Liebeserklärung an den Vater

25.06.2008
Der neue Roman von Maarten 't Hart spielt im Holland der Nachkriegszeit. Wie der reale Vater des Autors so ist in "Der Flieger" auch der Vater des Erzählers ein Totengräber. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein theologischer Streit um die Vergebung von Sünden. Für alle Freunde des niederländischen Schriftstellers ist das Buch ein Muss.
Lange hat es gedauert, genau zehn Jahre, bis Maarten 't Harts Roman "Der Flieger" nun endlich auch auf Deutsch herauskommt. Verstehen kann man das kaum, denn es besitzt alle Ingredienzien, die zum einen ganz grundsätzlich ein gutes Buch auszeichnen und die zum anderen einen typischen Maarten 't Hart.

Dem Roman hat die Wartezeit nicht geschadet. Das zeigt überdeutlich, dass der Schriftsteller keine Moderomane schreibt, keinem Trend folgt, sondern wie immer seinen ganz eigenen Leidenschaften. Dazu gehört zweifelsohne sein Verhältnis zur Religion.

Aufgewachsen in einem calvinistischen Elternhaus hat der Schriftsteller die Bibel offenkundig so oft bis in die letzten Psalmen durchforstet, dass die Kenntnisse seiner Protagonisten in "Der Flieger" wirklich beeindruckend sind. Immerhin steht im Mittelpunkt der Geschichte ein heftiger theologischer Streit. Dabei geht es um die Vergebung der Sünden.

Wir befinden uns in Holland irgendwann in der Nachkriegszeit. Der Vater des Erzählers ist Totengräber, d.h. er selbst nennt sich lieber Grabmacher. Sein nicht zuletzt auf sein Betreiben neu eingestellter Kollege Ginus, wie er selbst ein Mitglied der orthodox-reformierten Gemeinde, ist zu der Überzeugung gekommen, dass es in der gesamten Bibel keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass Jesus sein Blut am Kreuz vergossen hat, um uns unsere Sünden abzunehmen. Das geht laut Bibel auch ganz ohne Blutvergießen, denn Gott vergibt uns, wenn wir zuvor anderen ihre Sünden vergeben haben. Erst vergeben wir, dann vergibt uns Gott. Die Pastoren sind empört. Ein wilder Austausch von Bibelzitaten beginnt.

Mit wachsendem Staunen liest man, wie unterschiedlich sich die Bibel auslegen lässt und eher amüsiert schüttelt man den Kopf ob der Verbiesterung, mit der da gestritten wird, als wenn es um das Leben ginge. Der religiöse Dogmatismus und Fanatismus seiner Jugend, der Maarten 't Hart dazu gebracht hat, Atheist zu werden, war ihm schon immer ein Dorn im Schriftsteller-Auge. Wiederholt hat er sich in seinen Romanen kritisch-spöttisch damit auseinandergesetzt. Sie sind damit - und "Der Flieger" ist da keine Ausnahme - prinzipielle Abrechnungen mit Dogmengläubigkeit jeglicher Form und ihren sozialen Folgen. Wer sich nicht unterordnet und widerruft wird, wie hier der Totengräber Ginus, sozial geächtet.

Der Roman ist aus der Sicht eines Heranwachsenden geschrieben, der die bisweilen absonderliche Welt der Erwachsenen mit großen Augen schildert. Zu seinem Leidwesen verliebt er sich in die unnahbare Tochter des Kollegen seines Vaters, zu ihrer Zeit eine Rebellin wider die Konventionen.

Vor allem aber ist der Roman eine Liebeserklärung an Maarten 't Harts Vater, der ebenfalls Totengräber war und dem er bereits in seinen 20 Jahre früher erschienenen Erinnerungen "Gott fährt Fahrrad" ein Denkmal gesetzt hat. Diesmal baut er mit seinem Sohn einen Drachen, eben den Flieger, der zwar nicht oft aufsteigt, aber die Ereignisse letztlich ins Rollen bringt. Der Buchvater ist ein Mann, der gerne Geschichten erzählt und über einen trockenen Humor verfügt. So findet er zum Beispiel einäschern schöner als vergraben, weil man dann noch einen warmen Tag vor sich hat. Sein bzw. des Schriftstellers guter Blick für Skurrilitäten erheitert immer wieder.

Was das Buch zudem auszeichnet, ist die Liebe Maarten 't Harts zur holländischen Landschaft. Seine Beschreibungen des Himmels und der Grachten, des Strandes und der Wolken, insbesondere der Vogelwelt wecken die Sehnsucht, neben dem Erzähler zu stehen, um die Schönheit der Natur mitzugenießen.

Für alle Freunde Maarten 't Harts ist der Roman ein Muss, für alle, die ihn noch nicht kennen, ein wunderschöner Einstieg. Ein freundlicher, ein heiter-melancholischer Rückblick mit einem spöttisch-frechen Epilog.

Rezensiert von Johannes Kaiser

Maarten 't Hart: "Der Flieger"
aus dem Niederländischen Gregor Seferens,
Piper Verlag München 2008, 320 Seiten, 12 €