Liebe in der Sicherheitszone

17.03.2009
Anette arbeitet beim Sicherheitspersonal auf dem Frankfurter Flughafen. Tagein, tagaus besteht ihr Tag aus der Abfolge von Koffer öffnen, Scannen, Durchsuchen, Abtasten. Nach zehn Jahren trifft sie ihre große Liebe Simon wieder, der sie abermals verrät. Annegret Helds "Fliegende Koffer" ist eine Parabel auf die Gefährdung des Menschen vor allen latenten Gefahren durch Misstrauen.
Annegret Helds neuer Roman "Fliegende Koffer" behandelt zentrale Themen unserer paranoischen Gesellschaft: die Angst, dargestellt durch Annette, eine Angestellte in der Flugsicherheit, zuständig für das "Sonden" der Passagiere. Die Liebe und ihr Verlust, dargestellt durch Annette und ihren nach zehn Jahren zufällig wiedergetroffenen Freund Simon. Simon ist mittlerweile hoher Beamter der Bundespolizei. Die Überforderung: emotional und rational, dargestellt von Simon. Die drei Schauplätze des Romans: ein internationaler Flughafen (Frankfurt am Main), Annettes kleine Wohnung und Simons neues Eigenheim.

Der Job der 45-jährigen Ich-Erzählerin ist es, Fluggäste nach Waffen und anderen unerlaubten Gegenständen abzutasten, Flüssigkeiten aus den Gepäckstücken zu fischen, tausendmal am Tag "Arme heben" und "Bitte mal umdrehen" zu sagen, mit der Sonde in der Hand in die Knie zu gehen, um Schritt, Beine und Schuhe abzutasten.

Zu Beginn des Romans schaut Annette auf sich selbst und ihre Arbeit und erschaudert angesichts ihres jämmerlichen Daseins. Zwischendurch liest sie sich von A bis Z durch Reclams Weltliteratur, weil die gelben Bände in die Taschen der blauen Uniform passen, trinkt literweise Kaffee und unterhält sich in der Kantine mit den Kollegen, die aus unterschiedlichsten Berufen in die Sicherheitszone des Flughafens samt Kontrolltor, Kofferwannen und Abtastsonde gespült worden sind. Annette ist im Team ein prima Kumpel, herzlich und hilfsbereit, schlagfertig und witzig.
Annegret Held benutzt den Schauplatz Flughafen und die Tätigkeit der "Luftsicherheitsassistentin" für unaufdringlich ethnologische Recherchen. Reisende aus aller Welt unterscheiden sich durch Kleidung, Haltung, Gerüche, Idiosynkrasien, Temperament. Eine verschleierte Frau zu "sonden" ist ungleich komplizierter als einen Teenager in Jeans, eine Schwangere zu untersuchen schwieriger als eine Anorektikerin.

An ihrem nach dem 11. September 2001 emotional aufgeladenen Arbeitsplatz trifft Annette nach zehn Jahren Simon wieder. Simon, die große Liebe ihres Lebens. Die Wiederbelebung einer Liebe ist zwischen den Stunden an den Kontrollbereichen mit immer wieder neuen (aber niemals langweiligen) Einblicken in Taschen, Koffer, BH-Verschlüsse und Schuheinlagen, heillos komisch und voller Missverständnisse und Missgeschicke.

Simon haben die vergangenen Jahre als Ehemann, Vater, Eigenheimbauer und diensteifriger Polizist überfordert, der langhaarige Gitarrenspieler von einst ist zu einem regelbesessenen, gefühlsunfähigen "Trumm" mutiert. Annette zögert, statt des wiedergefundenen Liebesglücks den Psychotiker zu erkennen.

Die mit Hoffnung besetzten Rendezvous müssen grotesk misslingen. Annette, ausgestattet mit Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit, wird von Simon observiert. Ihm hat sie es zu "verdanken", dass sie ihren Job auf Zeit verliert, denn er lockt sie in eine Falle, indem er die Schwangere mit dem unter dem Arm angeklebten Wurfstern, einem sechszackigen Tötungsinstrument, als "Realtest"-Person durch das Tor schickt. "Du Arschloch, du Schwein", sagt Annette lautlos, Simon zuckt die Schultern.

Mit Ernst aber auch mit Komik reagiert Annegret Held in all ihren Büchern auf die Ranküne des Daseins. "Fliegende Koffer" ist nicht nur die Beschreibung eines prekären Arbeitsplatzes im Bauch eines Flughafens, es gelingt mit dieser leichten, manchmal umgangsprachlichen, mit vielen Dialogen durchsetzten Prosa der Blick auf einen Mann, der alles richtig machen möchte und alles falsch gemacht hat. Seine Frau hat ihn verlassen, die Wände seines leeren Eigenheims kommen ihm entgegen, seine wiedergefundene Freundin verrät er.

"Fliegende Koffer" ist eine Parabel auf die Gefährdung des Menschen vor allen latenten Gefahren durch Misstrauen. Annegret Held teilt ihren dramatischen Stoff in erzählerisch leichte Portionen, ist im Milieu zuhause, trumpft nicht auf, steckt ihre Klugheit nicht in aufgedrehte Sätze, bleibt mit ihrer Ich-Erzählerin immer soweit außerhalb des Geschehens, dass sie merkt, was passiert. Ein gelungener, leichter und tragischer Roman aus der Dienstleistungswelt, über die physischen und psychischen Gefahren unserer Zeit.

Rezensiert von Verena Auffermann

Annegret Held: Fliegende Koffer
Eichborn Verlag, Frankfurt 2009
295 Seiten. 19,95 Euro