Linke Politik

Für eine Radikalisierung der Demokratie

Von Ingo Arend · 14.08.2014
Sie gilt als Vordenkerin der Linken. Die belgische Politologin Chantal Mouffe spricht sich gegen die Konsensorientierung der Eliten aus. In ihrem Sachbuch "Agonismus" spürt man die Lust an der politischen Debatte.
Die Linke neu denken: Seit dem Epochenbruch von 1989 müht sich diese gebeutelte Spezies um eine neue Raison d'être. Zu ihren prominentesten Vordenkerinnen zählt die belgische Politologin Chantal Mouffe. Vehement streitet sie für eine Radikalisierung der Demokratie. Den herrschenden politischen Eliten wirft sie Konsensorientierung vor. Und sie beklagt den "Mangel an Alternativen, die den Bürgern angeboten werden".
Mit Straßenkämpfen und autonomem Furor hat Mouffes Lust am politischen Konflikt freilich nichts zu tun. Denn in ihrem dritten Buch ficht die Politologin in sechs Aufsätzen und einem Interview für jenes Set von Regeln und Institutionen, mit denen sie die Gegensätze, die in jeder denkbaren Gesellschaft immer existieren werden, friedlich austragen will. Ihre "Agonistik" leitet sich vom griechischen "Agon", dem Wettstreit ab. Mouffes, schon in ihrem letzten Buch "Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion" (2007) bis zum Überdruss wiederholtes Credo: Aus Kontrahenten dürfen keine Feinde werden. Man soll sich niemals in Ruhe, aber am Leben lassen.
Auf der Suche nach Räumen des Widerstandes
Kunst ist für Mouffe das ideale Medium für "gegenhegemoniale Interventionen". Denn sie schaffe "Räume des Widerstandes", die das "gesellschaftlich Imaginäre untergraben". Und mache sich an die "Ausarbeitung neuer Welten". Freilich lauert auch in diesem überfälligen Versuch, ein unterschätztes Politikfeld zu erschließen, die Gefahr der Instrumentalisierung. Wenn die Kunst "neue Subjektivitäten" und "Leidenschaften" ausbilden soll, ohne die für Mouffe keine antikapitalistische Anstrengung auskommt, reduziert sie diese auf die Rolle eines Emotionsgenerators.
Handfester aufgelegte Systemüberwinder dürften Mouffes Definition von radikaler Demokratie als "endlosem Prozess" als Schwenk zum Reformismus der Sozialdemokratie werten. Nachhaltig wendet sie sich in "Agonistik" nämlich sowohl gegen radikaldemokratische Blütenträume wie auch gegen die "Empire"-Theoretiker Tonio Negri und Michael Hardt Hardt. Stattdessen plädiert sie dafür, die Politik mit und in den Institutionen mit den außerparlamentarischen Kämpfen zu verbinden wie die neue Linke in Lateinamerika. Der langsame Zerfall der Arabellion wie der Occupy-Bewegung belegt freilich die Berechtigung ihres Plädoyers für diese mühsame Doppelstrategie.
Ein Buch voll spannender Ideen
Mouffes Buch steckt voller spannender Ideen. Etwa, wenn sie Europa als "Demoi-kratie" redefinieren will – eine "föderale Union" unterschiedlicher Staaten und Völker anstelle des homogenen europäischen Demos, der der EU vorschweben mag. Mit welcher politischen Formation sie ihr Projekt durchsetzen will, bleibt aber offen. Und ihr sympathisches Plädoyer für ein nicht vom Westen dominiertes "Pluriversum" bekommt dann eine werterelativistische Schlagseite, wenn sie daraus die Akzeptanz der Pluralität der Auffassungen im Hinblick auf die Menschenrechte ableitet. Wer diese so "umformulieren" möchte, "dass seine Vielzahl an Interpretationen möglich ist", macht sie wirkungslos.

Chantal Mouffe: Agonismus. Die Welt politisch denken
Aus dem Englischen von Richard Barth
Suhrkamp, Berlin 2014
214 Seiten, 16,50 Euro

Mehr zum Thema