Lichtgestalt und Dämon

Rezensiert von Hans Christoph Buch · 21.12.2008
Che Guevara wird noch immer von vielen Linken als revolutionärer Held verehrt - und das obwohl er mit seinen wichtigen Projekten scheiterte. Der Historiker Gerd Koenen hat nun mit "Traumpfade der Weltrevolution" eine materialreiche Biografie vorgelegt.
Ähnlich wie Jesus Christus wurde Che Guevara durch seinen Märtyrertod zur Ikone, die von den Rednertribünen La Habanas in Westberliner Wohngemeinschaften abwanderte und heute auf den T-Shirts des Wahlvolks von Hugo Chávez und Evo Morales wiederkehrt, während Talismane mit seinem Bild Taxi- und Busfahrer in der Dritten Welt vor Unfällen schützen sollen. Der Historiker Gerd Koenen, Insidern bestens bekannt als Chronist der totalitären Utopien des 20. Jahrhunderts wie des Amoklaufs der RAF, hat Realität und Mythos, Leben und Sterben des argentinischen Revolutionärs in einem Buch nacherzählt, das spannender ist als jeder Polit-Thriller, einschließlich des bis heute ungebrochenen Nachruhms von Ernesto Guevara de la Serna, genannt El Che.

Wer war der aus Buenos Aires stammende Arzt, der sein Asthmaleiden durch heroische Selbstaufopferung überspielte und durch seinen frühen Tod dem Alterungsprozess wie der Abnutzung seiner Ideale widerstand – anders als sein Alter Ego Fidel Castro, dessen schimmernde Rüstung Rost ansetzte und der nur noch als Schatten seiner selbst vom Krankenbett aus die Geschicke Kubas mitbestimmt. War Che Guevara ein kleinbürgerlicher Individualanarchist oder ein eiskalter Berufsrevolutionär stalinistischer, trotzkistischer oder maoistischer Prägung? Oder gar, nach der Devise: Der Feind meines Feindes ist mein Freund, ein heimlicher Bewunderer von Mussolini, Perón und Hitler, dessen aufhaltsamer Aufstieg die neue Hegemonialmacht USA ebenso das Fürchten gelehrt hatte wie das alte Europa? War Che ein argentinischer Macho, ein kubanischer Caudillo oder ein von Nietzsche inspirierter Übermensch, der die Menschheit erlösen oder aber sich selbst und die Welt in den Abgrund stürzen wollte?

"Ernesto junior, der 1946 die Schule abgeschlossen und sich für Ingenieurwissenschaften an der Universität eingeschrieben hatte, wandte sich der Medizin zu. Seine Eltern hatten über Auslöser, Erscheinungsformen und Medikationen seines Asthmas Buch geführt, und er hatte sich zum Experten und Arzt in eigener Sache gemacht. Die Krebserkrankung seiner Mutter und die Pflege seiner sterbenden Großmutter dürften prägende Erfahrungen gewesen sein.

Dennoch wollen die geläufigen Vorstellungen eines von Menschenliebe durchglühten Doktors Guevara, der aus reiner moralischer Empörung zum Kämpfer gegen das Unrecht der Welt wurde, nicht zu dem jungen Mann passen. So schleppte er in Zeitungspapier gewickelte Leichenteile aus der Pathologie mit nach Hause, um dort weiter zu schnibbeln. Er hielt Kaninchen und Meerschweinchen auf seinem Balkon, denen er Krebszellen injizierte. Aber auch seine Freunde mussten als Versuchskaninchen herhalten, so wie er selbst …

Diese Mischung aus Doktor Eisenbart und Heros des eigenen Schicksals kreiste immer wieder um den Gegensatz zwischen einem gewöhnlichen Tod im Krankenbett und einem Heldentod im Zeichen eines abstrakten Ruhmes – so in peinlicher Überdeutlichkeit in einem Gedicht des 18jährigen aus dem Jahr 1947: ‚Dein Schicksal / änderst Du durch Willenskraft. / Sterben, ja, aber durchlöchert von / Kugeln, durchstochen von Bajonetten, anders, nein… / Und im Gedächtnis bleibt, wenn mein Name vergessen, / dass ich kämpfend starb."

Gerd Koenens Charakteristik von Che Guevara als Doktor Jekyll und Mr. Hyde, Lichtgestalt und Dämon in einer Person, kommt der Wahrheit näher als kritiklose Lobpreisungen oder pauschale Verdammungsurteile von links oder von rechts. Ches früh bekundete Bereitschaft zu sterben, der die Erstickungsangst des Asthmatikers zugrunde lag, entsprach spiegelbildlich seinem Wunsch, zu töten - nicht abstrakt, sondern, wenn nötig, mit eigener Hand.

""In Guevaras stilisierten Erinnerungen des Revolutionskrieges wurde daraus eine ins düstere Zwielicht gehüllte Theaterszene: ‚Der Mann erwartete seinen Tod schweigend und mit einer gewissen Würde. In diesem Augenblick brach ein ungeheurer Sturm los und es wurde dunkel; inmitten dieses Wolkenbruchs fand Eutimios Leben im Schein eines Blitzes ein Ende, und selbst die neben ihm stehenden Genossen vernahmen nicht den Schuss.’"

Ungleich schonungsloser und eindeutiger war die originale Tagebuchnotiz:

"‚Also machte ich dem Ganzen ein Ende und schoss ihm mit einer 32er Pistole in die rechte Gehirnhälfte mit Austrittsloch am rechten Schläfenbein. Als ich ihm seine Habseligkeiten abnehmen wollte, konnte ich seine Uhr nicht losmachen, und da sprach er zu mir mit ruhiger Stimme: ‚Reiß sie ab, Junge, was spielt das noch für eine Rolle ’ Und das tat ich, und seine Habseligkeiten waren mein.’"

Ab jetzt konnte Che "dem Tod ins Auge sehen", dem eigenen wie dem jedes anderen. Er hatte einen weiteren Punkt seines Lebensprogramms erfüllt, wie er es in seinem ersten, aus der Sierra geschmuggelten Brief an seine bangende Mutter formuliert hatte:

"‚Geliebte Alte: Diese flammenden Zeilen erreichen Dich aus dem kubanischen Dschungel. Ich bin wohlauf und lechze nach Blut. Ganz wie ein richtiger Soldat – ein Gewehr an meiner Seite und, etwas Neues, eine Zigarre im Mund.’"

Von dieser Urszene in der Sierra Maestra führt eine blutige Spur zu Ches Mitwirkung beim Erschießen von Konterrevolutionären und zu seinem Aufruf "Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnam", ganz zu schweigen von seinem Bedauern darüber, dass Kubas Raketenkrise nicht im nuklearen Inferno endete, um mit der Asche des Atomkriegs das Feuer der Weltrevolution anzufachen.

Koenens materialreiche Biographie, die auch den Opfergang der Deutschen Tamara Bunke schildert, macht plausibel, warum Guevara als Wirtschaftsplaner so kläglich scheiterte wie als Befreier Afrikas und Lateinamerikas. Trotzdem oder gerade deshalb kann der Leser ihm seine Sympathie nicht versagen, denn anders als Fidel Castro war Che ein existentialistischer Anti-Held, der in Kampfpausen Bücher las, Gedichte schrieb und sich selbst mit Don Quichotte verglich, als habe er von Anfang an um die Vergeblichkeit seines Tuns gewusst.

Gerd Koenen: Traumpfade der Weltrevolution - Das Guevara-Projekt
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008
Gerd Koenen: Traumpfade der Weltrevolution
Gerd Koenen: Traumpfade der Weltrevolution© Kiepenheuer & Witsch