Liebe auf dem Lande

16.03.2009
In Joachims Walthers Wende-Roman "Himmelsbrück" spielen Politik und Stasi nur eine untergeordnete Rolle. Im Mittelpunkt des Geschehens stehen die Beziehung zwischen Matti und Ria und die subversive Kraft der Liebe.
Am Ende des Romans wird die Frau bei einem tragischen Verkehrsunfall sterben und der Mann in die Flammen des kurz darauf niederbrennenden, in besseren Tagen einst so liebevoll restaurierten Landhäuschens hineinlaufen. Oder stellt er sich das vor den rauchenden Trümmern nur vor, Selbsttötung als eine Option, nachdem einem das Wichtigste genommen wurde? Frühjahr 1990, und das nahe Ende der DDR nichts als ein Fliegenschiss angesichts des Verlustes einer Lebensliebe.

Beinahe 20 Jahre lang hatte der Schriftsteller Joachim Walther - Verfasser eines hoch gelobten Standartwerks über Staatssicherheit und Literatur - keine Belletristik mehr geschrieben, jetzt erscheint sein Roman "Himmelsbrück". Der gleichnamige (wenn auch fiktive) Ort liegt mit seinen Brombeerhecken, Busardhorsten und Einzelgehöften nahe des Städtchens Parchim, und die Protagonisten heißen Matti und Ria, spielerische Verkürzungen der Vornamen Matthias und Marianne. Gewollt spielerisch aus Verzweiflung über die gesellschaftliche Ödnis um sie herum? Das Buch erzählt mit Inbrunst eine (Liebes-)Geschichte, ohne allerdings all ihre Aspekte historisch zu sezieren. Sein Autor erliegt deshalb auch in keiner Zeile der Versuchung, Rias späteren Tod etwa der verhassten DDR anzulasten. Denn die Beziehung der frei schwebenden, träumerischen Frau mit dem etwas älteren und pragmatischer veranlagten Matti – sie hatte sich schon vorher als gefährdet erwiesen. Trotz ihrer Liebe auf dem Lande, lustvoll zelebrierter Feste der Sinne und kreativer Symbiose. Ria nämlich schreibt die ganze Zeit Sehnsuchtsbriefe an eine mehr als nur schwesterlich geliebte Freundin in Ostberlin, späterhin taucht auch einer ihrer früheren Liebhaber auf.

Wenn hier etwas auf den westlichen Leser exotisch wirken könnte, dann dies: Dieser nach Unbedingtheit und "wahrem Leben" geradezu schreiende, poetische Briefton, dessen Verfasserin doch immerhin zwei Jahrhunderte nach Bettina von Arnim und der Günderode lebt, in einer Welt, wo Trabis und Traktoren längst die Pferdefuhrwerke und Droschken abgelöst haben. Und nicht nur das. "Viele der Wälder militärische Sperrgebiete, darin Panzer und Raketen. Die Leute im Dorf sagten: Heb einen Stein im Wald auf, unter jedem liegt ein Russe mit der Kalaschnikow. 20 Kilometer entfernt die Garnison Parchim, Kampfhubschrauber, und kaum ein Tag, an dem sie nicht über der Gegend kreisen und sich im Steilflug auf den Kirchturm von Himmelsbrück stürzen."

Ist dieser Roman vielleicht auch ein Adieu jener speziellen Ost-Romantik, des Traums von der kleinen Utopie innerhalb der großen, die sich längst als Alptraum herausgestellt hatte? Ria und Matti sind jedoch alles andere als Schachfiguren des Systems. Selbst die sparsam und kursiv in den Text eingeblendeten Operationsberichte der Staatssicherheit, die Matti als unauffälligen und doch unangepassten Maler längst ins Visier genommen hat, halten die Balance zwischen diffuser Bedrohung und offensichtlicher Lächerlichkeit: Was weiß schon irgendein Major über die wahrhaft subversiven Aktivitäten der Liebe, die sich - zu paradox für ein Genossenhirn – doch all zu oft gegen die Liebenden selbst kehren? Ironischerweise wird es dann gerade eine USA-Reise sein - dem Maler nebst Frau im letzten Sommer vor Mauerfall überraschend zugestanden - die den Umschlag ihrer Beziehung bedeutet. "Willkommen in meinem Tagebuch", liest Matti, als er erneut – gepeinigt von Verlustangst und selbstzerstörerischer Neugier – heimlich in Rias persönlichen Aufzeichnungen wühlt. Was bedeutet schon der Grand Canyon gegenüber solchen Abgründen?

Rezensiert von Marko Martin

Joachim Walther: Himmelsbrück
Roman
Mitteldeutscher Verlag, Leipzig 2009
279 Seiten, 17, 20 Euro