Liebevolles Porträt eines Vaters

16.06.2009
Der kolumbianische Autor Héctor Abad gedenkt in "Brief an einen Schatten" seines 1987 ermordeten Vaters. Er erinnert an einen politischen Menschen und engagierten Wissenschaftler, dem stets seine ganze Bewunderung galt. Er erzählt auch von einer Kindheit in einer von Gewalt geprägten Stadt.
Medellín, die kolumbianische Großstadt in den Bergen, ist vor allem im Zusammenhang mit exzessiver Gewalt zu fragwürdigem internationalen Ruhm gelangt. Das lag nicht nur an den Verteilungskämpfen der Drogenkartelle, sondern auch an der politischen Gewalt, die Kolumbien seit mehr als 100 Jahren schubweise überrollt. Die Drogenmafia hat sich umorganisiert und der jetzige Präsident Kolumbiens scheint den schmutzigen Krieg gegen die Guerilla zu gewinnen. Medellín ist friedlicher geworden.

Héctor Abad lebt in Medellín, er ist dort aufgewachsen, und sein Vater wurde dort ermordet. Das war im August 1987; es war ein angekündigter Tod. Der Sohn fand in den Taschen des Toten den Ausdruck einer Todesliste, auf der der Name Abad stand. Außerdem ein Gedicht
von Jorge Luis Borges mit dem Titel "Grabinschrift".

Héctor Abad, der Vater, war Sozialmediziner, pensionierter Professor, ein liberaler Linker, der bei den Kommunalwahlen für die oppositionelle Union Patriotica kandidierte. Abad wurde auf offener Straße vor Zeugen und aus nächster Nähe von zwei Männern erschossen. Sie wurden nie gefunden.

Sein Sohn zeichnet in diesem Buch ein liebevolles Porträt seines Vaters, das ihn als Familienmensch und engagierten Wissenschaftler, als aufgeklärten Bildungsbürger und Idealisten zeigt. Und man merkt dem Text an, wie stark die Gefühle des Sohnes für den Vater heute noch sind, die Bewunderung, der Stolz – und auch der Schmerz um ihn.

Gleichzeitig beschreibt Abad der Jüngere sehr anschaulich die scharfen Bruchlinien, die durch die kolumbianische Gesellschaft verlaufen: zwischen arm und reich, dunkel- und hellhäutig, klerikal und liberal, zwischen rechts und links. Das liest sich bei ihm nicht so fantastisch-exotisch wie bei García Márquez, sondern eher faktisch, manchmal fast dokumentarisch. Dennoch geht die sehr subjektive Sichtweise nie verloren: In die Geschichte des Vaters ist die des Sohnes hineingewoben; miterzählt werden dessen Kindheitserinnerungen an Klosterschule und Ferien, an die Lehren des Vaters, an die ersten Reisen – und, obwohl es nie gesagt wird - die Schwierigkeit, neben einem solchen Vater selbst erwachsen und autonom zu werden.

Abads Brief an seinen toten Vater ist ein berührendes, vielschichtiges und dazu sehr politisches Buch, das man durchaus auch als Lehrbuch über Lateinamerika lesen kann.

Besprochen von Katharina Döbler

Héctor Abad: Brief an einen Schatten
Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg
Berenberg Verlag, Berlin 2009
200 Seiten, 24,00 Euro
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