Literaturtage "Litprom" in Frankfurt am Main

Die neue Weltliteratur

Der kenianisch-amerikanische Autor Mukoma wa Ngugi
Der kenianisch-amerikanische Autor Mukoma wa Ngugi im März 2015 in Frankfurt am Main. © imago/epd
Von Mario Scalla · 24.01.2016
Westliche Verlage entscheiden hauptsächlich, wer und was übersetzt und global gelesen wird. Auf der Litprom in Frankfurt sprachen internationale Autoren und Autorinnen darüber, wie das geändert werden kann - darunter auch der kenianisch-amerikanische Autor Mukoma wa Ngugi.
Es gibt eine neue Weltliteratur – so lassen sich die beiden Literaturtage zusammenfassen. Längst kursieren literarische Motive, Themen und Genres kreuz und quer über den Globus; Literaturbetriebe richten sich international aus, genauso wie viele Autoren. In Frankfurt kamen zehn Autoren und Autorinnen aus Afrika, der Karibik, Singapur und Lateinamerika zusammen. Abdulrazak Gurnah etwa wurde 1948 in Sansibar, Tansania, geboren und lebt heute in Großbritannien. Zum Motto der Literaturtage "Neue Weltliteratur und der globale Süden" meint er:
"Es geht heute nicht mehr nur darum, einfach zu sagen, wir müssen auch andere Autoren würdigen und lesen. Es geht mehr um eine Plattform für nicht-westliche Länder. Der Anfang wird bereits dadurch gemacht, dass vom ´globalen Süden`gesprochen wird, nicht mehr von ´Dritter Welt` oder ´unterentwickelten Ländern`. Es fängt bereits mit dieser Sprachregelung an, denn die ist zumindest ein klein wenig höflicher.
Aber selbst ein höflicher Diskurs muss Ungleichheiten berücksichtigen. Noch immer entscheiden die zumeist großen Verlage des Westens, wer und was übersetzt und global gelesen wird. Der Nobelpreis für Literatur etwa ging in den letzten 115 Jahren gerade mal an einen indischen und einen schwarzafrikanischen Autor.
Viel war an diesen Tagen zu hören von Post-Kolonialismus und neoliberalem Kapitalismus. Aber es wurde nicht geklagt und bedauert, sondern selbstbewusst festgestellt, dass in der Literatur des Südens Vorstellungen existieren, wie eine Weltliteratur heute aussehen kann. Amanda Lee Koe lebt im Stadtstaat Singapur, also kulturell zwischen dem ehemaligen britischen Kolonialreich, dem nahen China sowie einer lokalen Tradition. Diese hybriden Verhältnisse tauchen in ihren Geschichten wieder auf:
"Für mich heißt es mehr, Grenzen zu unterlaufen oder mit ihnen zu spielen, ohne wütend oder einfach irgendwie dagegen zu sein. Fiction kann das sehr viel besser als Non-Fiction tun."
Das ästhetische Spiel hat aber sprachliche Grenzen:
"Mein Mandarin ist nicht so gut, dass ich wirklich eine Wahl hatte. Ich habe es ohne irgendein Verständnis der chinesischen Kultur gelernt. Ich werde also mehr oder weniger gezwungen, englisch zu schreiben und muss mir bewusst machen, dass ich mich damit in einen postkolonialen Rahmen begebe. Wenn ich es mit singlisch und einem amerikanischen Slang mische, ist es eine Art zu erklären: Ich befinde mich nicht mehr in diesem postkolonialen Rahmens."
Ohne Übersetzer geht es nicht
Amanda Lee Koe gab auch eine Kostprobe des singlisch, des singapurischen englisch – für Fremde ist es kaum zu verstehen. Dennoch taucht es in ihren Geschichten auf und muss übersetzt werden. Doch ohne Übersetzer ging gar nichts, das war bei den Literaturtagen augenfällig: Es kam vor, dass ein frankophoner Autor wie Patrick Chamoiseau und eine englisch sprechende Autorin wie Amanda Lee Koe zusammen auf dem Podium saßen und keine gemeinsame Sprache hatten. Mit Hilfe des Übersetzers allerdings stellten beide schnell fest, dass sie ähnliche Erfahrungen in eine vergleichbare literarische Form bringen.
Am einfachste sind weltliterarische Verhältnisse in populären Genres herzustellen. Überall auf der Welt müssen Mordopfer begraben und Schuldige gesucht werden. Mukoma wa Ngugi ist der Sohn des berühmten nigerianischen Autors Ngugi wa Thiong’o. Mukoma schreibt Krimis in der Hardboiled-Tradition von Hammett und Chandler:
"Die populäre Literatur kam in Kenia auf, als viele große, seriöse Schriftsteller ins Exil geschickt wurden. Sie hinterließen ein Vakuum, das von populären Autoren gefüllt wurde, die Krimis, Pornos und anderes schrieben. Das war erstmal unterhaltend, aber diese Genres haben auch den Vorteil, dass über heikle Themen wie Korruption oder Widerstand gesprochen werden konnte."
Der Krimi transportiert lokale Besonderheiten leicht auf einen globalen Markt. Romane und Kurzgeschichte des Südens haben es etwas schwerer. Sie sind komplizierter, enthalten indes mehr lokale Erfahrungen. Der auf der karibischen Insel Martinique lebende Patrick Chamoiseau lieferte die elaborierteste Version einer vom Süden ausgehenden Weltliteratur:
"Wenn das Vorstellungsvermögen der Welt sich in der Sprache niederschlägt, schafft das eine Offenheit, eine Fraternité, eine Brüderlichkeit, die ganz außergewöhnlich ist. Daraus können Lösungen entstehen, die meiner Meinung nach sehr wichtig sind und die auch eine neue Realität in der Literatur bestimmen, die jetzt nicht mehr Norden oder Süden kennt, keine linguistischen Grenzen, sondern nichts anderes als ein System von Beziehungen."
In Chamoiseaus Theorie der Lust und der Vielseitigkeit gibt es keine eigene und keine fremde Literatur. Jeder, der Sprachen, Kulturen, Geographien mischt und kombiniert, ist ein Fremder, überall – schließlich enthält jede Mischung auch fremde Elemente und verfremdet die eigenen weiter. Weltliteratur heute: Ein kreolischer Karibe erklärt in der Stadt der Banken und der Geldes, wie kreativ und inspirierend Globalisierung doch sein kann.

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