die Lokführer machen Ernst: Am 11. und 12. August stehen im Fern- und Regionalverkehr viele Züge still. Und das in der Ferienzeit. Richtig so, findet Christoph Richter. Reiner Egoismus der Gewerkschaft GDL, sagt dagegen Dieter Nürnberger.

Pro: Der Streik ist richtig, sagt Christoph Richter

Ich sag es mal frei heraus, auch wenn der Empörungsschrei groß ist: Es ist richtig, dass die Lokführerinnen und Lokführer der GDL genau jetzt streiken. Wer nun den Kopf schüttelt, den frage ich: Wann dann? Nachts, wenn alle schlafen? Oder nur Sonntagmittag? Sehen Sie, ist Quatsch. Wer seine Forderungen durchsetzen will, muss dann streiken, wenn es wehtut. Das ist natürlich die Ferienzeit.
Wenn jetzt der Bahnvorstand klagt, man brauche gerade in dieser Zeit Tariffrieden und Solidarität, um die Coronakrise und die Schäden der Jahrhundertflut in den Griff zu bekommen, dann stockt mir der Atem. Meine Zornesfalten werden tief. Denn die Spitzen des Bahnkonzerns, darunter der frühere CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, hätten einfach ein Stück mehr auf die Forderungen eingehen können. Sie hätten die Schatulle für die geöffnet, die echt hart knüppeln.

Harte Arbeitstage für Lokführerinnen und Lokführer

Wissen Sie, wie so eine Woche bei einer Lokführerin oder einem Lokführer aussieht? Gefühlt sind sie rund um die Uhr, sieben Tage die Woche unterwegs. Heute Hamburg, morgen München, dann Köln, dann ein Tag frei. Und so geht es weiter. Die Schicht endet mal um zwei, mal um 16 Uhr oder um Mitternacht. Familienleben: unmöglich. Und das für ein wahrlich mickriges Gehalt.
Jetzt wollte die Bahn gar – halten Sie sich fest – für 2021 eine Nullrunde. Wertschätzung ist das nicht. Ich erinnere gern an den Ausspruch: Klatschen reicht nicht. Das gilt auch für die Mitarbeitenden bei der Bahn, die den Betrieb immer am Laufen halten.
Also, ein Streik im Sommer, zur Ferienzeit: völlig richtig. Gar nicht schäbig. Anders gehts nicht. Punkt.

Contra: Der Streik ist Egoismus, sagt Dieter Nürnberger

Mit der heutigen Streikankündigung stellt sich die Lokführergewerkschaft GDL ins gesellschaftliche Abseits. Da ist zum einem die kurzfristige Ankündigung, obwohl Gewerkschaftschef Claus Weselsky stets betont hatte, rechtzeitig Arbeitsniederlegungen mitzuteilen.
Nun liegen zwischen Ankündigung und Streikbeginn nur ein paar Stunden, den hunderttausend Reisenden, die dieser Tage mit der Bahn unterwegs sind, kann man wohl die Missachtung nicht deutlicher zeigen. Und das in Pandemiezeiten, wo jede Reise ohnehin schon mit vielen Unwägbarkeiten verbunden ist.

Altbackene Klassenkämpfer-Rhetorik

Gravierender ist aber das Auftreten des Gewerkschaftsbosses, der in der laufenden Tarifauseinandersetzung mit dem bundeseigenen Konzern stets eine altbackene Klassenkämpfer-Rhetorik zur Schau stellte. Ihr da oben und wir, die Arbeitnehmer, ganz unten.
Natürlich darf Kritik am Management und am Zustand der Deutschen Bahn geübt werden, an den immer noch zu aufgeblähten Strukturen eines Konzerns, der, politisch gewollt, einmal an die Börse sollte und deswegen zu sehr gespart hatte.
Doch das ist lange her und inzwischen auch überholt, denn parteiübergreifend ist die klimafreundliche Bahn längst ein wichtiger Baustein der Verkehrswende, inklusive Ausbau des Angebots auf der Schiene und Beschäftigtenzuwachs. Doch politische Strukturdiskussionen sind nun einmal nicht Bestandteil von Tarifverhandlungen.

Die Bahn beim Wort nehmen

Hier geht es um Gehaltserhöhungen, um Laufzeiten, um Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Wer die gescheiterten Verhandlungsrunden verfolgt hat, reibt sich die Augen, denn so weit liegen Konzern und Gewerkschaft gar nicht mehr auseinander.
Warum wagt es die GDL nicht, die Bahn beim Wort zu nehmen? Stattdessen: Vorwürfe der Lüge und der Fake News. Und natürlich geht es der Lokführergewerkschaft auch um machtpolitische Fragen. Sie ist mit Abstand die kleinere Gewerkschaft im Konzern. Doch eine bestehende und sinnvolle tarifpolitische Kooperation mit der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft wurde von der GDL bewusst nicht weiterverfolgt.
Wer so egoistisch agiert, dem bleibt Solidarität oder zumindest Verständnis verwehrt. Die Bahnkunden, die in den nächsten Tagen ihr Ziel nicht erreichen werden, haben allen Grund auf die GDL sauer zu sein.
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