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Performancefestival Coil
Eine Institution steht vor dem Aus

Schlechte Nachrichten für das Coil Festival: Die Zukunft des experimentellen Theatertreffens in New York ist ungewiss. Dabei sind die aktuellen Performances progressiver denn je. Doch die neue Leiterin Jenny Schlenzka will eine neue Vision entwickeln.

Von Andreas Robertz | 24.01.2018
    Der Fuß einer Tänzerin der Ballettschule der Oper in Nanterre,
    Mal klassisch, mal unkonventionell: Das Coil-Festival zeigt die ganze Vielfalt von Performances (AFP PHOTO / Lionel Bonaventure)
    Dane arbeitet in einem heruntergekommenen Zoo in Cleveland, Ohio - mit einer Achterbahn, die wie das Stück "Jupiters Lifeless Moons" heißt, und dem Zebra Zoe, das eingeschläfert werden soll. Zusammen mit drei unheimlichen Schulmädchen und einem Geliebten versucht er in einer nächtlichen Aktion, Zoe zu befreien. Dabei entdeckt er, dass unter dem Zoo die Knochen zweier prähistorischer Monsterfische liegen, die in pornografischen Albträumen die Bewohner der Stadt heimsuchen.
    Die absurd-schrille Geschichte von Performer Dane Terry zwischen satirischem Kabarett, homoerotischem Softporno und Horrorfilm erinnert an frühe Filme von David Lynch. Sie handelt von abgründigen Sehnsüchten hinter der vermeintlich sauberen Fassade der amerikanischen Gesellschaft. 90 hoch unterhaltsame Minuten lang singt und erzählt Dane seine, mit autobiographischen Details durchwobene Geschichte.
    Performance - was ist das jetzt?
    Performance kann alles sein: Kabarett, Kunstaktion, Konzert, Tanz oder Theater. Diese Vielfalt beim Coil-Festival ist das Ziel von Jenny Schlenzka. Sie ist die neue Leiterin des Performance Space New York, hat vorher als Kuratorin für den Kunstort MoMA PS1 in Queens Performanceprogramme zusammengestellt.
    "Na, das Tolle ist mit Performance Space 122, dass eigentlich dies, was man heute amerikanische Performance nennt, da geboren ist, sozusagen, und wenn man zurückgeht in die alten Kritiken, dann merkt man richtig, dass die Journalisten nicht wussten, was ist das jetzt. Ist das Theater? Ist das Tanz, aber warum sprechen die? Und warum ist es nicht ein richtiges Stück mit 'nem richtigen Bogen? Und dann kommt noch Film dazu, und Kunst und Malerei."
    Eine ganz eigene Version von Performance zeigt auch US-Choreografin Heather Kravas in "Visions of Beauty":
    Ein langer Wurm aus Leibern kriecht unter ruhiger Pianomusik langsam von rechts nach links durch den Raum. Wie auf einem Fließband schieben sich die Körper unter und über andere, Hände stützen behutsam Köpfe, Füße Hinterteile; immer wieder hält die Bewegung inne, die Körper dehnen sich wie beim Yoga. Die unmittelbare Nähe von Gesichtern zu Geschlechtsorganen wird dabei von den acht Männern und einer Frau, die nur mit Unterwäsche bekleidet sind, hingenommen. Ihre Gesichter zeugen eher von naiver Neugier.
    Dann legen sie ihre Kleider ab und drehen sich nackt rasend schnell zu Peter Schillings "Völlig losgelöst" durch den Raum. Ihr Lachen steckt das irritierte Publikum an. Die Arbeit spielt mit Themen wie Intimität, Männlichkeit, Ordnung und Anarchie. Die Tänzer haben alle unterschiedliche Körperkonstitutionen und Hautfarben. In ihrer nackten Verwundbarkeit konfrontieren sie das Publikum mit einer Männlichkeit, die verletzlich und gleichzeitig offen, stark und verspielt sein darf: ein ungewohntes und durchaus befreiendes Erlebnis.
    Hochpolitisch, anarchistisch und experimentell
    Die Aufführungen zeigen: Auch heute noch will sich das PS 122 nicht in die etablierten Kategorien Tanz, Musik, bildende Kunst und Theater einordnen lassen, wie schon zur Gründung vor 40 Jahren. Zwischen Punk, AIDS-Krise und Pop-Art wurde das Genre "Performance" geboren: hochpolitisch, anarchistisch und experimentell. Jenny Schlenzka sieht die größte Herausforderung für das neue Haus darin, mit diesen Wurzeln aber ohne ein Gefühl von Nostalgie eine neue Vision zu entwickeln:
    "Ich will nicht, dass alles anders wird und gleichzeitig will ich, dass alles anders wird. Es gibt ja eine Fraktion hier, die sagt, Performance Space 122 in den 80ern und 90ern, das war die beste Zeit und so muss es immer bleiben, und das ist natürlich falsch. Alles um uns herum hat sich ja auch verändert: Die Kunst hat sich verändert, die Ökonomie hat sich verändert, die Nachbarschaft hat sich verändert - und wir müssen uns auch verändern."
    Zur Halbzeit des Festivals kann man sagen, dass die gezeigten Arbeiten ganz dem Credo des Experimentellen und Genre-übergreifenden folgen, eine Reflexion über politische und ökonomische Veränderungen aber dabei kaum eine Rolle spielen. Für die Leiterin markiert das Festival einen Übergang und wird zum letzten Mal stattfinden, um finanzielle Mittel für eine eigene Spielzeit freizugeben. Damit wird es Jenny Schlenzka sicher gelingen, neue Akzente zu setzen, aber der New Yorker Januar mit seinen vielen spannenden Festivals ist damit um eines seiner besten ärmer geworden.