Linda Boström Knausgård: "Willkommen in Amerika"

Mit poetischer Zartheit des Tonfalls

Im Vordergrund das Cover von Linda Boström Knausgårds "Willkommen in Amerika", im Hintergrund ein dunkler Wald.
Linda Boström Knausgårds "Willkommen in Amerika" erzählt die Geschichte eines traumatisierten Mädchens. © imago/Westend61/ Schöffling & Co. Verlag
Von Edelgard Abenstein · 08.08.2017
Mit ihrem Roman "Willkommen in Amerika" erweist sich die norwegische Schriftstellerin Linda Boström Knausgård als großartige Erzählerin. Unsere Kritikerin empfiehlt das Buch, dessen Text von der Stärke der Sprache lebt.
Was ins Auge springt, ist natürlich der Nachname der Autorin: Knausgård. Man kennt ihn vom gegenwärtig berühmtesten Norweger, der weltweit ein Millionenpublikum mit seiner megalomanen Autobiografie fesselt. 4200 Seiten Entblößungsprosa, die vor allem seine Ehefrau Linda nicht schont. Ist dieses erste ins Deutsche übersetzte Buch Linda Boström Knausgårds also eine Antwort auf die intimen Enthüllungen ihres Mannes, ein Rosenkrieg mit den Mitteln der Literatur?
Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård sitzt am 02.10.2015 vor einem Hotel in Berlin.
Der Roman ist mehr als eine Antwort auf die Werke ihres geschiedenen Mannes, des populären norwegischen Schriftstellers Karl Ove Knausgård.© picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Nein, "Willkommen in Amerika" bedient kein voyeuristisches Interesse. Es ist das vollkommene Werk einer souveränen Erzählerin, die sich auf die Kraft der Erfindung besinnt. Egal, was an autobiografischen Anteilen in dieses Buch eingegangen sein mag, sie sind so elegant verkleidet, dass jenseits vom Kleinklein des Alltags eine ganz eigene Welt ersteht.

Geschichte des Schweigens

Es ist die Geschichte eines elfjährigen Mädchens, Ellen, das beschlossen hat, nicht mehr zu sprechen. Die Mutter, eine erfolgreiche Schauspielerin, ist schön, begehrenswert und ausgestattet mit dem unbedingten Willen, glücklich zu sein. Den Vater hat sie vom Land in die Stadt gelockt, wo er nicht so recht Fuß fasst. Monatelang liegt er mit Depressionen im Bett, er trinkt, schlägt die Mutter, weshalb Ellen inständig Gott bittet, ihn sterben zu lassen. Der Vater stirbt tatsächlich.
Das Drama dieser Familie sehen wir durch die Augen des kleinen Mädchens. In seinem Schweigen steht es abseits und beobachtet umso genauer. "Wir sind eine helle Familie" - die Mutter spricht diesen Satz wie ein Mantra, während der Vater ein bedrohliches Dunkel verbreitet. Doch so klar in Schwarz und Weiß geschieden, wie es scheint, sind diese Positionen nicht. Sich erinnernd an eine einstmals heile Welt umkreist Ellen beide, die bewunderte Mutter, der sie nie genügen kann, und den verzweifelten, gleichwohl geliebten Vater, an dessen Tod sie sich schuldig fühlt. Deshalb spricht sie nicht mehr, selbst wenn sie weint, gibt sie keinen Laut von sich.

Atmende Sprache

Es ist ein Text, der von der Stärke der Sprache lebt. Knapp, musikalisch, bilderreich: "Nachts bewegten sich die Wände. Sie bogen sich nach außen und innen. Als würden sie atmen." Dass Linda Boström Knausgård als Lyrikerin begonnen hat, hört man auch an den perfekt rhythmisierten Satzfolgen. Behutsam leuchtet sie in die Gefühlswelt einer kleinen, versehrten Seele. Den kindlichen Tonfall balanciert sie, ohne je zu kommentieren, mit poetischer Zartheit aus. Einmal nur bricht Ellen ihr Schweigen, sie schreibt einen einzigen Satz in ihr Tagebuch. Von da an hat sich in ihr alles geändert. Ob sie weiterschreiben wird - sie weiß es nicht. Aber der Nebel hat sich gelichtet, als hätte sie eine neue Freiheit gefunden.
Irgendwo sagt Karl Ove Knausgård über seine unterdessen von ihm geschiedene Ehefrau, sie sei die größere Schriftstellerin. Ob kokett oder ernst gemeint, man mag ihm nicht widersprechen. Und nicht zuletzt deshalb sei dieses hinreißende Buch allen Knausgård-Fans ans Herz gelegt. Den Knausgård-Kritikern sowieso.

Linda Boström Knausgård: "Willkommen in Amerika"
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel
Schöffling & Co, Frankfurt/Main 2017
144 Seiten, 18 Euro

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