Literaturkritikerin Sigrid Löffler zum Bachmann-Preis

"Das ist wohl eher ein Relevanztheater"

10:13 Minuten
Kritischer Geist: Die Publizistin und Literaturkritikerin Sigrid Löffler
Die Literaturkritik kämpfe insgesamt mit einem massiven Bedeutungsverlust, beklagt Sigrid Löffler. © picture alliance / Eventpress Hoensch
Sigrid Löffler im Gespräch mit Maike Albath  · 20.06.2020
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Was bleibt vom Bachmann-Preis 2020? Das Videoformat sei ein Freibrief für schlechtes Benehmen, findet die Literaturkritikerin Sigrid Löffler. Die virtuelle Ausgabe könne kaum davon überzeugen, "dass Literaturkritik heute noch von Relevanz ist“.
In Klagenfurt wird wieder um die Wette gelesen: 14 Texte bewerben sich um den Bachmann-Preis.
Die Jury streitet öffentlich über die Qualität und kürt am Ende einen Gewinnertext. Wegen der Coronapandemie diesmal nicht vor vollem Saal, sondern auf Bildschirmen. Ein Literaturtribunal live im Fernsehen – hat das eigentlich irgendetwas mit Literaturkritik zu tun?
Die Kritikerin und frühere Bachmann-Jurorin Sigrid Löffler ist skeptisch: "Literaturkritik scheint mir hier eher ein Vorwand zu sein. Das ist wohl eher ein Relevanztheater, das die Juroren da aufgeführt haben, bezeichnenderweise ohne Publikum."
Die Literaturkritik kämpfe insgesamt mit einem massiven Bedeutungsverlust und habe sich noch einmal behaupten wollen, "indem sie einander überschreien und wild gestikulieren", so Löffler: "Da wollten sie ein bisschen eigene Bedeutsamkeit herbeifuchteln".

Freibrief für Ungezogenheit und schlechtes Benehmen

Dass die Jury in diesem Jahr aufgrund der Pandemie nicht gemeinsam um einen Tisch sitzen kann, hält Löffler für einen Teil des Problems.
"Dieses Videoformat scheint mir ein Freibrief zu sein für Ungezogenheit und für schlechtes Benehmen", sagt sie. "Dass man einander ins Wort fällt, niemandem ausreden lässt und ganz offenkundig keiner dem anderen zuhören will, sondern nur darauf brennt, über die anderen hinwegzureden und sich selbst in Szene zu setzen. Und das wirkt, glaube ich, auf die Zuschauer eher abstoßend."
Sigrid Löffler, Hellmuth Karasek, Ulrich Greiner und Marcel Reich-Ranicki in der Kulisse der TV-Diskussionsrunde "Literarisches Quartett".
Von 1988 bis 2000 war Sigrid Löffler dabei: Die Akteure des Literarischen Quartetts vor gediegener Kulisse.© picture alliance / dpa / Erwin Elsner
Dieses Format habe sie nicht überzeugt, sagt Löffler. Sie glaube nicht, "dass das die Form ist, wie man ein zuschauendes Publikum davon überzeugen kann, dass die Literaturkritik heute noch von Relevanz ist".
Sigrid Löffler gilt als eine der erfahrensten Literaturkritikerinnen des Landes, die das gesamte Spektrum des Genres kennengelernt hat: als Feuilletonchefin der "Zeit", als Kombattantin des Literarischen Quartetts, als Begründerin und Chefredakteurin der Zeitschrift "Literaturen", als Jurorin in Klagenfurt – und als Rezensentin im Deutschlandfunk Kultur.
Literaturkritik spiele insgesamt nur noch bei Belletristik im engeren Sinne und beim Qualitätssachbuch eine Rolle. "In allen anderen Bereichen, glaube ich, kommt der Buchmarkt glänzend ohne Literaturkritik aus. Die Bücher brauchen dort überhaupt gar keine Kritik mehr, da geht es um das Engineering von Bestsellern." Die gesamte Genreliteratur sei "praktisch unrezensierbar".

"Das Publikum bemerkt den Zynismus"

Sie beobachte seit langem einen Paradigmenwechsel, betont Löffler: weg vom Kunsturteil von Kritikern hin zum Geschmacksurteil von Konsumenten.
"Es ist nicht mehr der Kritiker, der hier die entscheidende Figur ist", erklärt sie. "Es ist der Konsument, und was der Konsument gerne konsumiert, wofür er bereit ist, Geld auszugeben und womit er seine Zeit verbringt, das ist auch gut. Und der Kritiker, der dann eine andere Zugangsweise hat, ist eigentlich gar nicht mehr gefragt."
Es stelle sich die Frage: "Wo kann ein Literaturkritiker heute überhaupt noch seinen Platz finden? Oder ist dieser Platz verdunstet?" Die wenigen Bereiche, in denen die Rezension noch eine Rolle spiele, sollten Kritiker deshalb "besonders pfleglich" behandeln, so Löffler.
Angesichts dieses Bedeutungsverlustes sei es wichtig, als Literaturkritiker nicht zum Zyniker zu werden.
"Was mir auffällt, ist, dass hier – wie in allen bedrohten Berufen, nicht nur bei den Investmentbankern – auch unter den Literaturkritikern zunehmend mehr Zyniker am Werke sind", sagt Sigrid Löffler. "Und die schreiben und propagieren, was sie selber nicht denken und was sie auch selber nicht glauben."
Aber kann man als Zyniker als Kritiker glaubhaft sein? Merkt das das Publikum? Und wenn ja, macht es ihm etwas aus? "Das ist eigentlich die Frage, die mich die ganze Zeit umtreibt. Und ich bin eigentlich im Grunde eher positiv gestimmt und eher optimistisch: Ich glaube, das Publikum merkt den Zynismus und merkt die Unehrlichkeit und mag sie nicht."
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