Liebesgeschichte vor Gemälde

09.12.2008
Die Museumswelt hält für die Menschen, die sie betreten, reichlich Überraschungen bereit. Sie schult, wie Thomas Mann bei einem Gang durchs Museum seinen Felix Krull sagen lässt, den "Sinn für die Formen und Charaktere des Lebens". Und: Museen sind ein Ort, "an dem man sich verändern kann". Das jedenfalls legt der Schweizer Schriftsteller und Maler Silvio Blatter in seinem neuen Roman nahe.
Im Zentrum steht eines der berühmtesten Bilder der Berliner Gemäldegalerie, Pieter Bruegels Meisterwerk "Zwei Affen", auf dem in allegorischer Weise geschildert wird, wie der Mensch an seine tierhafte Natur gekettet ist, solange er sich als Christenmensch nicht selbst befreit.

Was für das 16. Jahrhundert galt, als das Bild entstand, muss heute nicht mehr unbedingt so interpretiert werden. Dass man es ganz anders auslegen und gewissermaßen zu seinem eigenen machen kann, zeigen Martin Holm, ein Spezialist für Schließanlagen aus Amsterdam, und Lore Spescha, Malerin aus Zürich, als sie 1976 zufällig vor diesem Bruegel in der Gemäldegalerie aufeinander treffen. Er ist nach Berlin gereist, um sich seiner Vergangenheit zu vergewissern, sie fertigt vor dem Original eine Kopie an, um es dabei wie ein Orakel nach ihrer Zukunft zu befragen.

Die Begegnung mündet in eine spannungsvolle Liebesgeschichte und - in einen aberwitzigen Kunstraub. Denn beide können von dem Affen-Bild nicht lassen, jeder interpretiert und nutzt es für sich auf eigene Weise. In beider Kindheit hat es nämlich eine lebensbestimmende Rolle gespielt. Er hielt es 1945 in einem Thüringer Bergwerksstollen schon einmal in Händen, wohin es mit dem gesamten Berliner Museumsbestand ausgelagert war. Ihm rettete das Bild das Leben. Ihr verschaffte es beim ersten Abzeichnen die Erkenntnis, dass sie nur durch die Malerei den Dingen und letztlich auch den Menschen nahe käme.

Erzählt wird über vier Etappen, abwechselnd aus ihrer und seiner Sicht. 1976, 1989 und 2006 führt sie das Objekt ihrer Begierde an verschiedenen Schauplätzen zusammen, in Amsterdam, Zürich, Edinburgh und wiederholt in Berlin - aneinandergefesselt wie die Protagonisten auf dem Gemälde. In das Liebesdrama, das immer wieder überraschende Wendungen nimmt, flicht Blatter gekonnt Passagen ein über malerisches Handwerk, Farben, Pinsel, Grundierungen, die nicht nur technisches Dekor sind. Auf diese Weise gewinnt sein visuelles Sujet an Körperlichkeit, an sinnlicher Plastizität. Man sieht Bruegels Tableau förmlich vor sich neu entstehen. Nur manchmal schießt er übers Ziel hinaus, wenn er zu dick aufträgt, wenn er allzu redselig die Dinge nicht nur beim Namen nennt, sondern sie in immer wieder neuen Anläufen ein- und umkreist.

Dennoch ist sein Roman ein gelungenes Spiel, nicht nur über Original und Fälschung, sonder auch ein Exempel dafür, wie Bilder, ganz anders als die Literatur, zum Medium der Selbsterkenntnis werden können. Und darüber hinaus zeigt er auf vertrackte Weise, wie man dazu kommt, gerade das zu lieben, was man nicht haben kann. Aber, so die untergründig-ironische Botschaft, vielleicht liebt man es gerade deshalb.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Silvio Blatter: Zwei Affen
DuMont Verlag, Köln 2008
352 Seiten, 19,90 EUR