Literaturwissenschaftler Heinrich Detering

Die rhetorischen Tricks der AfD

06:50 Minuten
Rosenmontagszug, Düsseldorf, Deutschland Düsseldorf, Deutschland. 4. März 2019. Rosenmontagszug in Düsseldorf, NRW. Motivwagen mit den Figuren Björn Höcke und Josef Goebbels
Bereits Thema beim Düsseldorfer Rosenmontagsumzug: Ein Motivwagen zeigt Josef Goebbels mit Björn Höcke in den Armen, wie er ihn hochleben lässt. © imago / Bettina Strenske
Heinrich Detering im Gespräch mit Ute Welty · 13.07.2019
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Messermänner, Kopftuchmädchen und immer wieder: Wir gegen die. Man finde in der Sprache der AfD alles, was man über ihre Ideologie wissen müsse, sagt der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering. "Und das ist beunruhigend genug."
Ute Welty: Nicht die Augen der Welt, aber die Augen der Wahlbeobachtung richten sich heute auf Cottbus. Dort ist Wahlkampfbeginn der AfD, denn am 1. September wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Die Umfragen sehen die AfD in Brandenburg bei etwa 19 Prozent. Heute in Cottbus werden drei Männer auftreten, die dem völkisch-nationalistischen Flügel der AfD zugerechnet werden, Andreas Kalbitz, Jörg Urban und Björn Höcke.
Vor allem Höckes Auftritte fallen immer wieder aus dem Rahmen und sind auch in der eigenen Partei nicht unumstritten. Allein seine Machtbasis scheint sich weiter zu vergrößern. Wie das vonstattengeht, beobachtet auch Heinrich Detering, Professor für neuere deutsche Literatur in Göttingen. Der Leibniz-Preisträger hat sich vor allem auf die Rhetorik der AfD konzentriert. Guten Morgen, Herr Detering!
Heinrich Detering: Guten Morgen!
Welty: Titel Ihres Buchs ist "Was heißt hier 'wir'?" Welche besondere Bedeutung für die AfD hat denn dieses kleine Wörtchen "wir", das so freundlich daherkommt und dem man ja eigentlich nichts Böses unterstellen will?
Detering: Das Wort selbst ist harmlos, aber der Gebrauch, den die AfD-Redner, und zwar durch alle Flügel, von diesem Wort machen, beruht auf einer entscheidenden Grundoperation. Und das ist die Unterscheidung zwischen uns hier und denen dort. Alles Übrige ergibt sich aus dieser Grundgrenzziehung. Wir hier sind die Guten, die Richtigen, die immer schon da waren, die das Recht haben, sich auch aggressiv zu verteidigen. Die anderen sind grundsätzlich Bedrohung. Die Auffüllung dieses Schemas ist erstaunlich variabel. Entscheidend ist nur, dass bei denen, die angesprochen werden, dieses nach außen hin abgeschottete Gruppengefühl erzeugt wird.

"Bei näherem Hinsehen ein leeres Wir"

Welty: Das heißt, das Wir ist gar kein Wir mehr?
Detering: Es ist bei näherem Hinsehen ein sehr leeres Wir. Es wird gefüllt, und zwar vor allen Dingen von Höcke und seinem Flügel, aber auch von anderen Rednern, etwa Frau Weidel oder Herrn Gauland, mit Vorstellungen von Deutschtum, die bei näherem Hinsehen ganz erstaunlich vage und unbestimmt sind. Ich erinnere an einen Satz von Alexander Gauland, der viel diskutiert worden ist, die Hitlerzeit sei nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte. Man hat in diesem Satz immer nur das Wort Vogelschiss diskutiert, das ja eine kalkulierte Provokation war und von dem Gauland hoffte, dass es Aufmerksamkeit erregen würde.
Genauso interessant ist aber die Frage, was meint er eigentlich mit tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte. Er bemisst Geschichte offensichtlich nach Erfolg, und der Erfolg, den er im Kontext seiner Rede meint, bezieht sich ausschließlich auf Machterweiterung, Territorialerweiterung, Großmachtpolitik, Beherrschung Europas. Die ... kommt für ihn ausdrücklich überhaupt nur unter dem einen Aspekt in den Blick, dass sie nämlich die Bismarck-Zeit mit der Reichsgründung vorbereitet habe. Solche rein machtbasierten Vorstellungen sind es, die sich hier für Gauland mit dem deutschen Wesen, der deutschen Kultur und Geschichte verbinden. Und der Nazizeit umgekehrt scheint er auch nichts anderes vorzuwerfen, als dass sie leider erfolglos gewesen sei.
Literaturwissenschaftler Heinrich Detering vor einer Matinee zur Erinnerung an Günter Grass in Göttingen
Literaturwissenschaftler Heinrich Detering versucht, die heimlichen ideologischen Grundstrukturen in den rhetorischen Wendungen der AfD aufzufinden.© picture alliance / dpa / Sven Pförtner
Welty: Sie haben diese Stilanalyse mit dem Blick des Literaturwissenschaftlers unternommen. Inwieweit unterscheidet sich das, vom politikwissenschaftlichen Experiment, auf die AfD zu gucken?
Detering: Ich glaube, ich habe es eigentlich nur mit dem Blick eines neugierigen Bürgers betrachtet, was da geredet und wie da geredet wird. Ich glaube, ich versuche, die politischen Denkweisen, die heimlichen ideologischen Grundstrukturen im Stil aufzufinden, in Sprachfiguren, in rhetorischen Wendungen und Kniffen, wie beiläufig in einer Aufzählung etwas hineinschmuggeln, was eigentlich bei Lichte gesehen nicht hineingehört, aber zum Beispiel suggeriert, dass zu muslimischen Männern das Messer so gehört wie zu muslimischen Frauen das Kopftuch.
Das ist, glaube ich, die Raffinesse des Wortes von den Messermännern und den Kopftuchmädchen. Ich glaube, wenn man richtig hinhört und nachliest, wird man in der Sprache der AfD alles finden, was man über ihre Ideologie wissen muss, und das ist beunruhigend genug.

Beim Reden mit Rechten Ruhe bewahren

Welty: Auch erfahrene Journalistinnen und Moderatoren scheitern mitunter im Versuch, die AfD sprachlich zu entzaubern. Was empfehlen Sie, mit Rechten reden oder über Rechte reden?
Detering: Alle in einer demokratischen Gesellschaft sollten in der Lage sein, miteinander zu reden. Aus dem Diskurs scheidet sich..., wer an ihm nicht teilnehmen will. Also, niemand von uns würde versuchen, eine ernsthafte Diskussion nachts um zwei mit einem schwerbetrunkenen Hausfreund zu führen. Da ist irgendwie die Grenze der Gesprächsfähigkeit erreicht. Dieselbe Situation liegt vor, wenn die andere Seite pöbeln, angreifen, unsachlich argumentieren, sich nicht befragen lassen will.
Ich würde empfehlen, wenn man mit Rechten redet, und wir alle kennen ja Sympathisanten der Rechten, zumindest auch in unseren Freundeskreisen, vielleicht sogar unseren Familien, dann vor allen Dingen die Ruhe zu bewahren und nachzufragen, was mit einem Wort gemeint ist, was zum Beispiel mit Erfolg in dem Wort erfolgreiche deutsche Geschichte gemeint ist, oder was mit dem Wir in dieser konkreten Konstellation gemeint ist.
Die Rhetorik der AfD, überhaupt der Rechten, hat so eine Tendenz, sich zu immunisieren durch Aggressionsbereitschaft. Man traut sich nicht recht nachzufragen, man fühlt sich irgendwie eingeschüchtert. Wenn man diesem Reflex widersteht, auszuweichen, nachzugeben, wegzugehen, sondern stattdessen nachfragt: Was meinst du eigentlich mit diesem Wort oder diesem Satz? Dann befindet man sich in einer grundsätzlich anderen Sprechsituation.

An die Vernunft der Schwankenden appellieren

Welty: Das Feuilleton, namentlich Jens Bisky in der "Süddeutschen Zeitung" bescheinigt Ihnen, Vernunft der AfD entgegenzusetzen. Verzeihen Sie mir die Skepsis, dass Vernunft der AfD beikommt?
Detering: Ich weiß nicht, ob die Vernunft, auf die ich mich gerne berufen würde, Leute, die der AfD angehören oder anhängen, zum Umdenken bewegen könnte, aber ich setze darauf, dass Menschen, die verunsichert sind, die nicht recht wissen, ob da nicht vielleicht was dran ist und ob sie nicht zu diesem Wir dazugehören, ob es nicht auch ganz vernünftige Dinge gibt, die da gesagt werden, dass solche Leute durch das, was ich an einigen Beispielen in meinem Essay zu demonstrieren versuche, zum nochmaligen Hingucken gebracht werden, zur Klärung der Begriffe, zur Klärung auch der eigenen Gedanken und Empfindungen. Es gibt hier sehr viele Schwankende, Unsichere, denen ich empfehlen würde, von ihrer Vernunft Gebrauch zu machen, und dafür würde ich gerne ein paar Hinweise und Ratschläge geben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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