Lötzsch und Ernst bilden Doppelspitze der Linkspartei

Klaus Lederer im Gespräch mit Ute Welty · 26.01.2010
An der Spitze der Linkspartei sollen künftig die Ost-Haushaltspolitikerin Gesine Lötzsch und der West-Gewerkschafter Klaus Ernst stehen. Das bestätigte der Landesvorsitzende der Linken in Berlin, Klaus Lederer.
Ute Welty: Ost gegen West, jung gegen alt, Mann gegen Frau, Ideologie gegen Pragmatismus. Die Linke zeigt zurzeit deutlich, dass ein Konflikt viele verschiedene Facetten haben kann. Nach dem Rückzug von Oskar Lafontaine geht es um den Vorsitz der Partei, die Ausrichtung, die Regierungsfähigkeit, um nichts weniger als die Zukunft. Mitten drin in der Diskussion Klaus Lederer, der dem Linken-Landesverband in Berlin vorsitzt, und die Landeschefs haben am Abend über mögliche Kandidaten beraten. Guten Morgen, Herr Lederer! – Wie lange ist es denn gegangen?

Klaus Lederer: Also, wir haben bis drei, halb vier gesessen.

Welty: Hoppla! – Und wie sieht nach Ihrem Stand ein möglicher Lösungsansatz aus? Hat man sich auf einen Personalvorschlag verständigen können?

Lederer: Also der geschäftsführende Parteivorstand wird heute Vormittag einen Personalvorschlag machen für die Spitzenposition, das heißt also durchaus für die Doppelspitze - wir haben uns auf eine Doppelspitze geeinigt -, darüber hinaus für die stellvertretenden Vorsitzenden, auch für Bundesschatzmeister und Bundesgeschäftsführer, und die Debatten, also, die sich dahin, zu diesem Vorschlag hin zogen, die zogen sich eben ziemlich lange.

Welty: Was war der Knackpunkt?

Lederer: Ach wissen Sie, das Problem ist, dass Personaldebatten derzeit das eine sind, nach dem Rückzug von Dietmar Bartsch, nach dem Rückzug von Oskar Lafontaine natürlich ein zentrales Thema, aber natürlich unterschwellig immer mitschwingt die ungeklärten strategischen Fragen, die in unserer Partei nach wie vor auch in Ost und West unterschiedlich gesehen werden, wobei ich das nicht primär für ein Ost-West-Problem halte, und das kriegt man natürlich auch in so einer Personaldebatte an so einem Abend nicht geklärt.

Welty: Sie haben schon angesprochen, Sie haben schon verraten, es wird eine Doppelspitze geben. Das heißt, die alleinige Lösung Gregor Gysi ist es nicht?

Lederer: Gregor Gysi ist dazu nicht bereit und das kann ich auch absolut nachvollziehen. Das ist eine Entscheidung, die ich respektiere. Letztlich werden das dann wahrscheinlich zwei Menschen machen aus Ost und West, Frau und Mann quotiert. Das ist jetzt sicherlich für eine bestimmte Zeit vielleicht auch ein Weg, den man gehen kann, aber es wird uns nicht davon abhalten, zukünftig die Debatte darum zu führen, wohin wir eigentlich gehen wollen, was wir wollen, wozu es uns gibt, wozu wir Politik machen.

Welty: Heißen die beiden zufällig Klaus Ernst und Gesine Lötzsch?

Lederer: Ja! Das ist jetzt auch kein Wunder.

Welty: Gut, okay! – Ist denn die Diskussion so verlaufen, wie Sie das gefordert haben? Sie haben ja vor allen Dingen einen strategischen Klärungsprozess eingeklagt.

Lederer: Ja, der ist absolut notwendig. Also es ist völlig normal, dass es Linke immer schwerer haben als Konservative. Konservative können sich letztlich am Status quo festhalten und können sagen, okay, wir kämpfen um die eine oder andere Veränderung der Gesellschaft hin zur populistischen Klientelbedienung; eine Linke hat es immer schwerer. Die stellt sich Fragen über Wege und Ziele, wie kommt man wohin, Reform und Transformation, was wollen wir mittelfristig bewegen, was wollen wir langfristig bewegen. Da gibt es immer eine Menge Dinge, die in solchen Diskussionen eine Rolle spielen, und das auch mit großer Leidenschaft. Die Frage ist: Wie geht man mit so einer Debatte, die nicht so ganz einfach ist, um. Hält man die aus? Versucht man sie zu nutzen, dass man gemeinsam stark wird? Also führt man Auseinandersetzungen miteinander und nicht über Dritte, oder beschäftigt man sich eher mit sich selbst und hält an, ich sage jetzt mal, eher vorgestrigen Links-Rechts-Mustern fest, an Freund-Feind-Rastern, und führt letztlich Sieg-Niederlage-Debatten? Das ist, glaube ich, etwas, was uns absolut schaden kann, in einer solchen Situation nur absolut schaden kann. Die zentrale Frage ist doch: Wie sammeln wir, wie konzentrieren wir uns auf die brennenden Fragen des Landes, wie bringen wir Schwung in das Land. Und da ist von Zwangsumzügen bei Hartz IV über die Perspektiven der Kopfpauschale oder der Krankenversicherung bis hin zum Afghanistan-Ausstieg, da sind tausend Themen, die wir eigentlich nur aufgreifen, die wir eigentlich nur thematisieren müssten, aber derzeit scheint es eher so, als ob sozusagen wir in Selbstblockaden versinken.

Welty: Haben Sie auch darüber gesprochen, wie lange sich Die Linke eine solche Personaldiskussion überhaupt hätte leisten können? Ich könnte mir vorstellen, dass vor allen Dingen Ihre Kollegen aus Nordrhein-Westfalen angesichts der dortigen Landtagswahl im Mai auf eine zügige Entscheidung gedrängt haben.

Lederer: Dass da zügig entschieden werden sollte, das ist ja absolut nachvollziehbar. Wenn man in eine Situation gerät, wo jemand wie Oskar Lafontaine, der in der Partei eine unglaublich wichtige Rolle gespielt hat, sagt, aus Krankheitsgründen ziehe ich mich zurück, wenn jemand wie Dietmar Bartsch in so einer Situation dann letztlich gesagt hat, unter den Bedingungen des innerparteilichen Zustands kandidiere ich nicht mehr, und wenn jemand wie Gregor Gysi sagt, ich nehme die Verantwortung mal an und versuche, hier mal ein Feld zusammenzustellen von Menschen, die vielleicht die Partei in der Perspektive auf einen gemeinsamen Weg bringen können, dann will man natürlich eine schnelle Entscheidung. Ich kann das auch absolut nachvollziehen. Die Frage ist nur, mit welcher Zielrichtung soll denn eine solche Führung die Partei führen. Da müssen ja Prozesse, da müssen ja Debatten in Gang gebracht werden, das muss man ja vorher klären. Man muss doch mal darüber reden, mit welcher Zielvorstellung wählen wir im Mai neue Vorsitzende und neue Stellvertreter, Bundesgeschäftsführer, Schatzmeister, was ist die Zielrichtung, in die wir gehen wollen? Und da geht nicht einerseits, in Landtagswahlen um möglichst maximale Stimmen zu kämpfen, und auf der anderen Seite die Frage schuldig zu bleiben, was will man mit den Stimmen anfangen. Wie will man sie in praktische Politik umsetzen? Wie sollen die im Alltag sich wiederfinden für die Menschen, die ja Erwartungen haben an das, was wir tun? Und das ist sozusagen, denke ich, immer noch eine offene Frage und deshalb wird das auch nicht so einfach. Mitte Mai ist der Parteitag, aber die Menschen, die da vorgeschlagen werden, brauchen alle Mehrheiten. Dazu wird es bestimmte Gliederungsprozesse weiterhin einzufordern geben.

Welty: Wenn Sie sagen, es geht nicht darum, bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen möglichst viele Stimmen zu bekommen ...

Lederer: Oh, da will ich nicht missverstanden werden. Natürlich will ich, dass wir in Nordrhein-Westfalen möglichst viele Stimmen holen. Um jeden Preis möchte ich das!

Welty: Womit wir wären beim Thema SPD und der Annäherung beider Parteien. Ist für Sie eine solche Annäherung wünschenswert und ist sie machbar?

Lederer: Na ich find sie absolut wünschenswert und ich find, man muss darum kämpfen, dass sie stattfindet – nicht in der Weise, dass wir uns jetzt mit unseren Positionen auf SPD und Grüne dermaßen zubewegen, dass wir am Ende genauso unerkennbar werden wie sie, aber ich finde schon die Debatten um Hartz IV in der SPD interessant, ich finde die Debatten um den Afghanistan-Krieg interessant, ich finde, dass sich in der SPD durchaus das eine oder andere bewegt. Dasselbe findet bei den Grünen statt. Es gibt Menschen bei den Grünen, die diskutieren Fragen von kommunaler Wirtschaft ähnlich wie wir, die diskutieren natürlich ökologische Fragen wie wir, die stellen sich die Frage, wie kann man sozial-ökologischen Umbau gestalten. Die für mich interessante Frage ist einfach, wie nehmen wir genau auf diese Findung Einfluss, wo könnte ein neues politisches Lager in der Bundesrepublik Deutschland sein. Ich will doch nicht, dass es Schwarz-Gelb so einfach hat wie jetzt. Die versagen jeden Tag und trotzdem macht ihnen keiner ernsthaft Konkurrenz: die SPD nicht, die Grünen nicht und wir Linken, wir ziehen uns vielleicht auch noch freiwillig aus dem Feld zurück. Das kann es nicht gewesen sein! Man muss schon am Ende die Frage aufwerfen, wo soll diese Republik im Jahr 2015, im Jahr 2020 stehen, welche Mehrheiten können in diesem Land vielleicht dafür sorgen, dass es diesen Politikwechsel hin zu sozialer demokratischer Entwicklung gibt, letztlich zu der Frage, wie soll es weitergehen mit unserer Gesellschaft. Wie soll es in diesem Land weitergehen? Die Frage müssen wir beantworten und da kann ich mir vorstellen ist genau diese Debatte wichtig und da möchte ich genau die Akteure aus SPD und Grünen nicht daraus entlassen, die sich da, glaube ich, an der einen oder anderen Stelle derzeit es recht einfach machen. Ich bin erstaunt darüber, dass die Bundesrepublik zurücksteht hinter den Vereinigten Staaten in Fragen der Kontrolle des Bankensektors und Ähnlichem. Das muss doch eine Linke in dem Land thematisieren, und dann gerne mit SPD und Grünen zusammen, wenn die dazu bereit sind, sich diesen Fragen zu stellen.

Welty: Die Gesellschaftsdebatte geht weiter, die Personaldebatte wird mit einem heutigen Vorschlag erst mal beendet. Das neue Führungsduo bei den Linken sollen Klaus Ernst und Gesine Lötzsch sein. – Klaus Lederer war bei den Beratungen dabei, der Vorsitzende der Linken in Berlin. Danke für das Gespräch und einen guten Tag wünsche ich noch.

Lederer: Alles Gute. Tschüß!
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