Live aus der Gedenkstätte Buchenwald

29.04.2009
So selbstverständlich wie der Ammersee oder der Thüringer Wald den 11. Längengrad berühren, so selbstverständlich kreuzt Buchenwald unseren Weg vom Süden nach Norden Deutschlands. Im Konzentrationslager Buchenwald und seinen 136 Außenlagern waren zwischen 1937 und 1945 insgesamt 250.000 Menschen aus über 50 Nationen inhaftiert: Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Wohnungslose, Vorbestrafte, Kriegsgefangene, Widerstandskämpfer.
Über 56.000 Menschen starben an Folter, an medizinischen Experimenten und an Auszehrung. Tausende sowjetische Kriegsgefangene wurden in einer eigens errichteten Tötungsanlage systematisch erschossen.

Dimensionen der Grausamkeit, die heute für junge Menschen nur schwer vorstellbar sind: Wie konnte das geschehen? Warum haben so viele Deutsche mitgemacht und so wenige "Nein" gesagt? Und: könnte das wieder passieren?
Diese Fragen bewegen junge Menschen auch über 60 Jahre nach Kriegsende, denn sie sind nach wie vor nicht beantwortet.

In der internationalen Jugendbegegnungsstätte der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora versucht ein Team pädagogischer Mitarbeiter, sich diesen Fragen anzunähern. Während mehrerer Projekttage haben junge Menschen die Möglichkeit, sich in der Gedenkstätte Buchenwald die Geschichte und ihre Bedeutung für die Gegenwart zu erarbeiten.
Drei Begriffe stehen im Zentrum des innovativen Konzepts, das die selbstständige historisch-ethische Urteilskraft befördern soll:

Sehen: die authentischen Lagerreste, die Originaldokumente, Fotos, Zeitzeugenberichte. Forschendes Lernen macht Mut, Fragen zu stellen. Der erhobene Zeigefinger bewirkt das Gegenteil.
Begreifen: Gedenken braucht Wissen. Unter welchen politischen, rechtlichen, sozialen und kulturellen Bedingungen wurden Menschen zu Tätern? Welche Erfahrungen machten Widerstandskämpfer und Verfolgte?
Reflektieren: Wo sind in der Gegenwart die Demokratie und die Menschenrechte gefährdet? Was verstehen wir unter Zivilisation und wo sind deren Grenzen?

Es sind junge Menschen aus aller Welt, die solche Projekttage nutzen und von einem ebenso jungen Team begleitet werden. Keineswegs beschränkt sich die Arbeit auf Schulklassen.

Wir werden in der Jugendbegegnungsstätte um 8.20 Uhr auf eine Gruppe von Studierenden aus der Schweiz treffen, die ihren zweiten Projekttag plant. Die achtzehn Studenten kommen von der Züricher Hochschule der Künste, darunter sind zukünftige Bühnenbildner und Theaterpädagogen. Sie interessieren sich für die Gestaltung von Gedenkstätten und für die Museumspädagogik in Buchenwald.

Was führt sie ausgerechnet in diese Gedenkstätte? Was wird sie im Laufe des Tages beschäftigen? Welche Eindrücke haben sie bisher gewonnen, welche Erkenntnisse nehmen sie mit für ihr Studium? Warum spielen Gedenkstätten überhaupt eine Rolle für Kunst und Theater?

Junge Deutsche sind frei von eigener Verantwortung für die Geschichte, und dennoch tragen sie in der Regel schwer an den Verbrechen ihrer Großeltern oder Urgroßeltern. Wie geht es ausländischen Jugendlichen damit? Welche eigene Familiengeschichte bringen sie mit, welche Verbindungen zur NS-Zeit sind nach wie vor wach? Und: spielt das Thema heute überhaupt noch eine Rolle – im Alltag, auf Reisen oder bei internationalen Begegnungen – wenn sie nicht gerade in einer Gedenkstätte stattfinden?

www.buchenwald.de