Lichtgestalten mit Schattenseite

10.04.2007
Einen Liebes- und Gesellschaftsroman und gleichzeitig einen Krimi hat Antje Rávic-Strubel geschrieben. Darin lässt sie eine junge Frau - wie die Autorin Beleuchterin im Theater - auf eine Fremde treffen, die für sie zur Lichterscheinung mit düsteren Seiten wird. Ein metaphernreiches Buch voller Licht und Zwielicht.
Als das Theater geschlossen wurde, in dem die aus Halberstadt stammende Anja als Beleuchterin arbeitete, schenkte ihr ein Schauspieler ein Feuerzeug in Form einer Glühbirne. "Wenn man das Rädchen betätigte, blinkte ein Schriftzug auf: 'Weiterleuchten!'" Dieser Aufforderung versucht die zentrale Figur in Antje Rávic-Strubels Roman "Kältere Schichten der Luft" durchaus nachzukommen. Doch sie macht die Erfahrung, dass es sich dabei vielleicht um eine der schwierigsten Herausforderungen handelt, die das Leben bereithält. Denn es genügt nicht, Lichtsignale zu versenden, also Zeichen zu setzen, sondern ebenso wichtig ist es, sich in einem bestimmten Licht zu präsentieren. Das Licht ist die zentrale Metapher in dem neuen Roman der in Potsdam geborenen Autorin.

Im Erzeugen von Lichteffekten ist Anja geübt. Als Herrscherin über Licht und Schatten war sie im Theater dafür verantwortlich, was beleuchtet und was im Dunkeln bleiben sollte. Anja ist sensibilisiert für Licht, das sie in gänzlich anderen Hell-Dunkel-Variationen in der schwedischen Landschaft entdeckt, wo sie zum Personal eines Abenteuercamps für Jugendliche gehört. Lichtspiele verzaubern sie: Verschwommenes Licht sieht sie ebenso wie Licht in Streifen oder schräg einfallendes Licht. Und von einer Lichterscheinung namens Siri wird sie zunächst magisch angezogen und schließlich verführt.

Durch die Begegnung mit der geheimnisvollen Unbekannten gerät sie in eine dunkle Geschichte und erfährt von der Fremden, die vielleicht doch Iris heißt, dass sich das Licht unter die geschlossenen Lider legen kann und dann "seine Klingen in den Kopf" zwingt. Dabei handelt es sich um die gefährliche Seite des Lichts: Lichtgestalten können sich als Verführer erweisen, und das Licht, als Symbol der Aufklärung, fördert auch Erschreckendes zu Tage. In eine dunkle Geschichte wird Anja durch Siri geführt, als sie mitgenommen wird in ein verlassenes Haus, das voller Geheimnisse steckt.

Eines dieser Geheimnisse ist die Geschichte vom verschwundenen Schiffsjungen Schmoll, den Siri in Anja zu erkennen meint. Von dieser Geschichte leuchtet ein Lichtstrahl zu den Lebensbornkindern. Ein anderer zeigt Anja in gespiegeltem Licht. Sie lernt sich durch Siris Projektion neu sehen und erkennt sich durch die Begegnung mit der Fremden als Frau im Zwielicht. So, wie sie angezogen wird von einem Licht, das verzaubernd wirkt, geht auch von ihr ein verführerisches Licht aus, das Begehren weckt.

Antje Rávic-Strubel erzählt von rätselhaften Vorgängen, die gegen das Licht gehalten werden wollen, sollen die dunklen, abgründigen Seiten dieser Geschichten entdeckt werden? Sie drohen übersehen zu werden, schenkt man beim Lesen allein der Geschichte Aufmerksamkeit, die die Erzählerin in grellem Licht aufleuchten lässt.


Rezensiert von Michael Opitz

Antje Rávic-Strubel: Kältere Schichten der Luft
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007
185 Seiten, 17,90 Euro