Limousinen und jede Menge Fußvolk

Von Jochen Stöckmann · 29.04.2011
Ein gewaltiger kahler Baum ragt empor in einem Trümmerfeld aus weißen Porzellan-Bruchstücken. Die Installation entstand nach Plänen von Ai Weiwei, der Künstler selbst wurde in China eingekerkert. Sein Schicksal prägt die Sicht auf diese Ausstellung in der Galerie Neuger Riemenschneider.
Manch einer sieht im Baumskelett eine Art Mahnmal, den Protest gegen Verwüstungen, angerichtet von aggressiven Staaten. Zugleich aber ist diese Arbeit auch Ausdruck der Gründungsidee des Gallery Weekend: Nicht einfach hastig aufgestellt in der beliebigen Koje einer internationalen Kunstmesse, sondern über Monate vorbereitet für eben diesen Ort, für eine Galerie mitten in Berlin:

"Der Hauptort ist nicht die internationale Messe, sondern die Ausstellung, die wir selber produzieren und zeigen. Und haben dann wirklich nach einem Modell gesucht, dass man die Leute wieder hierher bringt. Und daraus ist das 'Gallery Weekend' entstanden."

Mit einem Erfolg, den die Initiatorin Esther Schipper so nicht erwartet hat: Vor ihren neuen Galerieräumen mit einer Ausstellung des Mexikaners Gabriel Kuri kommt es zu einer regelrechten Völkerwanderung, das Publikum flaniert auf beiden Seiten der Potsdamer Straße. Dort, in der einstigen Rotationshalle des "Tagesspiegel", hat pünktlich zum Gallery Weekend die Kunstzeitschrift "frieze" ihre deutsche Ausgabe vorgestellt. Chefredakteurin Jennifer Allen:

"Also allein in Berlin gibt es inzwischen 300, 400 Gegenwarts-Galerien. Und es ist insofern schwierig für einen Einzelnen, auch für mich, den ganzen Überblick zu haben."

Aber da bietet das Gallery Weekend Orientierungshilfe mit seiner Auswahl von aktuell 44 beteiligten Galerien. Der Flyer mit Stadtplan dient als "guide" für diesen Schnelldurchlauf. Klaus Wowereit macht es sich noch einfacher: Eine Pressemitteilung listet Foto-Termine für acht Galerienbesuche auf, die der Regierende Bürgermeister in knapp drei Stunden absolviert. Darunter die Ausstellung von Postkarten-Skulpturen des britischen Pop-Duos Gilbert und George in der Galerie von Matthias Arndt:

"Für mich sind wichtig: Sammler, Museumskuratoren. Das Kunstgeschäft ist nur so gut wie die Zahl der Sammler und der professionellen Besucher die hierher zusätzlich kommen."

Arndt ist seit 18 Jahren im Geschäft - erfolgreich, wie er sagt. Für andere war es nicht so leicht, die 6500 Euro für eine Beteiligung am Gallery Weekend aufzubringen.

"Fragen Sie einen jungen Galeristen für Gegenwartskunst: Dessen Aufgabe ist es, den Künstler zu motivieren, zu betreuen und seine Arbeit früh und günstig an die entscheidenden Orte zu verkaufen. Aber kommerziell hat er die schlechteren Karten. Das Geld verdienen die Händler - und auch die Sammler, von denen ja viele zu Investoren und Händlern werden."

Und dabei lassen sich die Herren in den schwarzen Shuttle-Limousinen ungern in die Karten gucken. Deshalb halten wir uns an das Offensichtliche, an die Künstlernamen: Boris Michailov, der russische Fotograf, präsentiert seine ruppigen Straßenszenen bei Barbara Weiss. Der Installationskünstler John Bock will unter dem Titel "Ohr-Walachei" in der Galerie Klosterfelde "die Räume sprechen lassen". Mit den Namen verbinden sich "Positionen" - und die sind entscheidend, nicht nur für Esther Schipper:

"Ich glaube, es gibt unterschiedliche Beweggründe, um Galerien zu betreiben. Ob man jetzt sagt, man muss diese Jahr ein Umsatzziel von soundso viel mit dem Gallery Weekend geschafft haben oder ich mache eine fantastische Vermittlungsarbeit mit dem Künstler. Das hängt auch davon ab, welche Position man gerade ausstellt."

Ai Weiweis regimekritische Position war bekannt, ist mit den aktuellen Ereignissen endgültig zu einer politischer Demonstration geraten. Deshalb aber kann man all die anderen Ausstellungen nicht als reine Kunstmarkt-Aktion, als Kommerz abtun. Denn in Berlin gerät bereits die Suche nach neuen Galerieräumen zum Politikum, ist Teil der Stadtentwicklung:

"Sollte man dann doch im gleichen Kiez bleiben, in welche Richtung, was sagt welcher Ort über sich aus? Diese Ecke Berlins, sehr wenig fertig entwickelt, wenn man das so sagen kann, öffnet noch sehr viel Raum für Gestaltung oder für eine Fantasie, wie es werden könnte."

Aus diesem Grund also zog es Esther Schipper wie so viele ihrer Kollegen in die Nähe der Potsdamer Straße. Dorthin, wo Giti Nourbakhsch - in diesem Jahr erstmals nicht mehr am Gallery Weekend beteiligt - seit langem schon arbeitet:

"Als ich her zog war hier ja niemand und jetzt ist hier ein Galerien-Cluster. Das war eigentlich überfällig, weil es so zentral liegt - und es hat eine ganz andere Atmosphäre als in Mitte."

Mittlerweile riecht es hier nach Erfolg, wie damals in Mitte, in der Auguststraße. Deshalb eröffnet jetzt Blain and Southern eine Dependance, geleitet von Lisa Bosse:

"Sehr spannend ist, dass man hier in einem Hinterhof plötzlich so ein Riesengebäude hat. Diese Überraschung, dass es hier nicht nur viele Freiflächen gibt - Grünflächen oder Brachen - sondern wirklich diese industriellen Gebäude, die vom Raum her wahnsinnig tolle Möglichkeiten bieten."

In der ehemaligen Rotationshalle des "Tagesspiegel" haben Architekten eine gigantische Installation errichtet, eine Pyramide mit labyrinthischen Gängen, in deren Innern eine vergleichsweise winzige Skulptur des Künstlerpaares Sue Webster und Tim Noblen aufgestellt ist. Davor drängen sich die Besucher - aber wer kauft so etwas?

"Was erwarten Blain und Southern in Berlin? Also nicht dass sie dieses Werk, was sie jetzt hier machen, nach Berlin verkaufen, sondern sie leisten sich hier einen Spielbetrieb, einen guten Spielbetrieb mit ganz spannenden Künstlern, verdienen aber ihr Geld im internationalen Kunsthandel."

So die Erklärung von Matthias Arndt, der seine Galerie auf der gegenüberliegenden Seite der Potsdamer Straße zum Ende des Jahres aufgeben und nur noch eine "Plattform" für Kunstvermittlung betreiben wird. Das könnte, in Zeiten des Internets, hektisch werden. Giti Nourbakhsch dagegen hält an ihrem Ort im Windschatten des Gallery Weekend fest, setzt auf die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Künstlern, die sie seit Jahren betreut:

"Das ist vielleicht ein Entwicklungsprozess oder ein Erkenntnisprozess: Die Zeit zu haben einen schönen Text zu schreiben, die Zeit zu haben etwas in Ruhe zu entwickeln. Weil der reine Handel, also nur der Handel am Schreibtisch ist ja dann auch nicht das einzige, was einen befriedigt."