Liebesexperimente bei Hofe

22.11.2006
Der Adelige Edward de Vere (1550 bis 1604) verfasste Gedichte, Dramen und Erzählungen, die er unter Pseudonymen, teilweise auch anonym veröffentlichte. Anders war es für den 17. Earl von Oxford nicht möglich, schon zu Lebzeiten seine Werke unter die Leute zu bringen. Seine "Aventiuren" zumal galten als anrüchiges, laszives Werk, schilderten sie doch unverhohlen die in höfischen Kreisen herrschende Promiskuität.
Edward de Vere, der 1550 geboren wurde und 1604 starb, war ein gebildeter Adliger mit Hang zum Künstlerischen. In seinen Mußestunden verfasste er Gedichte, Dramen und Erzählungen, die er unter wechselnden Pseudonymen, teilweise auch anonym veröffentlichte. Anders war es für den 17. Earl von Oxford als einem Mitglied der Hocharistokratie nicht möglich, schon zu Lebzeiten seine Werke unter die Leute zu bringen. Seine "Aventiuren" zumal galten als anrüchiges, laszives Werk, schilderten sie doch unverhohlen die in höfischen Kreisen herrschende Promiskuität - und eine sehr ungewöhnliche Liebesauffassung.

Fortunatus Infoelix, der titelgebende "Fortunatus im Unglück", kurz F.I. genannt, ein galanter Ritter des 16. Jahrhunderts, weilt zu Gast auf einem Schloss im Norden Englands und verliebt sich in die Schwiegertochter des Hausherrn. Er beschließt, die Dame zu erobern, und zwar mit den Mitteln, die seit den provencalischen Troubadouren immer schon den größten Erfolg versprachen: mit lyrischen Huldigungen, mit Poesie. So darf er sich zwar Hoffnungen machen, doch die Dame reizt ihren Belagerer, indem sie sich immer wieder entzieht.

Beim Spaziergang, auf dem abendlichen Ball, während einer nächtlichen Zusammenkunft: Lady Elynor erweist sich nach und nach als schwungvolle Mitspielerin, die in schönem Wechsel mal die kalte Schulter zeigt, mal wie aus Versehen dem Werbenden erliegt. Auch ihr ist es gegeben, in wohlgesetzten Versen ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Als eine zweite Dame den "unglücklich Glücklichen" zu gewinnen versucht, nimmt die Geschichte den Charakter eines "Experiments" an. Handelt sie in eigenem Interesse oder als Erfüllungsgehilfin der Angebeteten? Ist der Held tatsächlich so ahnungslos, wie er sich gibt? Nichts ist, was es scheint, nichts scheint, was es ist.

Die Liebe versteht sich als eine Form des Kampfes, sie vollzieht sich zwischen Annäherung und Widerstand, Hoffnung und Verführung, Eifersucht - und erneuter Eroberung. Offenbar ganz unerschrocken wird vom Experiment der Liebe gesprochen, die nicht allein die Enttäuschung, sondern das Getäuschtwerdenwollen der Liebenden zum Thema macht.

Das ist das eigentlich Moderne an dieser Erzählung aus dem 16. Jahrhundert, die durchaus an die Stücke von Pierre de Marivaux erinnert, dem "Anatom des Herzens". Dort allerdings werden die Seelen der Liebenden mit einer Subtilität ergründet, die man bei dem englischen Autor vergebens sucht. Dafür stattet der seine Geschichte mit einer ungewöhnlichen Erzählperspektive aus, die seiner prekären Versuchsanordnung eine gelegentlich komische Note verleiht, wenn er dem Liebeswerben von Fortunatus immer wieder kommentierend ins Wort fällt oder Gemütszustände, wie die Hoffnung etwa, als handelnde Person mit auftreten lässt.

Der Germanist Kurt Kreiler, der diese Erzählung entdeckt, mit Gedichten von Edward de Vere kombiniert und den gesamten Band mit einem gelehrten und instruktiven Nachwort ausgestattet hat, mag sich darin versteigen, wenn er den 17. Earl von Oxford für denjenigen hält, der sich eigentlich hinter dem Namen William Shakespeare verbirgt. Dazu mangelt es dem Fortunatus nicht nur an stilistischer Brillanz. Aber gelohnt hat sich seine Ausgrabung allemal.

Rezensiert von Edelgard Abenstein


Edward de Vere, Earl of Oxford: Fortunatus im Unglück. Die Aventiuren des Master F. I.
Aus dem Englischen von Chris Hirte. Nachdichtungen und Nachwort Kurt Kreiler.
Insel-Verlag, Frankfurt am Main 2006. 259 Seiten, 19,80 Euro