Libor Roucek: Regierungen müssen Druck auf Ungarn ausüben

Libor Roucek im Gespräch mit Marcus Pindur · 12.01.2011
Libor Roucek, Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Mitglied der tschechischen sozialdemokratischen Partei (CSSD), hat Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere europäische Regierungschefs aufgefordert, hinsichtlich der rigiden Mediengesetze in Ungarn mehr Druck auf die ungarische Regierung auszuüben.
Marcus Pindur: In Ungarn wird ein Mediengesetz verabschiedet, das in der gesamten EU als undemokratisch verurteilt wird. Bulgarien und Rumänien schaffen es nicht, die Kriterien für den Beitritt zum Schengen-Raum zu erfüllen. Rumänien wird wiederholt von der EU-Kommission dazu aufgerufen, gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma etwas zu tun. Bulgariens Rechtssystem gilt als unzulänglich, und Regierung und Geheimdienste hören sich dort gegeneinander ab. In allen drei Staaten ist Korruption ein großes Problem. Wir sind jetzt mit dem tschechischen Europaabgeordneten Libor Roucek verbunden, er gehört der sozialdemokratischen Fraktion an, und er ist Vizepräsident des Europaparlamentes. Guten Morgen, Herr Roucek!

Libor Roucek: Guten Morgen!

Pindur: Warum ist es so schwierig, EU-Standards in diesen drei Ländern umzusetzen? In den anderen Beitrittsländern – zum Beispiel in Polen, zum Beispiel in Tschechien oder in Slowenien –, da funktioniert das doch.

Roucek: Ja, es gibt viele Sachen, die funktionieren, es gibt auch viele Sachen, die weniger funktionieren, aber das ist nicht nur der Fall der neuen Mitgliedsländer, sondern wenn wir zum Beispiel, ich weiß nicht, nach Griechenland oder Portugal oder Irland gucken, dort finden wir auch natürlich weitere Probleme. Es gibt Leute, die sagen, dass zum Beispiel Rumänien oder Bulgarien, dass die zu früh in die EU aufgenommen wurden, aber meiner Meinung nach, ja, in manchen Fällen stimmt es, es stimmt auch, was den Lebensstandard betrifft, dass die Staaten zum Beispiel auf 40 Prozent des EU-Durchschnitts liegen. Aber meiner Meinung nach, es ist immer besser, dass zum Beispiel Rumänien und Bulgarien drin sind, als noch draußen im Regen zu stehen.

Pindur: Das ist sicherlich für diese beiden Staaten besser, aber man muss ja auch ganz deutlich mal fragen, wo denn die Glaubwürdigkeit der EU bleibt, denn nach außen können wir ja zum Beispiel schlecht vertreten, dass wir für Pressefreiheit in Europa eintreten, und dann gleichzeitig ein Land haben, das die Pressefreiheit nicht richtig achtet, wie wir es im Falle Ungarns haben.

Roucek: Das stimmt, und da sollten und könnten wir meiner Meinung nach Wege finden, dass das Mediengesetz zum Beispiel in Ungarn geändert wird. Da stimme ich zu, dass es eine Schande ist, dass das Land, das die Präsidentschaft hat, so ein Gesetz verabschieden will. Welche Möglichkeiten haben wir? Meiner Meinung nach, das betrifft besonders die Regierungen. Wir im Europäischen Parlament, wir können uns klar ausdrücken, aber es ist meistens die Sache der Nationalstaaten, also der Regierungen, besonders, was die Volkspartei betrifft, weil der Viktor Orbán nicht nur der Ministerpräsident Ungarns ist, er ist auch Vizepräsident der Europäischen Volkspartei.

Pindur: Auch die deutsche CDU gehört zur Europäischen Volkspartei. Da ist ja die Frage: Sie sind also der Ansicht, Kanzlerin Merkel sollte einfach mal ein bisschen mehr Druck auf ihren Kollegen Orbán ausüben?

Roucek: Meiner Meinung nach yes, also mehr Druck, natürlicherweise auf dem diplomatischen Weg, aber mehr Druck auszuüben.

Pindur: Fragen wir mal positiv: Wie könnte denn die EU bei den Problemen, die es dort gibt, Hilfestellung leisten?

Roucek: Das Parlament zum Beispiel, wir sollten die Situation besprechen, vielleicht eine Resolution verabschieden, wenn es notwendig wäre, aber auch zum Beispiel die Kommission, und der Orbán hat es klar gesagt: Er will nicht nur die Kritik von den Deutschen oder Franzosen hören, sondern er wartet ab, was die Kommission dazu sagen wird. Wir haben gewisse Kriterien, was die Menschen-, was die Bürgerrechte betrifft, was die Pressefreiheit betrifft. Und da könnte meiner Meinung nach auch die Kommission aktiver sein.

Pindur: Die Kommission könnte als Hüterin der Verträge Druck ausüben, nur das müssten ihr die Regierungen auch gestatten, und vielleicht müsste da auch mehr Druck aus dem Europäischen Parlament kommen. Sind Sie da nicht auch in der Pflicht? Das Parlament ist ja freier, hinzugehen und zu sagen, wir wollen diese demokratischen Standards einhalten.

Roucek: Zum Beispiel wir, die Sozialdemokraten, wir waren vor Weihnachten in Budapest, wir haben dort eine Gruppentagung gemacht, eine Resolution verabschiedet, und da haben wir es klipp und klar gesagt, dass die Pressefreiheit in Ungarn bedroht ist. Ich erwarte, dass etwas Ähnliches auch die anderen politischen Gruppen im Europäischen Parlament tun werden.

Pindur: Kommen wir mal zu einem anderen Thema: Korruption und die Unzulänglichkeit des Justizsystemes sind ja in allen drei Ländern auch ein großes Problem. Was könnte denn die Europäische Union, die Kommission und vielleicht auch die anderen Mitgliedsstaaten tun, um diesen Ländern beim Aufbau beziehungsweise bei der Reformierung ihres Justizsystems behilflich zu sein?

Roucek: Die Korruption, wie wir wissen, nicht nur in den neuen Mitgliedsländern, sondern zum Beispiel auch in Griechenland oder Italien und manchen anderen Ländern – es ist ein Problem, es ist ein langjähriges Problem, das man nicht über Nacht sozusagen lösen kann. Meiner Meinung nach – und das geschieht schon, wenn neue Kandidatsländer sich um die Mitgliedschaft bewerben –, dass die Kommission, dass das Parlament, wenn wir die Situation in den Ländern diskutieren, dass die größte Aufmerksamkeit diesem Problem gewidmet wird.

Pindur: Ich möchte noch mal zu der Frage jetzt zurückkehren, was es für die Glaubwürdigkeit der EU insgesamt bedeutet. Zum Beispiel wird ja gerade mit der Türkei verhandelt, werden Beitrittsverhandlungen geführt. Das zieht sich sehr lange hin. Und schwächt es nicht die EU bei diesen Beitrittsverhandlungen, wenn sie einerseits Probleme bei Mitgliedern hat, die eigentlich schon lange sichtbar sind, und andererseits aber bei der Türkei besonders strenge Maßstäbe anlegt?

Roucek: Ja, da haben Sie Recht, aber manchmal sehen wir die Situation so, dass in der EU schon alle Probleme gelöst sind, auch die Probleme der Demokratie, der Menschen- und Bürgerrechte, aber wie die Situation in manchen Ländern zeigt, auch zum Beispiel in den Niederlanden, … in den Niederlanden haben Sie eine Regierung, die an die Macht mit der Unterstützung von Rechtsradikalen kam, und das alles, das hat alles Auswirkungen auf unsere Glaubwürdigkeit. Da stimme ich ein.

Pindur: Vielen Dank für das Gespräch! Der Vizepräsident des Europaparlamentes Libor Roucek im Deutschlandradio Kultur.
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