Linksautonome Gewaltaufrufe vor G20-Gipfel

"Der Veranstaltungsort Hamburg stellt ein großes Risiko dar"

Das Logo des G20-Gipfels hängt am 22.06.2017 in Hamburg in den Messehallen. Zum zweitägigen G20-Gipfel in der Hansestadt am 7. und 8. Juli werden Staats- und Regierungschefs aus 20 Industrie- und Schwellenländern und Hunderte Journalisten aus zahlreichen Ländern weltweit erwartet.
Die Hamburger Messe - Schauplatz des G20-Gipfels © picture alliance / dpa / Axel Heimken
Hans-Gerd Jaschke im Gespräch mit Ute Welty · 26.06.2017
Vor dem G20-Gipfel mehren sich im Netz linksautonome Gewaltaufrufe. Der Extremismusforscher Hans-Gerd Jaschke hält es für einen Fehler, das Treffen ausgerechnet in Hamburg abzuhalten – einem Zentrum der Autonomenszene. Deren zunehmende Militanz sei auch mit dieser Wahl zu erklären.
Ute Welty: Trump, Putin, Erdogan – drei Politiker und für viele drei gute Gründe, auf die Straße zu gehen, weil man Pressefreiheit in der Türkei fordert, gegen die Annektierung der Krim ist oder die Idee eines Einreiseverbots für Muslime ablehnt. Zu demonstrieren und zu protestieren, das ist Grundrecht, und es ist damit zu rechnen, dass eine Menge demonstriert und protestiert wird, wenn Trump, Putin und Erdogan zum G20-Gipfel nach Hamburg kommen.
Das wird Ende nächster Woche der Fall sein, aber schon jetzt häufen sich die Gewaltaufrufe der sogenannten Autonomen, vor allem im Netz. "Ich bin eine wandelnde Zeitbombe, und ich werde explodieren", heißt es da. Der Politologe und Soziologe Hans-Gerd Jaschke von der Hochschule für Wirtschaft und Recht hat sich intensiv mit Extremismus und vor allem auch mit Linksextremismus beschäftigt. Guten Morgen, Herr Jaschke!
Hans-Gerd Jaschke: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wie erleben Sie das in diesem Jahr und im Vorfeld des G20-Gipfels? Haben Gewaltaufrufe zahlenmäßig und auch von der Intensität her zugenommen?
Jaschke: Ich denke, wir haben eine Zunahme der Intensität. Das ist richtig, und das hat wohl auch damit zu tun, dass der Gipfel ausgerechnet in einem urbanen Umfeld stattfindet, das heißt Hamburg. Und wir wissen alle, dass Hamburg immer ein Zentrum auch der Autonomenbewegung gewesen ist seit vielen Jahren schon, und insofern war das sozusagen der Trigger, der Auslöser dafür, dass die Militanz der linksextremen Szene an Intensität zugenommen hat.
Und hinzukommt auch, dass die internationalen Bezüge stark sind. Man darf nicht vergessen, dass das Ganze ja auch eine Art Magnetfunktion ausübt. Das heißt, wir werden ähnlich wie in Frankfurt bei der Eröffnung der EZB viele Menschen haben, viele gewaltbereite Demonstranten aus dem Ausland.

"Die Gewalt von links taucht stets in urbanen Zentren auf"

Welty: Bei dieser Zweigleisigkeit, die Sie beschreiben, was die Motivation angeht, was überwiegt da? Überwiegt da das Motiv, Hamburg als die Hochburg der Autonomen zu verteidigen oder geht es denn tatsächlich um politische Ziele?
Jaschke: Nun, was die politischen Inhalte, die Ziele angeht, muss man in der Tat sagen, wir haben eine fortschreitende Globalisierung. Wir haben aber auch Repräsentanten von Staaten, die sehr stark in die Kritik gekommen sind – Sie haben es erwähnt: Trump, Putin, Erdogan.
Insofern sind die politischen Anlässe in diesem Jahr ganz besonders dringlich, ganz besonders herausfordernd, und hinzukommt – ich denke, man kann es nicht trennen – der Veranstaltungsort Hamburg selber, der meines Erachtens riskant ist, ein großes Risiko darstellt.
Welty: Halten Sie das für einen Fehler, den G20-Gipfel in Hamburg zu veranstalten?
Jaschke: Ich halte das für einen Fehler. Man könnte argumentieren, dass sich die G20 und die Bundesrepublik als Gastgeber nicht einschüchtern lässt und vor sich hertreiben lässt von einer linken gewaltbereiten Szene. Aber wir wissen aus Erfahrung, dass die Gewalt von links stets in urbanen Zentren auftaucht, in Deutschland und anderswo. Und insofern war es von vornherein ein Risiko, und die Frage ist, ob man ein solches Risiko eingehen sollte. Ich persönlich bin der Auffassung, eher nicht.
Der Polizeiexperte Hans-Gerd Jaschke
Der Politologe und Extremismusforscher Hans-Gerd Jaschke© picture alliance / dpa / Arne Meyer

Ankündigungen der Hamburger Polizei zum Vorgehen

Welty: Für Hamburg präsentiert sich die Polizei ja als starke Kraft, wenn man die Bilder vom Wochenende sich noch mal vor Augen führt, mit viel Personal und einer extra eingerichteten Sammelstelle für Festgenommene. Macht diese Show of Force Sinn?
Jaschke: Nun, man muss sagen, eine solche Gefangenensammelstelle ist sozusagen Routine in der polizeilichen Bearbeitung großer Veranstaltungen. Das hat es gegeben zum Beispiel bei der Fußballweltmeisterschaft 2006. Das gibt es bei anderen großen Demonstrationen. Das ist jetzt öffentlich geworden, man redet mehr darüber und empfindet das als Provokation, aber aus der polizeilichen Sicht muss man sagen, dies ist Alltag.
Richtig ist aber auch, dass die Hamburger Polizei bereits im Vorfeld angedeutet hat, sie werde sozusagen das gesamte polizeiliche Besteck, wenn nötig, auspacken. Das sind Ankündigungen, die mir persönlich weniger gefallen, weil sie dem Grundprinzip der Deeskalation zuwiderlaufen.
Welty: Welche Möglichkeiten der juristischen Handhabe gibt es überhaupt im Vorfeld, um eben auch diese Gewaltäußerungen, diese Gewaltaufrufe im Netz zu unterbinden?
Jaschke: Nun, man muss sagen, die Gewaltaufrufe im Netz, zum Beispiel von links unten, "indymedia" zum Beispiel als eine der wesentlichen Websites, aber auch andere, wie zum Beispiel "Welcome to Hell". Da sind bestimmte Äußerungen strafbar, zum Beispiel Anleitungen zum Bau von Zeitzündern, beispielsweise, oder aber auch Aufrufe "G20 angreifen" sind sehr fragwürdig.Nun wissen wir aber alle, dass die Strafverfolgung im Netz außerordentlich schwierig ist und komplex ist.
Die zweite juristische Flanke wären die Demonstrationen selber. Hier muss man aber sagen, dass wir es ja überwiegend – das darf man nicht vergessen – mit friedlichen Demonstranten zu tun haben. Insofern gibt es keinen Anlass für die Verwaltungsgerichte, Veranstaltungen zu verbieten. Die Möglichkeit, dass es Gewalt von links gibt, ist, wie gesagt, eine Möglichkeit einer kleinen Minderheit, obwohl diese kleine Minderheit mittlerweile aus mehreren tausend erwarteten Gewalttätern besteht.

Kritik an zweierlei Umgang mit Gewalt von rechts und Gewalt von links

Welty: Wie bewerten Sie den Umgang der Gesellschaft, den Umgang der Medien mit solchen Äußerungen von links? Ist das ein anderer als der mit Äußerungen von rechts?
Jaschke: Ja, das scheint mir ein anderer zu sein. Gewalt von rechts stößt auf sehr massive, sehr breite politisch und moralische Empörung, hat große Aufmerksamkeitswerte. Gewalt von links wird seit Jahren eher hingenommen, zurückgedrängt.
Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die linke Militanz seit Anfang der 80er-Jahre immer auch eingebunden war in die neuen sozialen Bewegungen. Ein kleiner randständiger Teil war dieser neuen Bewegungen, der Friedensbewegung, der Ökologiebewegung und so weiter. Und insofern war das randständig, am Rande.
Man hat das nicht gutgeheißen, aber konnte es nicht verhindern und ist sozusagen alltäglicher Bestandteil auch gewesen solcher Demonstrationen. U nd dieser Gewöhnungseffekt hat dazu geführt, dass es mehr oder weniger hingenommen wird, was ich nicht richtig finde.
Welty: Würden Sie nächste Woche nach Hamburg fahren freiwillig?
Jaschke: Wenn ich dort leben würde, könnte ich, würde ich mich möglicherweise einer friedlichen Demonstration anschließen.
Welty: Linke Gewaltaufrufe mehren sich im Vorfeld des G20-Gipfels. Darüber habe ich mit dem Politologen Hans-Gerd Jaschke gesprochen, und auch wenn Ihre Einschätzungen nicht gerade beruhigend klingen, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!
Jaschke: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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