Liebe im Supermarkt

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 29.09.2009
Ein Film aus Uruguay, "Gigante", war der große Überraschungserfolg auf der diesjährigen Berlinale. Das Spielfilmdebüt des gebürtigen Argentiniers Adrián Biniez erzählt von der Liebe eines übergewichtigen Wachmanns zu einer Kassiererin im Supermarkt. Nun kommt der Film in die Kinos.
Ein junges Paar sitzt am Strand. Hier in Montevideo kommt die Liebesgeschichte von Julia und Jara zu einem glücklichen Abschluss:

"Ich wusste am Anfang nur, dass es ein Wachmann in einem Supermarkt sein sollte und ich wusste, dass sich dieser Wachmann in eine Putzfrau verliebt. Das war alles. Dann dachte ich: Na gut, wenn er im Supermarkt arbeitet, wird er alles über seine versteckten Kameras beobachten und das hat auch die Erzählform des Films geprägt und dann kam natürlich die ganze Ethik der neuen Technologien, die heimliche Überwachung und die versteckten Kameras mit ins Spiel."

Regisseur Adrián Biniez ist ein schlaksiger junger Bartträger, der viel lacht und dessen Augen mitunter spöttisch aufblitzen. Gigante, sein erster Film, spielt in Montevideo in Uruguay. In einem der großen Supermärkte, wie es sie überall auf der Welt gibt. Hinter den Überwachungskameras sitzt der übergewichtige Wachmann Jara und beobachtet eine junge Putzfrau. Ist er ein Psychopath, ein Stalker?

"Als ich den Produzenten das Drehbuch zum ersten Mal zeigte, dachten sie, es würde ein ganz kalter und trockener Film werden. Aber ich sagte ihnen: Nein, genau das will ich nicht. Ich will es menschlicher, leichter, sagte ich. Klar es hätte auch ein ganz anderer Film werden können, er hätte ihr ja auch am Ende den Hals durchschneiden können."

Gegen die kühle distanzierte Sachlichkeit des "neuen argentinischen Films", des "nuevo cine argentino", setzt Adrián Biniez sensibel auf das menschliche Gefühl. Geboren wurde er im Sommer 1974 in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Schon als Zehnjähriger hat Adrián Biniez ein Ziel klar vor Augen:

"Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als ich mir zum ersten Mal sagte: Ich möchte Regisseur werden. Da lief im staatlichen argentinischen Fernsehen ein Spielfilm, wie ein Regisseur arbeitet. Das war ein Montag im Jahre 1984. Aber danach hatte ich eigentlich kein Glück in diese Richtung, ich hatte auch keine Filmschule besucht und ich dachte nur, ich werde niemals Filme machen."

2003 spielte er eine Nebenrolle als Karaoke-Musiker an der Heimorgel in "Whisky", einem kleinen, aber sehr erfolgreichen Film aus Uruguay. Im selben Jahr zog er nach Montevideo und begann als Drehbuchautor auch für erfolgreiche Fernsehserien wie "El Fin del Mundo" (Das Ende der Welt) zu arbeiten. 2005 drehte er seinen ersten Kurzfilm, "8 Hours", und gewann damit die Hauptpreise auf Festivals in Buenos Aires und in Montevideo.

Kino hat ihn schon immer begeistert, auf eine bestimmte Richtung wollte er sich nie festlegen:

"Ich bin ein Filmfan und mir gefallen viele verschiedene Richtungen, angefangen beim Stummfilm, über den klassischen Hollywoodfilm und die Nouvelle Vague bis hin zum aktuellen Kino. Es gibt sehr viele Regisseure, die mir gefallen, und einige haben mich bewusst und andere unbewusst beeinflusst. Tatsächlich habe ich viele Vorbilder."

Vorbilder, denen er nacheifern wollte – nicht unbedingt zur Freude seiner Eltern.

"Sie haben mir immer gesagt: Junge, in dem Beruf wirst du Hungers sterben. Aber mach was du willst. Nein, ganz im Ernst meine Eltern haben mich von Anfang an unterstützt, immer, auch wenn es gar nicht gut lief, das war unglaublich."

Sicherlich hat dieses familiäre Grundgefühl auch seine Art Filme zu machen geprägt. Adrián Biniez ist kein cineastischer Einzelkämpfer, kein Exzentriker, er arbeitet im Team und verbindet das Private mit dem Kreativen. Mit Freunden hat er den Film produziert, und dessen Grundthemen wurden von seinen familiären Wurzeln beeinflusst:

"Für mich war klar, dass ich einen Film über einfache Leute machen wollte. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und konnte mich von Anfang an gut in meine Figuren hineinversetzen. Auf der anderen Seite ist diese Wirtschaftskrise, von der der Film handelt, in unseren Ländern einfach Alltag, diese ständige wirtschaftliche Unsicherheit und die Angst um den Arbeitsplatz."

"Gigante" ist zwar eine anrührende und skurrile Geschichte, aber gleichzeitig auch Kritik an einer völlig entfremdeten Konsumwelt im Zeichen der Globalisierung. Die Stärke des jungen lateinamerikanischen Films liegt in diesen kleinen, sehr persönlichen, oft zurückhaltend erzählten Geschichten:

"Ich mag es, dass mein Film überall auf der Welt verstanden wird, ohne dass er deswegen seine Identität aufgibt. Es ist eine Geschichte aus Uruguay, eine Geschichte vom Rio de la Plata, aber sie wird auch woanders verstanden. Es ist ein optimistischer Film, der aber immer auch wieder die Schattenseiten zeigt, wie Arbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit."

"Gigante" ist ganz eng mit dem Lebensgefühl der kleinen Leute in Montevideo verknüpft. Könnte sich Adrián Biniez auch vorstellen, ganz woanders etwa in Berlin zu filmen?

"Was für eine schwierige Frage. Ja, warum nicht? Das hängt von der Geschichte ab. Ich hätte Angst davor, dass ich den richtigen Ton nicht treffe. Alles hängt doch davon ab, dass wir die Sprache der Menschen verstehen und auch sprechen. Wenn ich die Sprache nicht spreche, kann ich mich nur schwer entfalten, es müsste wohl ein Stummfilm werden."
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