Licht im Herzen der Finsternis

04.03.2011
Wie der Kongo riecht und schmeckt, fasziniert und nervt, das erzählt Andrea Böhm in ihrem gelungenen Reisebuch. Dazu mischt sie meisterhaft profundes Wissen über Geschichte und Kultur eines Landes, in dem das Leben eine einzige Improvisation ist.
Als "Herz der Finsternis" hat Joseph Conrad 1899 den Kongo bezeichnet, und für viele Beobachter ist das Land im Zentrum Afrikas, das seit Jahrzehnten nur mit negativen Schlagzeilen in der Weltpresse vorkommt, auch nicht mehr als das: Heimat schlimmer Diktatoren, Schauplatz furchtbarer Kriege und Lieferant von Rohstoffen wie Diamanten, Kupfer, Kobalt und Gold. Die Zeit-Redakteurin Andrea Böhm hat das Land seit 2002 immer wieder bereist und dort mehr entdeckt.

Um es gleich vorweg zu sagen: Dies Buch ist rundum gelungen. Andrea Böhm taucht völlig ein in dieses Land, erzählt von seinen verschiedenen Gesichtern. Sie besucht eine Boxschule im verfallenem Tata Raphaël Stadion – jenem Stadion, in dem 1974 der Weltmeisterkampf zwischen George Foreman und Muhammad Ali stattfand. Sie lernt ein Sinfonieorchester kennen, das mit gebrauchten oder selbst gebauten Instrumenten europäische Komponisten aufführt. Sie fährt an den Fluss Kasai, einem der wichtigsten Nebenflüsse des Kongos und folgt den Spuren eines afroamerikanischen Missionars, der 1892 als erster Ausländer die Hauptstadt des Kuba-Reiches betrat, deren komplexe Kultur bezeugte und später die Gräuel der Kolonialherren dokumentierte. Sie interviewt Diamantensucher im Ostkongo, die ständig auf den großen Fund hoffen und in Wirklich nichts anderes sind als moderne Arbeitssklaven. Sie trifft Vergewaltigungsopfer, berichtet von deren Traumata und begleitet Kongolesen, die versuchen, dort ein Mindestmaß an staatlicher Struktur aufzubauen, wo die Menschen den Staat bislang nur als Räuber empfunden haben.

Andrea Böhm hat Mut. Nicht nur, weil sie sich in unmögliche Verkehrsmittel quetscht, sondern weil sie sich all dem aussetzt und hautnah miterlebt, wie sich das Leben im Kongo anfühlt, wie es riecht und schmeckt. In ihre detailtreuen Beschreibungen mischt sie meisterhaft ihr profundes Wissen über die Geschichte und die Kultur des Landes. So erfährt man von seiner Zweisprachigkeit und den daraus resultierenden Konflikten, wie auch von der Schreckensherrschaft der belgischen Kolonialisten. Böhm erinnert an Patrice Lumumba, der am 30. Juli 1960, dem Tag der Unabhängigkeit, nicht dem belgischen König dankte, sondern die Verbrechen der Kolonialmächte anprangerte und später ermordet wurde. Man liest von den Auswirkungen der Globalisierung, wenn chinesische Straßenarbeitern, Kurzwarenhändler und die Zentrale des Diamantenkonzerns De-Beers in Böhms Texten auftauchen.

Der Kongo ist für Andrea Böhm nicht das "Herz der Finsternis", auch wenn das Land mit seiner unzulänglichen Infrastruktur und der Korruption nervt, auch wenn man nie weiß, wie es weitergeht, und die latente Gewalt immer wieder ausbrechen kann. Sie mag das Land und seine Menschen, deren Leben eine einzige Improvisation ist, ohne Pause, ohne Ruhe. Und die deshalb das Krokodil verehren, "weil es uralt ist und jede Katastrophe auf der Erde überlebt hat". Genau davon erzählt dieses wunderbare Buch meisterlich.

Besprochen von Günther Wessel

Andrea Böhm: Gott und die Krokodile. Eine Reise durch den Kongo
Pantheon Verlag München 2011
272 Seiten, 14,99 Euro
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